Jahrhundertaufgabe Klimawandel: Der Wald ist Opfer und Lösung zugleich
Der Borkenkäfer wütet in den Wäldern. 2018 setzte Trockenheit den Bäumen zu. Die weithin sichtbaren braunen Wipfel der Fichten in den Wäldern sind ein Zeichen für die Situation. Der Borkenkäfer war nun das zentrale Thema, als der rheinland-pfälzische SPD-Landtagsfraktionssprecher, Alexander Schweitzer, bei seiner Sommertour am Donnerstag (4. Juli) mit Vertretern von Forst, Haubergsgenossenschaften. Waldinteressenten und -besitzern in Daaden diskutierte. Es wurde mehrfach von einer Naturkatastrophe gesprochen, aber auch von einem Generationenprojekt und einer Jahrhundertaufgabe.
Daaden/Kreisgebiet. Das Interesse an der Diskussion über die Borkenkäferplage war groß: Vertreter von Haubergsgenossenschaften, private und kommunale Waldbesitzer und Förster, aber auch von Naturschutz- und Umweltverbänden, füllten den Saal im Gasthof Koch in Daaden. Vielen der Anwesenden – darauf lassen die Wortmeldungen schließen – dürfte die dramatische Situation nur allzu vertraut sein, weil sie mit dem Wald, zum Beispiel in den Haubergsgenossenschaften, direkt zu tun haben. Ihre Sorgen und Befürchtungen äußerten sie bei dem lebhaften Austausch. Akut und aktuell war der Blick dabei, aber durchaus auch langfristig gerichtet, etwa dass man bis zum Nachwachsen in Jahrzehnten auf den Flächen keine beziehungsweise nur geringe Einnahmen und Erlöse erzielen könne, wurde angesprochen.
Waldreichstes Bundesland
Während zu Beginn noch letzte Stühle gerückt wurden, damit alle einen Platz fanden, berichtete SPD-Landtagsabgeordnete Sabine Bätzing-Lichtenthäler, dass man direkt aus dem Wald komme: Die Landtagsabgeordneten hätten sich im Wald einen kurzen Überblick über die Situation verschafft, leitete sie zu dem forstpolitischen Gespräch über, zu einem Thema, das „uns alle bewegt“. Der Landkreis Altenkirchen sei mit einer besonderen Heftigkeit betroffen, sagte die Abgeordnete, die auch ihren Fraktionskollegen Heijo Höfer begrüßte. Es sei ein Thema, das den gesamten Landkreis betreffe, sagte Bätzing-Lichtenthäler. Hauberg sei es, was die Region stark präge. Rheinland-Pfalz stehe als waldreichstes Bundesland mit 42,3 Prozent Waldfläche an der Spitze.
„Die Spuren, die der Klimawandel hinterlässt, fallen sofort ins Auge“, sagte sie und führte Trockenheit, Sturm und Borkenkäfer an – und meinte: „Das kann man als Naturkatastrophe bezeichnen.“ Für den kleinstrukturierten Wald und Privatwald habe die Naturkatastrophe starke Konsequenzen. Man wisse um die Bedeutung des Waldes, als Rohstofflieferant und CO2-Speicher, und der Wald gehöre zur Heimat. „Wir stehen gemeinsam vor einer Jahrhundertaufgabe.“ Von den Kommunen über das Land bis zum Bund: Bei dieser Gemeinschaftsaufgabe müsse jeder Verantwortung übernehmen. Für die akute Situation stelle die Landesregierung in den Etatjahren 2019/20 jeweils dreieinhalb Millionen Euro zusätzlich bereit. Drei Millionen Euro kommen aus Mitteln für „Gemeinschaftsaufgaben Agrarstruktur und Küstenschutz“ (GAK), eine halbe Millionen aus dem Investitionsstock. Das könne nur ein Anfang sein, so die Sozialdemokratin, die betonte: „Der Wald ist Opfer und Lösung des Klimawandels in einem.“ Über die Sorgen und Ängste, aber auch die Erwartungen an die Politik wolle man ins Gespräch kommen.
