Erasmus-Plus-Projekt in Betzdorf: Es geht nur mit Europa
Landrat Michael Lieber und Christine Müller vom Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Betzdorf haben die Ausstellung „Europa – Heimat bedeutender Reformer“ eröffnet. Seit fast zwei Jahren arbeitet das Gymnasium nun schon mit Partnerschulen in Budapest (Ungarn), Torun (Polen) und Vratsa (Bulgarien) an dem interkulturellen Projekt. Im Rahmen der Eröffnung hielt der renommierte Politologe Ingo Espenschied einen multimedialen Vortrag zum Thema „65 Jahre Europa – das Vermächtnis der Gründungsväter“.
Betzdorf. Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Jens Wöllner, Studienrat des Freiherr-vom Stein-Gymnasiums Betzdorf und stellvertretender Vorsitzender der Europa-Union im Kreis Altenkirchen, die Gäste der Partnerschulen und bedankte sich bei allen, die das Erasmus-Plus-Projekt zu einem Erfolg gemacht hatten.
Rückblick: Der Erbfeind
Ingo Espenschied ist Experte für deutsch-französische und europäische Beziehungen. Die Produktionen des von ihm entwickelten „DOKULIVE®“-Formats erreichten bereits mehr als 100.000 Zuschauer in vielen Ländern Europas (www.dokulive.eu). Espenschieds Vortrag fand in Kooperation mit „Europe direct Koblenz“ statt. Sympathisch eröffnete der Politologe den Vortrag mit einer Anekdote über seinen Großvater. Als Espenschied diesem als junger Student erzählte, dass er ein Stipendium für ein Studium in Paris erhalten habe, konnte es der alte Mann nicht glauben: „Frankreich, mein Junge? Das ist doch unser Erbfeind!“ Espenschied sieht den Beginn dieser deutsch-französischen Feindschaft verwurzelt in der Zeit Karl des Großen. In der Hauptsache ging es bei den Anfeindungen um Besitzansprüche in Bezug auf Elsaß-Lothringen. Als weiteres hassschürendes Ereignis sei der deutsch-französische Krieg von 1870 zu nennen. Preußen hatte Frankreich besiegt und im Schloss Versailles das Deutsche Reich ausgerufen. Elsaß-Lothringen hatten sich die Deutschen auch wieder einverleibt. Jene Zeit sei geprägt gewesen von einer nationalistisch-egoistischen Denkweise. Diese gipfelte dann 1914 im Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg habe es Versuche gegeben, ein friedliches, geeintes Europa entstehen zu lassen. Hervorzuheben sei hier die Rolle von Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, der die Paneuropa-Union gründete, die erste europäische Bewegung der Geschichte. Doch es kam ganz anders: Mitbegünstigt durch die Weltwirtschaftskrise von 1929 - Börsencrash an der Wall Street, Massenarbeitslosigkeit - konnte nationalistisch ausgerichtetes Gedankengut wieder aufkeimen. 1933 kommen die Nazis an die Macht und der Zweite Weltkrieg bricht 1939 aus.
Wirtschaft befördert den Einigungsprozess
Der Anfang der Europäischen Gemeinschaft beginnt nach dem Krieg mit Jean Monnet, einem französischen Wirtschaftsfachmann. Dieser kooperiert mit dem französischen Außenminister Schuman, um die Idee eines deutsch-französischen Kohle- und Stahlmarktes zu realisieren. Auch andere Staaten waren der einenden Bewegung willkommen. Die Idee ist unter dem Namen „Schuman-Plan“ von 1950 bekannt geworden. 1951 unterzeichnen die Führer Nationen Luxemburg, Italien, Deutschland, Frankreich, Niederlande und Belgien die Papiere für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Laut Espenschied sei der europäische Einigungsprozess hauptsächlich durch gemeinsame wirtschaftliche Interessen vorangetrieben worden. Die „Hohe Behörde“ wird dann in Luxemburg gegründet. Diese konnte unabhängig von den einzelnen Staaten Entscheidungen treffen. Sie ist die erste supranationale Institution der Geschichte. Aus ihr ging später die Europäische Kommission hervor.
Am 25. März 1957 schließlich werden in Rom die „Römischen Verträge“ unterzeichnet. Weitere Staaten schließen sich der EGKS an. Die EURATOM (Europäische Atomgemeinschaft) und die EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft), aus der später die EU entsteht, werden gegründet.
