„Quo Vadis Gesundheitssystem“ – Wohin wird das noch führen?
Am Mittwoch (4. März) referierte Hubert Becher in Birken-Honigsessen während der Veranstaltung der KAB St. Elisabeth in Kooperation mit dem Katholischen Bildungswerk der Erzdiözese Köln zum Thema „Quo Vadis Gesundheitssystem“.
Birken-Honigsessen/Kreisgebiet. Becher, Ortsbürgermeister von Katzwinkel und auch Ratsmitglied im Verbandsgemeinderat, arbeitete Jahrzehnte im Gesundheitswesen als Geschäftsführer verschiedener Krankenhäuser und medizinischer Versorgungszentren. Er sagt von sich selbst, er habe am Anfang seiner beruflichen Laufbahn nie geglaubt, dass das Gesundheitswesen ihn als Kaufmann so in seinen Bann ziehen könnte.
Die KAB St. Elisabeth hatte die Veranstaltung „Quo Vadis Gesundheitssystem“ bereits im vergangenen Jahr geplant, so Christine Hombach, Sprecherin der KAB Birken-Honigsessen. Dass sich dieses brisante Thema durch die angekündigte Schließung der Bereitschaftspraxis in Wissen noch verstärken würde, wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Zum Thema Gesundheitswesen befragte unsere Autorin im Anschluss an den Vortrag den Kenner der Branche, Hubert Becher.
Herr Becher, das 1883 gegründete und einem stetigem Wandel unterliegende Gesundheitssystem in Deutschland sieht sich gerade in der heutigen Zeit enormen Herausforderungen gegenüber. Welche sind dies im Einzelnen und wo sehen Sie das Hauptaugenmerk?
Zunächst einmal ist es richtig, dass Sie in Ihrer Fragestellung bis ins vorletzte Jahrhundert zurückgehen. Krankenversicherungsgesetz (1883), Berliner Abkommen (1913) und das im Grundgesetz (1949) verankerte Sozialstaatsgebot, das Solidarprinzip und die Einführung der Selbstverwaltungsebene nehmen Bund und Länder und Sozialleistungsträger in die Pflicht, die Gesundheitsversorgung der Menschen zu sichern. Wir sprechen da von der Daseinsfürsorge. Diese Eckwerte gelten als zentrale Säulen des deutschen Gesundheitswesens, tragen das Sozialsystem und beeinflussen das Denken und Handeln aller Akteure und Beteiligten bis heute.
Immer wieder wird gesagt, dass im Gesundheitswesen nichts beständiger sei als der Wandel. Wandel ist aber nicht nur schlecht, sondern dahinter verbirgt sich der enorme medizinisch technische Fortschritt, wie die Entwicklung neuer und besserer Behandlungsmethoden und Therapieansätze. Dies greift zum Beispiel positiv auf die Entwicklung der Verweildauer der Patienten in den Klinken. Noch 1990 lag die Zahl der stationären Behandlungstage bei durchschnittlich 14,7 Tage, heute noch bei etwa sieben Tagen. Zudem geht heute vieles auch ambulant, das schätzen die Menschen.
Es wird in Zukunft darauf ankommen, wie wir den Spagat schaffen, auf der einen Seite eine wachsenden Nachfrage nach medizinischen Leistungen zu haben und auf der anderen Seite feststellen zu müssen, dass sich auch in der Gesundheitsbranche ein zunehmender Fachkräftemangel einstellt. Und das nicht mehr nur bei den Ärzten in den Kliniken , Haus- und Facharztpraxen, sondern verstärkt auch bei den Pflegekräften.
Wie will man gerade auch in ländlichen Bereichen die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, die allein schon durch den demographischen Wandel zunehmen (Überalterung), gerecht werden? Welche Anreize auf dem Land könnten helfen?
Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen wird auch in unserer Region weiter steigen. Schon heute ist jeder 6. Einwohner in der Verbandsgemeinde Wissen über 70 Jahre. Damit liegen wir hier voll im Bundestrend. Ich sehe in dieser demographischen Entwicklung auch eine Ergebnisgröße der medizinischen Entwicklung selbst. Dass wir in Europa und in Deutschland jetzt über 70 Jahre in Frieden leben können und dürfen hat diese Entwicklung sicherlich begünstigt. Wir brauchen also auch hier in unserer Region entsprechende Medizinische Angebote. Gerne stelle ich fest, dass der Landkreis Altenkirchen und auch unsere Verbandsgemeinde Wissen sich schon seit Jahren aktiv gegen den drohenden Ärztemangel engagiert. Schwerpunkte der Aktivitäten sind Maßnahmen der Ärztegewinnung wie www.landarzt-ak.de, Famulaturförderung, Medizinercamp und Mitgliedschaften in überregionalen Verbünden wie „Gesundheitsregion Köln/Bonn“ und „Digital Gesundheitsregion“ mit konkreten Projekten. Ich bin überzeugt, dass wir künftig Lösungen in unserem Lebensraum Siegerland, Westerwald - also im Dreiländereck finden müssen.
