Weniger neue Wohnungen: Dem AK-Land fehlt die „Boom-Town“
Schaffe, schaffe, Häusle baue: Die Redewendung aus dem Schwäbischen, von Ralf Bendix 1964 auch in einen Song gekleidet, rangiert im Kreis Altenkirchen eher im Mittelfeld der Dinge, die es im Leben zu erreichen gilt. Zahlen des Statistischen Landesamtes untermauern diese Annahme.
Kreis Altenkirchen. Eine Familie gründen, ein Haus bauen und einen Baum pflanzen: Vielfach wird mit dieser Umschreibung der Sinn des Lebens dargestellt. Aber: Zumindest im Kreis Altenkirchen ist das mit den eigenen vier Wänden so eine Sache. Die Errichtung neuer Wohnungen hinkt laut Statistischem Landesamt in Bad Ems im Vergleich zum Landesdurchschnitt hinterher. Pro 10.000 Einwohner wurden 22,7 Wohnungen im zurückliegenden Jahr 2019 fertiggestellt. Zum Vergleich: Im Westerwaldkreis waren es 39,2, im Kreis Neuwied 31,2 und landesweit 32,8. Lediglich der Kreis Birkenfeld (13,0), der Donnersbergkreis (15,0) und der Kreis Südwestpfalz (16,8) hatten schlechtere Quoten zu verzeichnen. In absoluten Zahlen: 292 Wohnungen (2018: 292) kamen neu hinzu. In der Nachbarschaft waren es 792 (2018: 714/Westerwaldkreis) und 569 (2018: 472/Kreis Neuwied). In ganz Rheinland-Pfalz wurden 13.423 Domizile nach 14.088 im Jahr zuvor gezählt.
Kleiner Rückgang
Die Zahl der neuen Wohngebäude im Land an Sieg und Wied ging gegenüber 2018 um 2 auf 189 zurück, während sie im Westerwaldkreis von 439 auf 499 und im Kreis Neuwied von 184 auf 331 kletterte. Die Baukosten (inklusive Maßnahmen an bestehenden Gebäuden) wurden für 2018 (für 2019 liegen noch keine Zahlen vor) mit rund 70,5 Millionen Euro für den heimischen Kreis ausgewiesen. 166 Millionen Euro waren es im ehemaligen Unter- und Oberwesterwaldkreis, 125 Millionen Euro im Kreis Neuwied. Der Schwerpunkt, wie die Wohnungen zwischen Willroth und Niederschelderhütte geschnitten sind, hatte einen klaren Spitzenreiter im Jahr 2018: 154 befanden sich in einem Gebäude, zwölf Monate zuvor waren 145 in die Statistik eingeflossen. Für den Westerwaldkreis wurden 365 (2017: 354) und für den Kreis Neuwied 164 (2017: 274) vermerkt.
Keine Boom-Town
Wohl gemerkt: Es handelt sich um Bilanzen, die kein Detail abbilden. So gibt es gewiss im AK-Land Regionen, die deutlich über dem Mittelwert lagen, aber auch solche, in denen so gut wie gar keine neuen Wohnungen entstanden. Zudem fehlt im Kreis die ein oder andere Boom-Town als Magnet wie sie Montabaur oder Neuwied mit Koblenz vor Augen darstellen. Viele große Arbeitgeber und gute Anschlüsse ans überörtliche Verkehrsnetz (ICE, weiterer schienengebundener Fernverkehr und Autobahnen) sind in Teilen des nördlichsten Kreis des Landes vor vielen Haustüren nicht präsent. Weil sie als Standortfaktoren für wichtig erachtet werden, könnte die Region womöglich weniger interessant für Häuslebauer sein. Dafür sind die Grundstückspreise "auf dem flachen Land" erheblich moderater als in Ballungszentren, verlegen Familien doch schon hin und wieder ihren Lebensmittelpunkt in Eigenheime, die entlang der Bundesstraßen in die Höhe wachsen, die ihre Fühler Richtung Köln, Bonn oder Siegen ausstrecken.
Zahlen der IG BAU
Die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) legte Zahlen aus ihrer Sicht vor. Danach wurde im zurückliegenden Jahr das Okay für 340 neue Wohnungen erteilt. Das bedeute in Plus von rund acht Prozent gegenüber 2019. Die Gewerkschaft beruft sich auf Zahlen des Statistischen Bundesamts und Erfahrungen der Baustoffindustrie. „Klar ist: Trotz Corona sind die Auftragsbücher voll. Die Firmen arbeiten jetzt die Wohnungsbauprojekte vom Ein- bis zum Mehrfamilienhaus ab“, sagt Walter Schneider, Bezirksvorsitzender der IG BAU Koblenz-Bad Kreuznach. Nun müssten allerdings auch die Beschäftigten davon profitieren. „Bauarbeiter sind nicht nur Garanten dafür, dass wir genug Wohnraum haben. Sie leisten in der Krise seit Wochen einen entscheidenden Beitrag dafür, dass die heimische Wirtschaft nicht völlig abstürzt“, betont er. Der Bau sei eine wichtige Lokomotive für die Konjunktur. Die IG BAU fordert deshalb in den Tarifverhandlungen ein „kräftiges Lohn-Plus“ in Höhe von 6,8 Prozent (mindestens 230 Euro im Monat). Außerdem sollen die Fahrzeiten zur Baustelle entschädigt werden. "70, 80, 90 und mehr Kilometer am Tag sind für Bauarbeiter keine Seltenheit, sondern eher die Regel. Das sind Zeit und Nerven, die sie auf der Straße lassen“, weiß Schneider. Bauleute könnten kein Home-Office machen. Viele säßen täglich zwei oder mehr Stunden im Auto, um auf die Baustelle zu kommen.
Arbeitgeber dämpfen Erwartungen
Logisch, dass die Arbeitgeber für die rund 850.000 am Bau Beschäftigten die Erwartungen der Gewerkschaft dämpfen. Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe rechnet infolge der Corona-Krise mit deutlichen Umsatzrückgängen. „Klar laufen die meisten Baustellen noch weiter“, teilt der Verband mit. „Was aber wirklich Sorge bereitet, ist der Blick nach vorne.“ Der gewerblichen Wirtschaft wie auch den Kommunen fehle das Geld für Investitionen. Äußerst fraglich sei auch, ob private Immobilienbesitzer angesichts von Kurzarbeit und drohender Arbeitslosigkeit noch Geld in ihre Häuser und Wohnungen stecken. (hak)
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