Briefe aus der Todeszelle: Montabaurerin schreibt zum Tode Verurteilten
Claudia Lehnet aus Montabaur pflegt Brieffreundschaften mit Häftlingen in amerikanischen Todeszellen. In den 1990er-Jahren liest Claudia Lehnet in einer christlichen Zeitschrift von einer Brieffreundschaft zwischen einer Deutschen und einem Insassen einer US-Todeszelle. Die Frau vermittelt Claudia Lehnet den ersten Kontakt in ein amerikanisches Gefängnis: an Robert, der heute nicht mehr lebt. Und obwohl jeder neue Briefwechsel, jedes neue Knüpfen von Beziehungen Kraft kostet, macht sie weiter.
Montabaur. Zehn Jahre lang wartet Robert auf die Giftspritze. Fast 4000 Tage, in denen es für einen Häftling in einer texanischen Todeszelle außer schlafen, essen, warten und einer Stunde Hofausgang pro Tag nicht viel zu tun gibt. Oder zu hoffen. Ein Lichtblick sind die Briefe aus Deutschland. Absender: Claudia L. aus Germany. Sie ist seine Brieffreundin. Er schreibt ihr eine Zeitlang Gedichte und schenkt ihr selbstgebastelte Ohrringe, sie schenkt ihm Zeit und Freundschaft. Als Robert 2005 hingerichtet wird, trifft es Claudia hart. Obwohl sie von dessen Pastor erfahren hat, dass Robert vor dem Tod seinen Frieden mit Gott gemacht hat. Das ist ihr wichtig. Und deshalb macht Claudia Lehnet aus Montabaur weiter. Bis heute hat sie mehr als 3000 Briefe an Todeszellen-Insassen in amerikanischen Gefängnissen geschrieben.
Claudia Lehnet schreibt in alle Welt
Ihre Liebe zum Schreiben entdeckt sie schon in der Grundschulzeit. Ihre Mutter legt ihr diese Liebe in den Koffer: als vorfrankierte, leere Postkarten, die sie ihren Verwandten aus dem Schullandheim schreiben soll. Aber Claudia Lehnet schreibt nicht nur. Sie zelebriert die Karten geradezu, gestaltet sie, nimmt sich Zeit für jede einzelne. Das macht sie bis heute – egal, ob sie Geburtstagsgrüße, Urlaubskarten oder Briefe an ihre Patenkinder in aller Welt verfasst. Oder in den Knast. In den 1990er-Jahren liest Claudia Lehnet in einer christlichen Zeitschrift von einer Brieffreundschaft zwischen einer Deutschen und einem Insassen einer US-Todeszelle. Die Frau vermittelt Claudia Lehnet den ersten Kontakt in ein amerikanisches Gefängnis: an Robert, der heute nicht mehr lebt. Und obwohl jeder neue Briefwechsel, jedes neue Knüpfen von Beziehungen Kraft kostet, macht sie weiter.
Der Mörder, ein Brieffreund
1998 lernt sie ihren Brieffreund Eddie kennen, einen intelligenten, fröhlichen Burschen mit lateinamerikanischen Wurzeln. Eddie war zur falschen Zeit mit den falschen Leuten unterwegs. Er soll im Drogenrausch einen Mord begangen haben und wird zum Tode verurteilt. Claudia Lehnet verurteilt ihn nicht: Sie schreibt ihm Briefe; die beiden tauschen sich aus: über Banales wie Kaffeesorten oder Kartoffelchips; über Tieferes wie Eddies aztekische Wurzeln und seinen Glauben. Allmählich entsteht eine Freundschaft zwischen der Westerwälderin und dem Häftling. Er malt zum Niederknien schöne Bilder; zur Hochzeit von Claudia und ihrem Mann Thomas schenkt er dem Paar ein besonders kunstvolles. Sie teilt mit ihm ihre Liedtexte und Gedichte. Dann steht die Hinrichtung bevor. In dieser Zeit schreiben sich die beiden fast täglich. Im Gefängnis proben die Wärter mit Eddie die Henkersmahlzeit und das korrekte Liegen auf der Bare, auf der ihm später das Gift injiziert wird. Eddie geht davon aus, dass er nur noch Stunden zu leben hat. Doch was dann passiert, klingt wie eine Farce. Oder wie ein Wunder. Wegen einer Gesetzesänderung wird Eddies Hinrichtung gestoppt, und seine Strafe wird später zu lebenslanger Haft umgewandelt, da er zum Tatzeitpunkt erst 17 Jahre alt war. „Es fällt mir schwer, an einen Zufall zu glauben“, sagt Claudia Lehnet heute. „Er lebt und ist mein engster Brieffreund.“
