Aufgeklärte Waffen und ganz viel Liebe
Zum 4. Mal gastierte der Kabarettist Hagen Rether im Wissener Kulturwerk. Im Rahmen der Werktage präsentierte er sein Programm LIEBE – eine über dreistündige Auseinandersetzung mit dem Leben, aber vor allem der trägen Gesellschaft, die anscheinend nicht so recht weiß, was sie mit all ihren Möglichkeiten anfangen soll.
Wissen. Hagen Rethers Programm wirkt immer wie ein nettes, aber durchaus ernstes Gespräch unter Freunden. Keine aufgesetzte Rhetorik, sondern knallharte Fakten, verpackt in einem fragend-erzählenden Monolog. Er hat eine ganz klare Sicht auf die Dinge, die er gerne kundtut und die den Zuhörer zum Nachdenken anregt. Er nimmt die Wahrheit in den Blick, die so viele zu verdrängen versuchen. Hagen Rether macht Kabarett gegen Angstmacherei, gegen Ungerechtigkeit und vor allem gegen Verdummung.
Hagen Rether stellt Fragen. Ganz einfache Fragen, auf die es aber scheinbar keine einfache Antwort gibt. Was soll das alles? Wann fangen die Menschen an, sich um ihre Umwelt zu sorgen? Wenn die letzte Biene ausgestorben ist, werden alle jammern, warum man nicht davor gewarnt wurde. Wo kommt das resignative Verhalten her? „Es ändert sich ja eh nix. Ich fahr nach Teneriffa.“
Der überzeugte Veganer fragt sich. Immer wieder dieselben Fragen. Wie kann die Fleischindustrie überhaupt überleben, wo sie doch mit jedem produzierten Filet einen riesigen Verlust macht? Jeden Tag wird ein Stück Regenwald in der Größe von Köln plattgemacht. Deutschland empört sich, aber tätig werden? Fehlanzeige! Die Deutschen wählen Parteien, die nichts bewegen, Politiker, die wie Marionetten der Wirtschaft „agieren“.
Hagen Rether nimmt kein Blatt vor den Mund. Auch nicht in Wissen. Seine Worte machen nachdenklich und unzufrieden. Er konfrontiert das Publikum mit der Wahrheit, der Ohnmacht, die so eigentlich gar nicht existieren müsste, wenn doch nur jeder seine Rolle als mündiger Bürger in der Gesellschaft wahrnehmen würde. „Aber Herr Rether, wir können doch nicht die Welt retten.“ „Ja wer denn sonst?“. Hagen Rether möchte aufklären und dabei vertritt er stets seine eigene Meinung und Gesinnung.
Der VW-Skandal wird ein Jahr lang in jeglichen Medien plattgetreten, aber wenn ein Obdachloser auf offener Straße sein Leben verliert, erscheint es als Randnotiz in der Tagespresse. Die Deutschen brauchen Sündenböcke. Andere, denen sie die Schuld für ihre Misere geben können, anstatt vor ihrer eigenen Tür zu kehren. Und dort liegt eine Menge Dreck. Wenn 20 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe ausgegeben werden, geht das Land auf die Barrikaden, aber 30 Millionen für die Folgen von Übergewicht sind vollkommen okay. „Wir wollen unsere Turnhallen wiederhaben. Wir müssen unseren übergewichtigen Diabetiker-Kindern den Nestlé-Eistee abtrainieren.“
Der preisgekrönte Kabarettist spricht über Aktuelles und längst in Vergessenheit Geratenes, das den Zuhörer aber durch die schonungslose Konfrontation schnell wieder einholt – mehr als vielleicht so Manchem lieb ist.
So manch einer fragt sich nach einem Abend mit Hagen Rether selbst: „Was soll das alles?“
Warum ist die Welt nur so verdammt kompliziert, obwohl alles eigentlich doch so einfach sein könnte? Die Umweltpolitik aufs Schärfste kritisieren und zum Ayurveda-Urlaub nach Thailand fahren, um sich Öl über die hohle Birne kippen zu lassen. Dank Kant und Voltaire in der Tasche, sind die Waffen, die wir verschiffen, ja aufgeklärte Waffen.
Vielleicht ist genau das die Antwort! Die Menschen leben in einem einzigen Paradoxon. Sie tun nicht, was sie sagen und verstricken sich in einem Geflecht aus Ungereimtheiten. Sein Programm heißt LIEBE. Wahrscheinlich, weil er sich um die Menschen sorgt. Er sorgt sich um deren Vernunft und hofft, dass sie eines Tages aufwachen und endlich etwas unternehmen.
Nach einem über dreistündigen Programm fühlte man sich erschlagen. Vielleicht auch ein wenig erleuchtet, vielleicht auch überfordert. Fakt ist: nach einem Abend mit Hagen Rether ist man nicht mehr der Mensch, der man vorher war. Und wenn doch, dann sollte man nächstes Mal wieder hingehen, oder es vielleicht lieber ganz bleiben lassen. (rst)
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