Schweitzer: „Der Bund muss sich dringend anstrengen.“
„Wir leben von und mit dem Wald“: Das sagte Alexander Schweitzer in seinem Statement. In dem waldreichsten Bundesland Rheinland-Pfalz sei man vom Käfer arg gebeutelt: „Es findet hier und heute statt.“ Sollte das Grün der Fichten für den Laien noch gesund aussehen, so würden Forstleute erkennen, dass vieles in großen Schwierigkeiten sei. Auch die Kommunen als Waldbesitzer würden spüren, wenn der Preis runter gehe. Wenn der Wald leide, leide es auch wirtschaftlich. „50.000 Menschen leben vom Wald“, der einer der größten Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz sei. „Wir müssen uns gemeinsam anstrengen“, Kommunen, Land und Bund müssten „im Dreiklang unterwegs sein“. Für konkrete Maßnahmen gebe es eine finanzielle Unterfütterung, zum Beispiel beim nachhaltigen Waldbau, Borkenkäferbeseitigung, dem Fällen und Herstellen von Holzlagerplätzen und Wegeherstellung. Er erwähnte auch, in Forstzweckverbänden Maschinen anzuschaffen. Das Land werde zusätzlich mit dreieinhalb Millionen Euro je Haushaltsjahr 2019/2020 fördern. Auch den Bund müsse seine „unzureichende Förderung“ nach oben fahren, plädierte er: „Der Bund muss sich dringend anstrengen.“
In der politischen Verantwortung ist es für Schweitzer nicht akzeptabel, Mittel für den Wald anderen „grünen Berufen“ wegzunehmen. Bei den Hilfen sprach er von einer Verstetigung, in zwei Etatjahren sei es nicht getan. Es sei ein „Generationenprojekt“. 26 Prozent des CO2 werde vom bestehenden Wald gebunden, sagte er mit Verweis auf den Klimawandel. Den Klimawandel im eigenen Wald bekämpfen, das werde über 2020 und über die laufende Wahlperiode (bis 2021) des rheinland-pfälzischen Landtages hinausgehen. Das Thema Wald müsse ganz oben stehen, mit Maßnahmen, die greifen und finanziert seien, gemeinsam von Kommunen, Land und Bund. 1.200 Anträge für 2019 getätigte Maßnahmen seien bereits beim Land gestellt, was 2,8 Millionen Euro entspreche. Wenn Maßnahmen auf den Weg gebracht würden, dann müsse der Bund auch in Verantwortung gehen, lautete die Botschaft des Sozialdemokraten.
Die Katastrophe muss in die Köpfe
In Rheinland-Pfalz habe man eine kleinparzellierte Waldbesitzerstruktur, und denen müsse auch geholfen werden. Die Impulse aus der Versammlung und Vorschläge für bessere Maßnahmen werde man aufnehmen, sagte Schweitzer. Er warb auch dafür, parteiübergreifend auf den Bund zuzugehen. Wie die Banken gerettet worden seien, so müsse auch der deutsche Wald gerettet werden, sagte der Politiker – und bekam Beifall. Forstamtsleiter Franz Kick (Altenkirchen) meinte, dass man es mit einer Katastrophe zu tun habe und motivierte, „gemeinsam die Ärmel hoch zu krempeln“. Allerdings befürchtete er, dass „diese Katastrophe nicht richtig in der Bevölkerung angekommen ist“. Schönes Wetter müsse nicht immer Sonnenschein und 28 Grad Celsius bedeuten. Dauerregen sei auch schönes Wetter, nicht nur für Waldbesitzer, sondern auch für die Grundlage „unserer Existenz“. Hierfür müsse ein Bewusstsein geweckt werden, meinte Kick: „Die Botschaft, dass dort eine Katastrophe wütet, ist nicht richtig in den Köpfen angekommen.“
„Wenn das noch zwei Jahre so weitergeht, dann haben wir keine Fichte mehr“, meinte Hans Georg Gerhardus von der Haubergsgenossenschaft Mudersbach. Er stellte heraus, ohne Fichte habe man keine Einnahmen, und eine Million Menschen hätten keine Arbeit mehr. Die Landesregierung sei nicht ganz unschuldig an der Situation, befand Gerhardus. Vor vielen Jahren habe man noch doppelt so viele Förster gehabt – Beifall im Saal. „Wenn die nächste Sparrunde durch ist, bekommen die Förster einen Hubschrauber, um sich ihren Wald noch anschauen zu können“, pointierte Gerhardus mit Blick auf die Vergrößerung der Forstreviere. Der Borkenkäfer habe sich 2018 vervielfältigt, und das müsse auch in den zuständigen Ministerien aufgefallen sein. Die Sturmschäden seien lächerlich. „Den Borkenkäfer können wir nicht händeln“, sagte Gerhardus: „Wir laufen in die Katastrophe, schlimmer als sie es geschildert haben.“
Banken wurde gerettet – und der Wald?
