Wissener Mahl stand im Zeichen Europas
Traditionell am 19. April, dem Tag, an dem Wissen vor 48 Jahres das Stadtrecht erhielt, fand auch in diesem Jahr wieder das Wissener Mahl im Schützenhaus Schönstein statt. Ehrengast Ulrich Schmalz referierte über Europa und die Herausforderungen, die zu bewältigen sind.
Wissen-Schönstein. Claus Behner begrüßte die Gäste, die sich wieder zahlreich im Schönsteiner Schützenhaus eingefunden haben, um sich in alter Tradition auszutauschen. Ratsmitglieder, Beigeordnete und viele weitere Personen des öffentlichen Lebens der Stadt und Verbandsgemeinde Wissen kamen hierfür zusammen.
Ehrengäste des Abends waren Ulrich Schmalz und seine Ehefrau Marita. Schmalz, der acht Jahre lang Mitglied des deutschen Bundestages war, erinnerte sich an seinen Werdegang, der unter anderem mit der Wahl in den Wissener Stadtrat im Jahr 1969 begann. Gleichzeitig wurde er in den Kreistag gewählt und ab 1971 war er zudem Mitglied des Rheinland-Pfälzischen Landtages. Aber Ulrich Schmalz war nicht gekommen, um von seinem Leben zu erzählen. Er rückte Europa in den Fokus seiner Rede.
Das moderne Europa begann am 19. September 1946. An jenem Tag, an dem Winston Churchill eine seiner berühmten Reden an der Universität in Zürich gehalten hat. In dieser Rede betont Churchill die Wichtigkeit Europas für die ganze Welt, denn in diesem Kontinent liege der Ursprung fast aller Kulturen, Künste und philosophischen Lehren. „Wäre jemals ein vereintes Europa imstande, sich in das gemeinsame Erbe zu teilen, dann genössen seine drei- oder vierhundert Millionen Einwohner Glück, Wohlstand und Ehre in unbegrenztem Ausmaße.“, so Churchill. Doch gerade in diesem Europa brachen durch Machtstreben eine ganze Reihe nationalistischer Streitigkeiten aus, die den Frieden zerstörten. Klingt ziemlich aktuell, obwohl diese Rede fast 71 Jahre alt ist.
Schmalz erinnerte an die weitere Entwicklung Europas und die Gründung der Europäischen Union bis hin zur heutigen Lage. Derzeit gibt es 28 EU-Mitgliedsstaaten, in Bälde nur noch 27. Europa steht vor großen Herausforderungen. Die unterschiedlichen wirtschaftlichen Kräfte der Mitgliedsstaaten, mangelnde Reformationsbereitschaften einzelner Länder und die Alterung der Gesellschaft sind nur einige der Konflikte. Vor 100 Jahren machte Europa noch 20 Prozent der Weltbevölkerung aus, heute sind es noch sieben Prozent. In der arabischen Welt lebten von 20 Jahren rund 120 Millionen Menschen, heute sind es 350 Millionen. Und wenn die Kriege anhalten, dann werden diese Menschen wandern, so Ulrich Schmalz. Besonders der alternden Gesellschaft bereiten diese Fakten Schwierigkeiten. Russland destabilisiert seine kleinen Nachbarn, um von den eigenen Krisen abzulenken und das westliche Bündnis mit den USA steht vielleicht auch auf der Kippe.
Deutschland hat als Ankerland mit seinen neun Nachbarn eine besondere Stellung in Europa. Es gab schon immer Zuwanderung. In Zeiten der immer älter werdenden Gesellschaft sollte diese auch als Chance gesehen werden. Die Integrationskosten seien erheblich, machte Ulrich Schmalz deutlich. Aber wie soll es in einem Land weitergehen, indem durch die nicht zu leugnende Alterslast die Innovationsfähigkeit auf der Strecke bleibt? Abiturinflation, Industrie 4.0 – Chance oder unüberwindbare Hürde?, verkrustete demokratische Strukturen. Es muss sich etwas ändern in Deutschland, so viel ist sicher.
In seinem Buch „Gegen Demokratie: Warum wir die Politik nicht den unvernünftigen überlassen dürfen“ fordert US-Politologe Jason Brennan das Wahlrecht zu überdenken. Statt einer Demokratie müsse man zu einer gemäßigten Epistokratie finden, in der das Wahlrecht nur verantwortungsvollen, informierten Menschen mit politischen Kompetenzen zustehen sollte. Eine knallharte Forderung, die allerdings angesichts der aktuellen Entwicklungen gar nicht so abwegig scheint.
Ulrich Schmalz regte zum Nachdenken an und nannte die Dinge beim Namen, zuweilen drastisch und schonungslos. Aber so sieht es nun einmal zurzeit in Europa aus und nur so kann etwas verändert werden, indem man Probleme anspricht und nicht schönredet.
Natürlich sei aber nicht alles schlecht. In den letzten Tagen und Wochen gab es in den europäischen Großstädten viele Versammlungen pro Europa. Vielleicht ausgelöst durch verpasste Partizipationsmöglichkeiten bei Abstimmungen wie zuletzt in Großbritannien? Wie auch immer, besonders den jungen Menschen ist Europa nicht egal. Sie leisten wieder viel für Europa, sagte Claus Behner zum Abschluss, bevor das Mahl serviert wurde. Gerade auch in Wissen tut sich wieder etwas. In diesem Jahr wird es endlich wieder einen Schüleraustausch mit England geben. Zudem ist ein sportlicher Schüleraustausch zwischen dem Kopernikus-Gymnasiums Wissen, dem Evangelischen Gymnasiums Bad-Marienberg sowie Schulen in den polnischen Städten Oppeln und Olesno geplant. Die vier beteiligten Schulen setzen hierbei auf die verbindende Kraft des Sports. Ein guter Anfang, an dem man anknüpfen sollte – auch auf höherer Ebene.
Im Anschluss an die Rede erfolgte der Eintrag der Eheleute Schmalz in das Goldene Buch der Stadt Wissen. Der Abend klang, gut gesättigt, bei Gesprächen in gemütlicher Runde aus. (rst)
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