So erlebte „Grandpa“ das Sido-Konzert in Köln
Rapper Sido füllt deutschlandweit die Konzerthallen und begeistert mit seinen Auftritten in der Regel ein eher junges Publikum. Doch wie erlebt ein Vater ein Sido-Konzert, der seine Tochter dort hin begleitet? Ein nicht ganz ernst zu nehmender Konzertbericht vom „Grandpa“ aus dem Westerwald.
Das Kind hatte sich Konzertkarten für Sido bestellt, aber niemand aus dem Freundeskreis wollte mit. Also wurde der alte Mann aus der WG – oder was ist Familie heute? – als Begleitung aktiviert. Ich bin allerdings eher der rockigen Szene zugeneigt, habe aber dazumal, also kurz vor der Jahrhundertwende, dem Rap gelauscht, vor allem Eminem und später auch Sido habe ich mein Ohr geliehen. Das stößt übrigens bei meinem heutigen Bekanntenkreis auf völliges Unverständnis. Trotzdem: Nun sollte es also zu Paul Hartwig, würdig bekannt als SIDO gehen. In Anfangszeiten soll die Abkürzung ja für „Schei.. in dein Ohr“ gestanden haben, heute soll es „Super intelligentes Drogenopfer“ heißen.
Es wurde hektisch
Am Abend vor dem Konzert wurde besprochen, wie der Rapabend zu gestalten sei, bis plötzlich mein Smartphone vermeldete: Sie müssen jetzt losfahren, um rechtzeitig beim Konzert in Köln zu sein. Die Stirn des Kindes wurde genauso faltig wie die Stirn des Älteren täglich ist und ein kurzer Blick auf die Eintrittskarten zeigte: Die Elektronik hatte recht. So wurde die Planung schnell ad Acta gelegt. Die Frage „Zug oder Auto?“ hatte sich auf Grund plötzlich auftretender Zeitprobleme erledigt. Ein eher hektischer Aufbruch lies den Konzertabend beginnen. Hiphop ging es auf zur Lanxess Arena nach Köln.
In der Arena
Erstaunt zeigte ich mich von der Bühne: kein Schlagzeug, kein Micro, kein Keybord oder Gitarre. Da war einfach Nichts! Da frage ich mich: Wie wollen die musizieren? Die Stirn war wiederum von gewaltigen Furchen durchzogen. Okay! Mein erstes Rap-Konzert und das schon als Grandpa! Da muss ich wohl bereit sein auch noch einmal zu lernen und ich weiß, ein Lernprozess kann auch schmerzhaft sein.
Ob's wohl Vorgruppen gibt?
Ein einsamer Glatzkopf stand vor einem Laptop auf einer, nennen wir's mal Mischpultbühne und plärrte irgendetwas ins Mikro. Plötzlich tauchte ein zweiter Stratege auf. Er trug einen Bademantel und Udo Jürgens war es nicht, denn der Bademantel war mit Kaputze und er war rot (der Bademantel). Nenne wir ihn mal Nikolaus. Also – was geht? Wie man bestimmt in irgendeiner Szene so sagt. Nikolaus stimmte irgendetwas im sogenannten „Kanackenstyle“ – ich habe diesen Begriff nicht erfunden – an. Meine alten Ohren wollten sich so gar nicht darauf einstellen. Von daher blieb mir seine Botschaft bis heute unerschlossen. Er entledigte sich dann seines Bademantels und trug darunter einen roten Trainingsanzug! Für mich wurde es nicht besser. Drei weitere... ja, wie nennt man die Künstler denn eigentlich? Vorbands sind es ja definitiv nicht! Anheizer, Verheizer, ich weiß es nicht! Es erinnerte mich ans Skispringen. Da gibt es Vorspringer, die springen nicht so weit und nicht so schön wie die Stars, denn sie üben noch, was nicht verwerflich ist. Aber sie üben halt noch. Das passt. Also weitere drei Vorspringer, oder waren es nur zwei, für mich auf jeden Fall zu viele, stellten mich auf eine harte Probe. Das Kind neben mir wippte im Takt mit und schwang wie alle um mich herum den rechten Arm ausstreckend von oben über dem Kopf bis auf Schulterhöhe und wieder zurück. Sah irgendwie komisch aus. Aber da es alle machten, hab auch ich mich kurz versucht. Kurz! Für jemanden, der sonst laut grölend das Metalhorn in die Luft streckt – damit sei nicht gesagt, dass das für Szenefremde nicht genauso idiotisch ist – ist das nichts.
Der Bass kam von hinten. Wir hatten uns alle Richtung Mischpultbühne umgedreht und die Beschallungsanlage war auf der eigentlichen Bühne platziert, daher kam der Sound von hinten. Die Bässe waren schon fett, wie man so sagt. Mein inzwischen schütteres Haupthaar kam in Wallung und wäre vermutlich bei entsprechender Länge ins Gesicht geweht. Zu meiner Freude war der Spuk nach etwa 20 Minuten vorbei und wir konnten uns wieder umdrehen, um nun ungestört weiter auf Sido zu warten. Das Publikum skandierte immer wieder „tatadada daada, tatadada daada“, doch dazu später und ich entschuldige mich schon jetzt für die gewählten Worte, die nicht ich gewählt habe.