Europäische Verteidigungsgemeinschaft scheitert
Ein weiteres Vorhaben war die Errichtung der EVG (Europäische Verteidigungsgemeinschaft). Ziel der Institution war mitunter auch das Verhindern etwaiger militärischer Alleingänge einzelner Nationen. Doch das Vorhaben scheitert. Konrad Adenauer bezeichnet den Misserfolg als „schwarzen Tag für Europa“ und „bitterste Enttäuschung“ seiner Regierungszeit. 1960 gründet das Vereinigte Königreich die EFTA (Europäische Freihandelsassoziation). Doch schon 1973 treten die Briten wieder aus und schließen sich der erfolgreicheren EWG an. Über die Jahre schließen sich immer mehr Nationen der Wirtschaftsgemeinschaft an. 1976 wird mit dem „Joint Study Programme“ der erste Grundstein für das Erasmus-Programm gelegt. 600 Universitäten nehmen am interkulturellen Lernprogramm teil. 1987 wird das Programm in Erasmus-Programm umbenannt. Um Deutschland nach der Wiedervereinigung noch stärker in Europa zu verankern, wird 1993 aus der EG die EU, die Europäische Union. 2002 folgt die Einführung des Euros.
Abschottung ist politischer Selbstmord
Espenschied erläuterte, dass Kompromisse, die Einzelstaaten im Sinne der EU eingehen müssen, natürlich teilweise schmerzhaft seien. Doch seien sie den Konflikten der Vergangenheit deutlich vorzuziehen. Die EU habe sicherlich auch dieser Tage viele Probleme: die Flüchtlingskrise, der Brexit, Donald Trump und die Strafzölle. Doch in seinem Endplädoyer appellierte noch einmal an die Vernunft aller EU-Gegner. Mit 80 Millionen Einwohnern sei man nur ein kleines Land im Herzen eines großen Kontinents. Alleine könne man nicht genügend politischen Druck gegen Großmächte wie China aufbauen. Es gelte, die europäischen Werte (Menschenrechte, Demokratie, Sozialstaat) gegen potentielle Feinde zu verteidigen. Auch sei der Lebensstandard in Deutschland niemals so hoch gewesen wie heute. Espenschied resümierte: „Wir würden politischen Selbstmord begehen, wenn wir uns abschotten.“
Preise für Europa-Arbeiten
Nach dem Vortrag überzeugte die Band des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums mit einem jazzigen Musikbeitrag. Landrat Lieber überreichte die Preise an die Gewinner des „Europäischen Wettbewerbs 2018 des Kreises Altenkirchen“. Sechstklässler der Bertha-von-Suttner Realschule plus Betzdorf hatten sich in diesem Wettbewerb in Bezug auf unterschiedliche Themenkomplexe, die im Zusammenhang mit der Idee „Europa“ stehen, austoben können. Der erste Platz für den Themenbereich „Schlösser und Burgen“ ging an die Gruppe bestehend aus Jarne Müller, Felix Georg, Marvin Aydogan und Turka Ghanoum. Den zweiten Platz erzielte die Gruppe bestehend aus Miguel Veith, Andrra Dafthallari und Janis Weber. Der erste Platz für den Themenbereich „Verein(t) für Europa“ ging an die Gruppe bestehend aus Ikra Sahin, Leony Otto, Aurelia Schermoly und Muhannad Essa. Die Gewinnergruppe zum Themenbereich „Wettstreit“ bestand aus Bartek Brög, Aymen Khalfallah, Farhat Adam und Emmanuel Ambulai. Den zweiten Platz holte die Kleingruppe bestehend aus Burak Aktas und Bastian Kirch.
Landrat Lieber begrüßte anschließend die Gäste aus den Partnerschulen und wünschte ihnen einen schönen Aufenthalt. Im Kontext der Ausstellung „Europa – Heimat bedeutender Reformer“ hob er besonders August Sander, den gebürtigen Herdorfer Fotografen, hervor: „Sander war einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Seine Arbeit lässt sich sogar in Museen in New York bewundern.“ Bis zum 4. Mai sind die Projektergebnisse im Hotel-Restaurant Germania in Wissen zu sehen. (jmlp)
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