Wie sieht die Zukunft der Krankenhäuser aus? Welche Rolle kommt dem Neubau des neuen DRK-Krankenhauses hierbei zu?
In den Klinken hat es bei den stationär notwendigen Behandlungen eine ganz enorme Leistungs- und Effizienzsteigerung gegeben. In immer weniger Krankenhäusern gibt es bei einem zeitgleich parallel drastischen Bettenabbau eine sehr große Steigerung bei den Patientenzahlen. Was damit aber auch deutlich wird ist, dass sich durch den rasanten medizinischen Fortschritt die durchschnittlichen Behandlungszeiten halbiert haben. Zudem wurden in den letzten Jahren gewaltige organisatorische Veränderungen umgesetzt: Zentrenbildung, fachübergreifende Therapieansätze, Hybridtechniken und nicht zuletzt die Qualitätsoffensive, der viele Krankenhäuser mit dem Aufbau eines Qualitätsmanagements und Zertifizierungen begegnet sind. Genau dies wird kleineren Krankenhäusern, schon allein aufgrund der gegebenen Fachabteilungsstrukturen und der dadurch begrenzten Stellenpläne vielfach zum Problem. Sie stoßen so an ihre wirtschaftlichen Grenzen und ertrinken „salopp“ gesagt an zu hohen und nicht refinanzierbaren Vorhaltekosten.
Bei der Neubauplanung des DRK Krankenhauses Hachenburg/Altenkirchen überrascht mich, dass die Diskussion der Standortfrage in den letzten Monaten derart vorrangig geführt wurde. Wie sieht das medizinische Konzept der Klink aus? Experten sind sich einig, dass die Zukunft eines Krankenhauses auch maßgeblich davon abhängt wie die Fachabteilungsstruktur ist und wie viele Fachabteilungen unter einem Dach vereint vorgehalten werden. Gerade die älter werdenden Menschen sind vielfach mehrfach erkrankt und benötigen deshalb fachübergreifende Therapien, die Konsile allein nicht kompensieren können. Daneben braucht es eine gewisse Patientenzahl und auch einen sogenannten Fallmix, um auf Dauer so auch wirtschaftlich überleben zu können.
Ob wir es wollen oder nicht, die Konzentration von Klinikstandorten wird weiter gehen. Ich wünsche allen Verantwortlichen auf Trägerebene, aber auch bei der Landeskrankenhausplanung den Mut und den Weitblick hier noch größer zudenken und erhoffe mir als ehemalige Verwaltungsdirektor des Kirchener DRK Krankenhauses, dass auch diese Klink mit ins Blickfeld gerät.
Wer aktuell in Deutschland Arzt werden will, muss mit Abitur-Bestnoten aufwarten (geforderter NC/Numerus Clausus 1,0 bis 1,1 je nach Bundesland). Wie stehen Sie hierzu?
Nachwievor gilt in Deutschland, das zur Ausübung des Arztberufes ein Studium der Humanmedizin mit einem Staatsexamen abgeschlossen werden muss. Auch wenn wir damit in Europa nahezu allein auf weiter Flur sind, sollten wir meiner Auffassung daran festhalten. Gleichwohl gibt es in unseren Nachbarländern bereits heute Mediziner mit Bachelor oder Masterabschluss und da findet auch eine medizinische Versorgung der Bevölkerung statt.
Dass viele deutsche Universitäten in ihren medizinischen Fakultäten verstärkt nunmehr auch andere Auswahlverfahren anbieten, bei denen der NC nicht mehr so im Vordergrund steht, finde ich als einen richtigen Ansatz.
Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister kündigte an, im Gesundheitswesen Struktur zu schaffen. Dies auch durch die Einführung einer elektronischen Patientenakte, die am Ende Zeit und Geld einsparen soll und auch dem Patienten effektiv entgegen kommt. Dem gegenüber steht zum Beispiel der Datenschutz. In vielen Ländern schon praktiziert, hat Deutschland hier den Anschluss auch an andere europäische Länder verloren. Ab 2021 müssen nun die gesetzlichen Krankenkassen eine solche Akte auch bei uns anbieten. Welche Vorteile sehen Sie darin?