Und dann kam Sido
Dann erschien Sido, das ehemalige Kind aus dem Osten Berlins, der jetzt, wie er erzählt und singt, im Speckgürtel der großen Stadt lebt. Warum? Weil er es kann. Den Anfang machte „Wie Papa“, ein neuerer Song, der einen Rückblick auf das frühere Leben mit dem Weg in den Speckgürtel beleuchtet. Es folgt „Mein Block“, der Song aus alten Tagen, als Sido noch unter dem Label „Aggro Berlin“ und mit Maske unterwegs war. Bestimmt 15 Jahre alt. „Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend. Meine Straße, mein Zuhause, mein Block - Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt, reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock“ sang die ganze Halle mit, obwohl die meisten im Saal bei der Entstehung des Songs nicht einmal in der Grundschule waren und die Eltern solche Texte damals in deren Kinderzimmern sicherlich nicht toleriert hätten. Auch Sido fiel auf, wie auch immer er das da oben von der Bühne gemacht hat, dass viele Zahnspangen im Publikum zu sehen waren. Er vermutete, dass das seinem Auftritt in der Sendung „The Voice of the Germany“ – so sagte Sido – geschuldet sei, brachte dann seinen Unmut zum Ausdruck, dass zu wenige für ihn angerufen hätten, denn er war Letzter geworden. Er vermutete, dass die Sendung nur wenige seiner Fans gesehen hätten: „Wer guckt denn so etwas? The Voice of the Germany!“ Also ich nicht. Stirnrunzeln, ob solcher Aussagen war trotzdem meine erste Reaktion.
Erstaunlich war für mich immer noch, dass außer Sido niemand auf der Bühne war, also niemand zum Musizieren. Für mich durchgängig befremdlich auf einem Konzert. Der Altmeister des deutschen Rap blieb erstmal weiterhin bei alten Stücken aus seiner Anfangszeit und wechselt nach einer guten halben Stunde langsam in die Neuzeit. Der hörbare Wandel wird deutlich mit seinem Song „Augen auf“. Etwas später erschien ein Mann mit einem Marius Müller Westernhagen Hut - Marius war es nicht - auf der Bühne und nach der Verkündung durch Sido, dass Johannes Oerding da ist, jubelte wieder einmal die komplette Arena. Die Halle war begeistert vom Song „Pyramiden“, ich dagegen hab das Lied bestimmt schon mal auf SWR 4 gehört, der Johannes sagte mir allerdings nichts. In den weiteren neuen Liedern zeigte Sido seinen Wandel vom Rapper aus den Ghettos Berlins hin zum Udo Lindenberg der Hip-Hop-Szene. Sehr kritisch setzt er sich mit gesellschaftlichen Themen auseinander. Meine Gedanken: „Sieh mal einer an.“ Dann kam eine...
...Pause. Ab durch die Mitte
Sido verschwand, es war dunkel in der Halle. Wahrscheinlich war sein furchtbarer Trainingsanzug durchgeschwitzt von der Hitze. Hoffentlich hat er noch Modischeres in der Garderobe. Plötzlich sagte Sido ins Dunkel: „Wenn ihr mich sehen wollt, müsst Ihr euch mal umdrehen!“ Jetzt stand er auf der Mischpult-Bühne. Eben waren wir noch mitten im Publikum und schon waren wir ganz vorn. Sido setzte sein Konzert fort, intonierte weitere alte und neue Songs, jetzt nur fünf Meter von uns entfernt, während einige äußerst breitschultrige Herren zwei Seile direkt neben dem Kind und mir durch die Menge nach vorn zur Bühne spannten. Nach einigen Liedern kletterte Sido mehr oder weniger behände von der Bühne und über den Zaun. Er ist halt auch schon 39, also zumindest zwei Tage nach dem Konzert und die kräftigen Kerle gehen ihm auch zur Hand. Rappend wandelt er durch die Absperrung begleitet von den Kleiderschränken, die den Horizont verfinstern. Viele Fans drängen in seine Nähe um EINMAL Sido zu berühren. Und was macht der auf meiner Höhe, er sieht meinen etwas längeren grauen Bart, das faltige Gesicht und tätschelt schon fast zärtlich zweimal meinen Brustkorb, als wollte er sagen: „Alter Mann, ich mach nicht mehr solange, du kannst gleich nach Hause ins Bett.“ Schon war er vorbei. Die jüngeren weiblichen Fans tuschelten und gaben Ihre Freude zum Ausdruck: „Ich hab Sido angefasst.“ Sido hat mich angefasst, was soll ich davon halten.
Das Ende
So ging es weiter. Sido wieder auf der Bühne, holte sich Verstärkung von den Vorspringern und rappte sich durch die Jahrzehnte. Auch der „Astronaut“ durfte natürlich nicht fehlen. Alles in Allem selbst für mich ein gelungenes Konzert. Sido verschwand und alles rief wieder „tatadada daada“. Da war es wieder. Siggi wie er zu Agro Berlin Zeiten auch schon mal gerufen wurde, tauchte wieder auf und führte eine Abstimmung durch. „Wollt Ihr das Lied vom Stein (oder so) hören, oder den (Verzeihung für die Ausdrucksweise) Ar…f.ck Song?“. Alles in mir schrie: Wortwahl! Das Ergebnis war eindeutig, aber Sido sah das anders und sang irgendwas von einem Stein. Das Publikum johlte und schrie und forderte den schon die ganze Zeit gegrölten Song mit dem Refrain „tatadada daada“ von 2002, also noch aus der ganz alten Epoche. Sido war damals 22. Wer mag, kann es sich im Internet suchen. Ich möchte die Textpassagen nicht noch einmal wiederholen.
Unterm Strich bleibt. Eine interessante Erfahrung mit dem Ergebnis: Ich bin zu alt für diese Schei….. LG Euer Grandpa (GP)
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