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Das Böse lauerte im Bildungsbürgertum
In der Kreisverwaltung Altenkirchen präsentierte der Autor Dr. Manfred J. Foerster aus Daaden sein neues Buch "Bildungsbürger, Nationaler Mythos und Untertan - Betrachtungen zur Kultur des Bürgertums". Auf seinem Streifzug durch die deutsche Kulturgeschichte rückte er vor allem die Schattenseiten deutscher Kultur in den Blickpunkt. Und er legte dar, warum für die Nationalsozialisten und ihre Ideologie in Deutschland ein idealer kultureller Nährboden war.
Von Thorben Burbach
Altenkirchen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Kunst und Kultur im Kreishaus" durfte Landrat Michael Lieber den Schriftsteller, Autor und Wissenschaftler Dr. Manfred J. Foerster aus Daaden begrüßen, der sich in seinem aktuellen Buch "Bildungsbürger, Nationaler Mythos und Untertan - Betrachtungen zur Kultur des Bürgertums" mit der Kultur des deutschen Bürgertums auseinandersetzt. In seiner Lesung im August-Sander-Zimmer der Kreisverwaltung ging der Autor auf einzelne Kapitel des Buches ein und beleuchtete dabei eingehend die bürgerliche Kulturgeschichte in Deutschland. In seiner kritischen Reflexion des deutschen Kulturguts schien es Foerster ein Anliegen zu sein, vor allem auf die Schattenseiten deutscher Kultur hinzuweisen. Nationalistische und antisemitische Strömungen in der Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts wurden ebenso angesprochen wie die Verklärung der Wirklichkeit zur Naturidylle in der Romantik. Am Ende der Weimarer Republik fanden die Nationalsozialisten demnach einen idealen, kulturellen Nährboden vor, auf dem sie ihre mörderische Ideologie entfalten und den vorhandenen Nationalismus radikalisieren konnten.
Foerster verwies beispielhaft auf den Rassismus und die Anfeindungen gegen das Judentum im Werk von Richard Wagner. An der Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" verdeutlichte er die antisemitische Einstellung des Komponisten, der die Juden zum "geborenen Feind der reinen Menschheit" erklärt hatte. Die Dramaturgie der Oper analysierend, führte er den Zuhörern judenfeindliche Ressentiments vor Augen, die später von der nationalsozialistischen Propaganda aufgegriffen worden seien. Bei Wagner werde der Jude als Störenfried dargestellt, "der im Volk Aufruhr und Ekel verursacht", so Foerster. In der Dramaturgie der Oper würden die Juden letztlich als künstlerische Dilettanten bloß gestellt. Genannt wurde hier die Figur des Beckmessers, dessen Rolle bis heute kontrovers diskutiert wird. Nach der Ansicht von Foerster beinhaltet Wagners Kunst "hasserfüllte Botschaften" und "unverhohlenen Antisemitismus". Das Kunstwerk sei bereits Ausdruck nationalistischen Größenwahns, gegen die liberalen Strömungen der damaligen Zeit gerichtet. Von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels wurde die Oper später als "die deutscheste aller Opern" bezeichnet, und nicht zuletzt Adolf Hitler galt als ein bekennender Verehrer Wagners. Nach der Uraufführung im Jahre 1868 sei die Oper beim deutschen Publikum stets erfolgreich gewesen, da sie an die Sagen- und Märchenwelt der Romantik anknüpfe, sagte Foerster. Die hierarchische Ordnung, repräsentiert durch die Zünfte des Handwerks, werde als spießige Idylle der Industrialisierung gegenübergestellt. Im Publikum sorgte die schonungslose Kritik an Wagner für Widerspruch. Trotz der antisemitischen Einstellung Wagners sei die Oper ein "großartiges musikalisches Kunstwerk", hieß es. Dies bestritt Foerster nicht, schließlich gehöre das Werk des Komponisten nach wie vor zum deutschen Bildungskulturgut. Man müsse jedoch auf die antisemitischen Tendenzen hinweisen, die heute nicht mehr so wahrgenommen würden wie damals, so der sich der Autor.
An Beispielen wie dem Werk von Wagner zeigt Foerster in seinem Buch die verschiedenen Facetten der bürgerlichen Kultur auf. In den 18 Kapiteln des Buches gehe es ihm nicht darum, eine umfassende systematische Darstellung der Kulturgeschichte zu liefern, sondern auf wegweisende Fixpunkte der bürgerlichen Kultur der letzten 200 Jahre aufmerksam zu machen. So erscheint es auf den ersten Blick erstaunlich, dass unter den Ausführungen auch Abhandlungen zum umstrittenen Architekten Albert Speer sowie zur NS-Größe Heinrich Himmler zu finden sind. Der Grund dafür wurde jedoch schnell geklärt. Beide seien typische Vertreter des deutschen Bildungsbürgertums, so Foerster, und damit ein Beleg dafür, dass der Nationalismus im deutschen Bildungsbürgertum, in der Mitte der Gesellschaft, seinen Ursprung habe. "Das Bürgertum ist einem mörderischen Nationalismus aufgesessen", betonte Foerster, der unter Hitler schließlich eine fatale Renaissance erfahren habe. Die Nationalsozialisten deuteten das Kulturgut im Sinne ihrer Ideologie um. Viele Werke, die dem Nationalismus Vorschub leisteten, seien so durch den Nationalsozialismus vereinnahmt worden, hieß es.
Dass der Nationalismus sich in Deutschland unaufhaltsam seinen Weg bahnen konnte, schilderte Foerster eindringlich am Beispiel der kulturhistorischen Entwicklung. Er nannte die politische Unmündigkeit der deutschen Bevölkerung, deren nachhaltiges Aufbegehren gegen die traditionelle Ordnung ausblieb. Stattdessen flüchtete man in der Kunst in realitätsferne Märchenwelten. Im 19. Jahrhundert habe sich als Antwort auf den Rationalismus der Aufklärung eine "Trivialromantik" breit gemacht. Sinnbildlich dafür stehe die so genannte "Gartenlaubenlyrik", die Ludwig Richter, ein bedeutender Maler und Zeichner der Romantik, mit seinen Bildern festgehalten hat. Die Idylle und Geborgenheit der Natur werde der rauen Gegenwart der Industrialisierung und dem technischen Fortschritt entgegengestellt. Jegliche Bedrohungen werden ausgeblendet, so dass die Kunst als "Ausdruck von Weltfremdheit" das Spießerhafte jener Zeit zum Ausdruck bringe, so Foerster. Der Kitsch in der Kunst traf den Geschmack der spießbürgerlichen Gesellschaft, die sich in einer Zeit des Umbruchs neu finden und orientieren musste. Der Respekt vor der Obrigkeit war weiterhin ungebrochen, von politischer Mündigkeit der Bevölkerung und Demokratie konnte noch keine Rede sein. Der Nationalismus konnte vorerst seinen Siegeszug antreten.
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Zur Person
Foerster studierte in Aachen und Mainz Soziologie, Erziehungswissenschaften, Philosophie und ist Lehrbeauftragter an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz sowie als freier Autor tätig. Das aktuelle Buch ist zur Frankfurter Buchmesse 2009 im Shaker-Media Verlag Aachen erschienen. Zudem veröffentlichte er im vergangenen Jahr gemeinsam mit Hans-Georg Glaser den Band "Der Weg nach Auschwitz war vorgezeichnet".
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Dr. Manfred J. Foerster präsentierte Ausschnitte aus seinem Buch "Bildungsbürger, Nationaler Mythos und Untertan - Betrachtungen zur Kultur des Bürgertums". Foto: Thorben Burbach