Der Inklusion die Behinderung nehmen
Ein bunter Fachtag in Altenkirchen mit Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen analysierte und diskutierte aktuelle Fragen der Inklusion in Kinder-garten, Schule, Beruf, Freizeit, im Wohnbereich oder in Sachen Mobilität – und gesamtgesellschaftlich. Sie zeigten Mängel auf und bauten Kommunikations-brücken.
Altenkirchen/Kreisgebiet. „Behindert ist man nicht, behindert wird man!“ Wie behindert ist dann die Inklusion und wo wird sie behindert? Gemeinsam mit Betroffenen, Multiplikatoren und Fachleuten suchte ein Veranstaltungsteam, bestehend aus dem Schulreferat der Evangelischen Kirchenkreise Altenkirchen und Wied, der Evangelischen Landjugendakademie, dem Beauftragten für die Inklusion im Kirchenkreis Altenkirchen, dem HIBA e.V in Wissen, dem Verein für Behindertenarbeit in Hachenburg und „Der Paritätische Rheinland-Pfalz/Saar“, nach Antworten.
Rund 100 Menschen aus der Region trafen dann auch bei dem „bunten Fachtag“ mit Impulsen, Fachvortrag, praktischem Austausch und viel Lachen in der Altenkirchener Landjugendakademie zusammen: Kommunalpolitiker, Schulleitungen von Schwerpunkt- und Förderschulen, Mitarbeiter in den Verwaltungen, Dienste, die Schulbegleiter stellen oder Hilfen im Übergang von der Schule in den Beruf anbieten, Mitarbeiter in Wohneinrichtungen und anderen stationären und teilstationären Einrichtungen, Schulsozialarbeiter und Schulpfarrer. Sie zeigten Mängel auf und bauten Kommunikationsbrücken.
Umsetzung der Inklusion stockt
Dass es auf dem Weg der Umsetzung der Inklusion stockt – er war engagiert von vielen Akteuren seit 2011 (Einführung der UN-Konvention) beschritten worden – konnten diejenigen am besten darlegen, die es tagtäglich berührt. Ob Kindergarten, Schule, Beruf, Freizeit, im Wohnbereich oder in Sachen Mobilität. Rainer Schmidt, Theologe, Comedian („Arm ab, aber nicht arm dran“) und ehemaliger Spitzensportler, kennt aus seinem eigenen Erfahrungsbereich nur zu gut die „Stolpersteine“, die Menschen mit Beeinträchtigungen in den Weg gelegt werden. Nicht nur abgesperrte Toilettentüren, die mangels Fingerfertig-keiten einfach nicht zu öffnen sind, zwingen ihn zu zeitraubenden „Umwegen“. Aber oft – so wurde es in seiner kenntnisreichen, aber herrlich launigen und humorvollen Moderation des Fachtages ziemlich deutlich – seien die Hindernisse in den Köpfen das Haupthindernis auf dem Weg in eine gelingende Inklusion. Starre Regelungen in verschiedensten Lebensbereichen blockierten gute Umsetzungswege. Für Abhilfe brauche es einen extrem langen Atem. Energie, die Menschen, die ohnehin mehr Kraft in den Alltag investieren müssten, oftmals nicht überhätten. Ganz praktische Erfahrungen über Hemmnisse in der Region schilderten Betroffene. Manchmal stoppt nur ein defekter Aufzug die Mobilität, dann wieder ist es ein „Zuständigkeitswirrwarr“, der Berufswünsche platzen lässt. Eine Gruppe der „Lebenshilfe“ aus Steckenstein gab dem Plenum ein-drucksvolle Einblicke in ihren „behinderten Alltag“.
Es fehlt die gesamt-gesellschaftliche Diskussion
„Details werden besprochen, aber es fehlt immer noch an einer gesamt-gesellschaftlichen Diskussion“ Michael Hamm, Landesgeschäftsführer des „Paritätischen“ mahnte zum Umdenken und zum Mehreinsatz an Ressourcen (Zeit, Geld und Engagement), damit Inklusion gelingen kann. Er versteht sich ebenso als „Lobbyist“ für die Belange beeinträchtigter Menschen wie Matthias Rösch, Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen. Rösch „unsere Welt ist barrieregefüllt“ freute sich, dass mit dem Fachtag in Altenkirchen die Inklusion kritisch begleitet werde, aber auch aufgezeigt werde, wo es Hilfe und Unterstützung gibt. Rösch, der sich nach der Mittagspause auf den Weg nach Mainz machen musste um sich dort zum Bundesteilhabegesetz einzubringen, konnte dazu aus dem Altenkirchener Plenum gleich allerhand Bedenkenswertes mitnehmen. Der zweite stellvertretende Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises, Pfarrer Thomas Rössler-Schaake (Flammersfeld) machte in seinem Grußwort, deutlich, dass er „gelebte Inklusion“, aus seiner Kirchengemeinde kennt, aber auch um die manchmal selbstgebauten Hemmnisse weiß, etwa wenn es um „leichte Sprache“ und gelingende Kommunikation geht.
