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Nachricht vom 01.05.2018    

Rente und Altersarmut thematisiert auf 1. Mai-Veranstaltung

Auf der diesjährigen 1. Mai Veranstaltung des DGB im Wissener Kulturwerk sprach Prof. Dr. Stefan Sell über Rente und die drohende Altersarmut. Er zeigte Wege auf, wie dies zu verhindern sei. Jetzt liegt es an der Politik etwas umzusetzen.

Professor Dr. Stefan Sell sprach am 1. Mai beim DGB in Wissen Foto: jkh

Wissen. Stolz eröffnete DGB-Kreisvorsitzender Bernd Becker die diesjährige DGB-Veranstaltung zum 1. Mai. Diese stand unter dem Motto: „Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit“ zu ehren von Karl Marx und Friedrich Wilhelm Raiffeisen, die beide in diesem Jahr ihren 200. Geburtstag feiern.

Neben dem Hauptredner Prof. Dr. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz, kamen auch Landrat Michael Lieber und Reiner Peters-Ackermann, Politischer Sekretär der IG Metall Betzdorf. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung vom Shamrock Duo mit Celtic-Folk-Klängen. Für das leibliche Wohl der Gäste sorgte die Neue Arbeit e. V. aus Altenkirchen.

Lieber lobte den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst und hofft, dass dies auch für die Beamtinnen und Beamten übernommen wird. Dennoch gibt es ein Thema, das ihm große Sorgen macht. Er sprach die antisemitischen Vorfälle an, von denen man vermehrt in den Medien hört. „Die Geschichte darf sich nicht wiederholen.“, sagt Lieber. Gerade die Deutschen haben eine besondere Verantwortung diesbezüglich. Lieber wünschte allen Gästen einen schönen ersten Mai.

Peters-Ackermann wies auf die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen hin, die die Arbeitnehmer erwartet. Zwar sind momentan die Auftragsbücher voll, doch dies ist gleichzeitig mit einer hohen Belastung verknüpft. Zeit mit der Familie zu verbringen oder um die Eltern zu pflegen, bleibt so kaum. Dazu kommt die Digitalisierung und Industrie 4.0 hinzu, die den Arbeitnehmern Sorgen bereiten, sagt Peters-Ackermann. „Wird mein Arbeitsplatz durch eine Maschine ersetzt werden?“, fragte er rhetorisch.

Die Weltpolitische Instabilität sorgt ebenfalls für Unsicherheit. Politiker mit Rechten Ansichten regieren bereits in einigen EU-Ländern. Typisch dafür ist es einen Sündenbock zu suchen. In Deutschland sind es die Flüchtlinge. „Doch sind wir mal ehrlich was würde sich ohne sie ändern?“, fragte er in die Runde. „Würden etwa die Steuern sinken und die Renten ansteigen? Keines der Probleme würde sich in Luft auflösen – auch nicht durch ein Kopftuchverbot.“, sagt er. Das Publikum pflichtet ihm durch einen großen Applaus bei.

Anschließend wies Peters-Ackermann auf die letzten Erfolge der IG Metall hin. Eine 4,3 prozentige Entgelterhöhung wurde durchgesetzt. „Wir sind noch nicht fertig“, so Peters-Ackermann. Für die IG Metall ist jeder Tag im Jahr Kampftag der Arbeit. Der erste Mai erinnert nur daran.

Im Prinzip hängt alles mit dem Arbeitsmarkt zusammen, begann Prof. Dr. Sell seine 1. Mai – Rede. Sell ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz, Campus Remagen, im Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich momentan sehr positiv, wie auch sein Vorredner Peters-Ackermann bereits heraus griff. Doch wenn man genauer hinschaut, sieht man die Risse. Immer mehr Menschen arbeiten in Teilzeit. Dies liegt natürlich zum einen an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – auch in Hinblick auf die Pflege der Eltern. Zum anderen ist es auch teilweise den schlechten Arbeitsbedingungen geschuldet. Gerade in der Pflege arbeiten viele in Teilzeit, da sie die Tätigkeit nicht Vollzeit aushalten könnten.



„Was bedeutet das für die Rente?“, fragt Prof. Dr. Sell. Nimmt man an, dass ein Arbeitnehmer durchschnittlich gut verdient und in Vollzeit 45 Jahre durchgearbeitet hat. Dann bekommt er eine Rente von 1396 Euro brutto. Das sind 1240 Euro netto. Um diesen Anspruch auch zu erwirtschaften, muss der Arbeitnehmer 3.092 Euro im Monat verdienen. Nur 3,7 Millionen Vollzeitbeschäftigte verdienen weniger als 2000 Euro brutto im Monat. Ganz zu schweigen von denen, die nur den Mindestlohn erhalten, der laut Prof. Dr. Sell eine Schande ist. Auch der DGB ist gegen den Mindestlohn.

Um den Rentenanspruch wie der eben beschriebene Arbeitnehmer zu erhalten, müsste der Mindestlohnverdiener 90 Jahre arbeiten. Eine totale Unmöglichkeit. Daher erhalten diese nach 45-jähriger Arbeit 619 Euro Rente. Das liegt unter der Grundsicherung. „Die große Welle der Altersarmut wird daher noch kommen.“, prognostiziert Prof. Dr. Sell.

Eine Lösung dafür gibt es, doch in der neuen Groko taucht diese nicht auf: Eine Rente nach Mindesteinkommen. Das wären dann 1047 Euro Rente statt 619 Euro. In den Nachbarländern geht dies schließlich auch, zeigt der Arbeitsmarktexperte auf. In den Niederlanden gibt es eine Grundrente von rund 1200 Euro und auch in der Schweiz erhält jeder mindestens 1090 Schweizer Franken Grundrente. Dies ist möglich, da jeder eine Erwerbstätigenversicherung von 9 Prozent des Einkommens zahlt in der Schweiz. Zudem gibt es dort ebenfalls eine maximale Rente von 2180 Schweizer Franken.

Selbst der Vergleich von Deutschland mit Österreich zeigt, dass die Deutschen im Alter schlecht wegkommen. Während ein Deutscher Facharbeiter, der ein Jahresgehalt von 52.000 Euro bis zu seinem Renteneintritt hat, 2.211 Euro Rente erhält. Bekommt ein Österreichischer Facharbeiter mit einem Jahresgehalt von 49.000 Euro nach 45 Jahren 2.956 Euro Rente und dies 14 Mal im Jahr. „Ja Sie haben richtig gehört. Es gibt nämlich zusätzlich eine Urlaubsrente und eine Weihnachtsrente.“, betonte Prof. Dr. Sell. Das sind insgesamt 40 Prozent mehr Rente, als der Deutsche bekommt und das für die gleiche Arbeit.

„Leute es fällt nicht vom Himmel. Ihr müsst euch auch organisieren und nicht nur meckern.“, war die abschließende Botschaft des Professors. Das Publikum applaudierte zustimmend. Doch er kritisierte auch die Gewerkschaften. Er animierte sie selbstkritischer zu sein, nicht politisch tätig zu werden und keine gemeinsame Sache mit den Arbeitgebern zu machen. „Sie müssen mit der Zeit gehen.“, gab er Becker mit auf den Weg, denn junge Leute gab es auf der 1. Mai Veranstaltung im Kulturwerk kaum. (jkh)


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