Johannes Pfeifer (Wallmenroth) pflichtete bei und beklagte, dass „Vater Staat“ kaum noch Leute habe, die im Wald arbeiten würden. Und „um die Haubergsgenossenschaften steht das dürre Holz“. „Wir haben eine Klimakatastrophe“: Das sagte Siegfried Rohs (Haubergsgenossenschaft Freusburg): „Ein Problem, das alle angeht.“ Bei der Bankenkrise sei man schnell dabei gewesen, Milliarden Euro auszugeben. Die Trockenheit spiele dem Käfer in die Karten, aber auch andere Baumarten hätten ein Riesenproblem, meinte Rohs. Die Auswirkungen verdeutlichte er am Beispiel Wasserversorgung: Wasser werde nicht mehr im Wald gehalten. „Wir müssen alle etwas dafür tun“, sagte Rohs. 2018 habe man erkennen können, dass der Grundbestand des Borkenkäfers sehr hoch sei. Er meint, dass man sich künftig über Baumarten unterhalten müsse, an die man heute noch nicht denke. Der Klimawandel sei ein gesellschaftspolitisches Problem, sagte Rohs, für den der Borkenkäfer hier „nur ein Zeiger“ ist. Die Politik müsse handeln.
Die Fichte ist der sogenannte Brotbaum. Beim Austausch wurde angeführt, dass, wenn die Fichte weg sei, auch die Grundlage der kleineren Haubergsgenossenschaften weg sei. Erst in 80 Jahren habe man wieder einen vernünftigen Bestand. Bei den Wortmeldungen wurde auch deutlich, dass man künftig auf Vielfalt setzen werde. Aber: Ein Mischbestand sei aufwendiger zu pflegen, und auf Dauer benötige man mehr fachkundiges Personal, um dies zu bewirtschaften. Es zeigte sich, dass die Situation sich nicht nur akut auswirkt: „Die finanzielle Grundlage bricht weg, die nächsten 30 Jahre haben wir keine Einnahmen, um Erlöse zu erzielen.“ Die für 1. Januar 2020 anstehende neue Reviereinteilung wurde in einer Wortmeldung aufgrund der derzeitigen Situation als ganz unpassender Termin angesehen, und deshalb angeregt, dass die Landesregierung sich Gedanken für einen späteren Zeitpunkt machen sollte. Auch das Stichwort Schulung wurde angesprochen, damit diejenigen, die im eigenen Wald arbeiten, qualifiziert sind. Als eine Art „Hilfe zur Selbsthilfe“. Und der Wegebau müsse dringend gefördert werden, hieß es.
„Eine Naturkatastrophe kann man nicht rumbiegen“
Man habe viel über Geld gehört, sagte Jürgen Gerhardus (Haubergsgenossenschaft Dermbach), aber nichts, wie man den Käfer beseitigen könnte. „Die Borkenkäfer-Katastrophe ist eine Naturkatastrophe“, sagte Forstamtsleiter Kick. Man könne es lindern, aber nicht verhindern. „Eine Naturkatastrophe kann man nicht rumbiegen“, sagte Kick. In der Kürze der Zeit ordnete er einiges ein und gab einige Ratschläge. Herumbiegen könne man es, wenn es „tüchtig regnet“. Ein glücklicher Umstand wäre eine bakterielle Verpilzung des Borkenkäfers. Ein weiterer Tipp: Das Holz möglichst schnell aus dem Wald zu holen. Das Entrinden der Stämme, um dabei die noch weißen oder milchkaffeebraunen Larven zu erwischen, sei auch nur ein Mosaikstein. Ein umfassendes Programm, was man machen könne sei schwierig, sagte Kick, der von einem „ganzen Strauß an Maßnahmen“ sprach. Alles, was gemacht werde, helfe weiter, aber eine Naturkatastrophe könne man nicht herumbiegen.
Er sei dankbar für die vielen Hinweise, sagte Schweitzer, der zwischendurch immer wieder Stellung nahm. Das Personal sei zu Recht angesprochen, sagte Schweitzer, erinnerte aber auch an das Haushaltkonsolidierungskonzept. Eine variantenreiche Waldsituation benötige mehr Aufwand. Man müsse die Personalschraube anders drehen, schauen, was sich daraus ergibt. Die Ideen und Anregungen nehme er gerne mit, sagte Schweitzer. „Wir alle sind in der Verantwortung“, betonte Schweitzer und ermunterte, „uns zu begleiten, auch kritisch“. Man müsse auch den Bund ins Boot holen. Denn man spreche wahrscheinlich über ein deutschlandübergreifendes Problem: „Was vom Bund kommt, das ist zu wenig.“ Er appellierte, alle Bundestagsabgeordneten anzusprechen – und zwar mit: „Wir brauchen mehr Hilfe.“
Für die engagierte Diskussion dankte Bätzing-Lichtenthäler und fasste die Aspekte zusammen, zum Beispiel Stichwort mehr Personal, Beförsterungskosten und Bürokratieabbau. Ziel sei es gewesen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Wort kommen zu lassen, und dies in den fachpolitischen Diskurs in Mainz einfließen zu lassen. (tt)
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