Dass wir in Deutschland im IT-Bereich und im Feld der Digitalisierung hinterherhinken, können wir nicht allein den Akteuren im Gesundheitswesen zuschreiben. In erster Linie sind das bei uns die strikten gesetzlichen und KV-rechtlichen harten Abgrenzungen zwischen den ambulanten und stationären Sektoren. Dazu kommt die Europäische Datenschutzverordnung vom April 2019. Die Offensive von Jens Spahn begrüße ich. Er sagt, einfach einmal jetzt, endlich die ersten Schritte zu gehen, anstatt typisch deutsch erst dann loszulaufen, wenn alles und umfassend alles 100 % wasserdicht ist. Viele Bereiche sind das jetzt schon und es ist angezeigt und verantwortbar auch zu beginnen.
Für den Patienten sehe ich den Vorteil, dass alle ihn behandelten Ärzte, Haus-und Facharzt und auch der Krankenhausarzt dank einer elektronischen Patientenakte stets einen aktuellen Stand über Diagnostik, Therapie und Medikation der Patienten haben. Das kann im Sinne der Patientensicherheit nur gut sein. Zudem können Doppeluntersuchungen vermieden werden.
Hat der zunehmende Einfluss der wirtschaftlichen Aspekte im Gesundheitssystem eventuelle Folgen im Hinblick auf Gesundheitsversorgung und Seelsorge? Führen Zielvorgaben, wie im Vertrieb üblich, nicht zu grotesken Vorgängen in den Kliniken?
Ja, das in 2004 eingeführte DRG-System, wonach eine diagnosebezogene Fallpauschale vergütet wird, hat bei vielen guten Ansätzen leider auch Fehlanreize gesetzt. Mindestmengen im Sinne von Qualitätsvorgaben, vorgegeben von den Krankenkassen, haben das zum Teil noch verstärkt. Ich bin froh bei Klinikträgern gearbeitet zu haben, bei denen es natürlich auch um Jahresergebnisse ging, aber weder im Kreis Altenkirchen , noch bei der GFO oder zuletzt bei der Diakonie in Südwestfalen, gab es für die Geschäftsführung oder die Mediziner zweistellige Renditevorgaben. Gerne möchte ich in diesem Zusammenhang anmerken, dass es in meinen Verantwortungsbereichen stets engagierte Mediziner gab und gibt, die professionell, aber auch dem menschenzugewandt ihre Patienten behandeln , ihre Abteilungen erfolgreich geführt und weiterentwickelt haben.
Die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz will im Rahmen einer umfangreichen Reform des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Rheinland-Pfalz die ärztliche Bereitschaftspraxis in Wissen zum 1. Juli schließen. Was sagen Sie dazu?
Die Schließung der Bereitschaftsdienstzentral e in Wissen mit „Optimierungspotenzial“ im Rahmen einer Neustrukturierung der Bereitschaftsdienste in 2020 zu begründen, ist seitens der KV Koblenz schon ein dreister Schritt. Die KV `en haben die Pflicht eine bedarfsgerechte Versorgung der Patienten im ambulanten Bereich sicherzustellen. In anderen Regionen springen vielfach notgedrungen die Ambulanzen der Kliniken ein. Auch wenn diese absolut unterfinanziert in den Notfallzentralen die Patienten nachts , an Wochenenden und Feiertagen behandeln, ja versorgen müssen, gibt es eine derartige Möglichkeit bei uns hier in Wissen im St. Antonius Krankenhaus nicht. Hier muss seitens der KV zwingend nachgebessert werden, wenn wir nicht die ohnehin dünne Hausarzt – und Facharztschiene gänzlich überfordern wollen. Diese Lücken können unsere hoch motivierten Ärzte nicht füllen.
Am 2. April findet das erste Wissener Gesundheitsforum zum Thema „Rund um Herz, Hirn und Bauch“ statt. Wie greift diese Veranstaltung postiv in die die aktuellen Veränderungen im Gesundheitswesen ein?
In der Verbandsgemeinde Wissen werden wir mit dem Wissener Gesundheitsforum eine Plattform erhalten, die den Menschen im Wisserland vielfältige Angebote zur Information und zum kollegialen Austausch mit Universitätsprofessoren bieten kann. Wir möchten das auch als flankierendes Angebot zur Unterstützung sämtlicher Gesundheitsanbieter in der Region verstanden wissen. In der ersten Veranstaltung am 2. April werden wir uns schwerpunktmäßig mit Themen und Fragestellungen aus dem Bereich der Präventionsmedizin befassen können. Prof. Labenz zum Thema Magen und Darm sprechen, Prof. Gündüz widmet sich dem Herz, Kreislaufsystem und Prof. Tanislav referiert zum Thema Schlaganfall. Herzliche Einladung. Denke, dass das ein guter Start für das Gesundheitsforum Wissen werden wird.
Vielen Dank für das Gespräch und die umfassenden Informationen. (KathaBe)
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