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Mehr Engagement, mehr Geld
Hier sah sich auch Professor Dr. päd. Erik Weber von der Evangelischen Hochschule in Darmstadt, als Impulsgeber bei seinem Fachvortrag „Behinderte Inklusion“ herausgefordert. Seine Rede gab es deshalb auch zum Mitlesen in „leichter Sprache“. So wurden deren Kernaussagen, etwa, dass es in Zeiten von wirtschaftlichen Krisen immer lauter werdende Kritik „Für Behinderte wird zu viel Aufwand betrieben“ gibt. „Das Unbehagen in der deutschen Gesellschaft gegen Vielfalt wächst“, belegte der Wissenschaftler anhand von Umfrageergebnissen und zitierte aus einem Ausschuss, der den nationalen Bericht zur UN-Behindertenkonvention auswerte: „Wir sind besorgt, dass es in Deutschland einen hohen Grad der Institutionalisierung und einen Mangel an alternativen Wohnformen für behinderte Menschen gibt!“ Die Gesellschaft sei dringend aufgefordert, mehr Engagement und Geld einzusetzen, stellte Weber klar und forderte alle gesellschaftlichen Gruppen auf die Bemühungen der Behinderten-Organisationen tatkräftig zu unterstützen. „Diese fühlen sich etwa in Fragen der Stadtplanung oft ziemlich alleingelassen!“ Nötig sei ein Inklusives-Gemeinwesen und ein Inklusives-Hilfesystem.
Kreisweiter Pool für Sozialassistenten?
An sieben Stationen, darunter Öffentlicher Personenverkehr, Gestaltung von Eingliederungshilfen, zur Angebotspalette von ambulanten Hilfsdiensten oder selbstbestimmtes Wohnen, boten die heimischen Akteure vielfältige Austauschrunden an. „So wurden Gesprächsbrücken für beeinträchtigte Menschen, aber auch untereinander gebaut“, freute sich Anke Kreutz, Direktorin der gastgebenden Landjugendakademie. „In den Köpfen der Menschen, die nicht betroffen und für die Belange beeinträchtigter Menschen engagiert sind, muss noch viel passieren“, war ein Fazit der Plenumsrunde. Dort keimte auch die Idee eines „trägerübergreifenden Inklusionsbeirates“ auf Kreisebene, auf, der unter anderem von den beiden „Mehrgenerationenhäusern“ als „Austauschort mit Impulsen Betroffener“ unterstützt werden könnte. Auch die Idee eines „kreisweiten Pools für Sozialassistenten“ wurde aufgeworfen.
Hans-Joachim Schwan, Leiter der Sozialabteilung des Kreises und engagiert beim Fachtag im Einsatz, unterstrich die Bemühungen und die Bereitschaft um mehr Vernetzung und Miteinander, die dringend geboten seien. Kritisch merkte er allerdings an, dass man vor Gründung eines Inklusionsbeirates oder der Auf-stellung eines regionalen Teilhabe-Plans sehr genau hinschauen müsste, was dies bringe. „Es dient keinem, wenn die Kreis-Ebene gar nicht entscheidungsbe-rechtigt ist. Es wäre für alle Akteure nur frustrierend!“
Eine Dokumentation des Fachtages wird von der Landjugendakademie und dem Veranstalter-Team zusammengestellt, gebündelte Kommunikationssträn-ge sollen ausgebaut werden. Und man will sich gemeinsam weiter bewegen um der Inklusion „ihre Behinderungen zu nehmen“ – so das Fazit des Fachtages, der dank Rainer Schmidts rheinisch-fröhlicher Moderation nicht nur viele Im-pulse setzte, sondern auch deutlich machte, dass es Behinderten und vermeint-lich Nicht-Behinderten gut tat miteinander und auch übereinander zu lachen. (PES)
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