Menschen ermutigen
Nicht alle Schriftwechsel sind so intensiv wie die mit Eddie. Inzwischen hat Claudia Lehnet ein knappes Dutzend losere Kontakte und drei feste. Manchmal tauscht sie sich nur oberflächlich mit ihnen aus. Oft sind sie intensiv und beglückend, dann wieder bedrückend. „Ich schreibe einem Anwalt, der einen Staatsanwalt erschossen hat und Rassist ist. Ich habe ihm ganz offen geschrieben, dass ich außer ihm auch Brieffreunde habe, die nicht weiß sind. Das klingt vielleicht seltsam. Aber im Gefängnis herrschen eigene Gesetze. Die Menschen sind zwar isoliert, aber man weiß nie, was die Einsamkeit mit ihnen macht und wie plötzlich eine Eifersucht entsteht, die sich während des Freigangs in blanker Gewalt entlädt ...“ Manchmal fragen sie die Leute, ob sie eine Seelsorgerin ist. „Das bin ich nicht. Ich sehe mich als Brief-Missionarin. Meine Mission ist, Menschen zu ermutigen, einen guten Weg einzuschlagen.“ Aber sie weiß, wo die Grenzen liegen. „Ich erzähle frei von meinem Leben und was die Gnade Gottes für mich bedeutet. Natürlich kommt es auch vor, dass Häftlinge in den Briefen übergriffig werden, weil sie nie gelernt haben, zwischenmenschliche Grenzen einzuhalten. Ich spreche das offen an und vereinbare Regeln. Die meisten verstehen das und nutzen es als Chance, dazuzulernen.“
Briefe sind keine Einbahnstraße
Sie sind froh, dass sie jemanden haben, dem sie sich öffnen und bei dem sie sich ihre Gedanken von der Seele schreiben können. „Oft haben die Gefangenen kein Geld, um sich Briefbögen oder Marken zu kaufen. Dann schreiben sie mir eben auf Toilettenpapier oder verwenden bereits entwertete Briefmarken noch einmal. Wenn sie damit erwischt werden, wandern sie in Isolationshaft. Einmal hat mir einer von ihnen so viel auf ein kleines Blatt geschrieben, dass ich eine Lupe brauche, um es zu entziffern“, erzählt sie. Die Briefe sind keine Einbahnstraße. Sie helfen nicht nur den Gefangenen, sondern auch Claudia Lehnet. Im vergangenen Jahr übersteht sie eine Krankheit und denkt viel über sich und übers Schreiben nach. Sie entschließt sich, dieser Gabe noch mehr Zeit zu widmen und verschickt mit Hilfe des Vereins Christian Prison Penpal Ministry 100 Weihnachtskarten an ebenso viele Häftlinge. „Ich habe mich bemüht, jeden persönlich anzuschreiben und passende Sätze zu finden. Die Antworten, die ich bekommen habe, sind der Hammer“, erzählt Claudia Lehnet und bekommt immer noch eine Gänsehaut, wenn sie an das vergangene halbe Jahr denkt. „Ich konnte nur wenige der Antwortbriefe am Stück lesen – so intensiv und emotional waren sie für mich.“
Ist das Vorsehung?
Heute schreibt sie zwei Mal pro Woche. Und heute weiß sie, dass das Schreiben ihre Aufgabe ist. Auch wenn das Schicksal ihrer Brieffreunde manchmal feststeht. Aber eben nicht immer. Wie bei einem Häftling, der unter einem Pseudonym inzwischen Kinderbücher schreibt. Oder wie das von Doil oder Eddie, deren Todesstrafe in lebenslange Haft umgewandelt wurde. „Solche Dinge machen mir Mut“, sagt Claudia Lehnet. „Dann denke ich: Vielleicht bist Du an dem Platz, den Gott für Dich vorgesehen hat.“ (PM)
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