Der Prozess des Alterns und seine Begleiterscheinungen
GASTBEITRAG | Schon die - natürlich von mir gewählte - Bezeichnung Grandpa deutet darauf hin, dass die Schulzeit schon einige Monde hinter mir liegt. Da auch mein Enkel als zarter Trieb in meinem Familienstammbaum sprießt, ist ein gewisses Maß an Geburtstagen schon an mir vorübergezogen. Das hat körperlich wie geistig ein paar Veränderungen mit sich gebracht.
Es begann…
eigentlich schon recht früh. Also nicht von der Tageszeit, sondern in an und für sich jungen Jahren. Irgendwann wurden Bilder rum gereicht und ich war nicht ganz sicher. Sollte ich das sein, der Typ, der dem Fotografierenden den Rücken zu drehte, oder war es doch Scheich „Dawarmalhaarda“. Zwei, drei Bilder später war klar, das war die Kehrseite meiner Medaille. Weshalb hat mir nicht mal mein Friseur gesagt, dass ich nachts kein Rücklicht mehr benötige, so sehr glänzte die Pläte durchs schüttere Haupthaar und bei näherer Betrachtung fiel mir auf, auch die „Geheimratsecken“ hatten mit geheim nichts mehr gemein. Viel mehr waren die „Ecken“ dabei sich mit der nicht gewollten Tonsur zu vereinen.
Es setzt sich fort…
und das nur kurze Zeit später. Ich vermute, dass Bill Gates gemeinsam mit der NSA und dem chinesischen Geheimdienst (damals schon) die Schrift in Zeitungen, Zeitschriften und an Marmeladegläsern schrumpfen lies. Morgens und abends konnte ich gerade in der kalten, dunklen Jahreszeit urplötzlich kaum noch etwas lesen. Hinzu kam, dass ich, vermutlich durch den Klimawandel bedingt, im Dunklen bei Regen mehr schlecht als recht am Verkehr - Straßenverkehr - teilnehmen konnte. Irgendwie wollte vieles verschwimmen.
Ganz im Gegensatz dazu zeigte im gut beleuchteten Bad der Spiegel ganz andere Wahrheiten. Falten im Gesicht, die an Länge und Tiefe schon beachtlich waren und die Haare, die auf dem Kopf verschwunden waren, tauchten völlig unverständlicherweise aus den Ohren und der Nase auf und forderten ständige Pflege.
Dazu entwickelte sich eine gewisse Unbeweglichkeit
Dieses Phänomen entwickelte mehrere Facetten. Zum einen die Bewegung - also eingeschränkte Bewegung. Alles wirkte mitunter nicht ganz so rund, ja fast steif. Mal eben irgendwo runterspringen, drüber springen, ganz schlimm: hochspringen konnte und kann fatale Folgen haben. Während ich früher recht elegant abrollen konnte, haut´s mich jetzt zu Boden wie einen Klotz.
Dazu kam dann mal kurz eine Gleitsichtbrille. Herzlichen Glückwunsch allen, die damit klarkommen. Ich sollte das einige Wochen testen, um mich zu gewöhnen. In meinem ganzen Leben bin ich insgesamt nicht so oft zu Boden gegangen, wie mit dem Ding. Das Abschätzen von Bodenwellen, Löchern oder sonstigen Unebenheiten in der Natur war mir einfach nicht mehr gegeben. Beim einfachen Gang durch den Wald hätte ich Wäsche zum Wechseln mitnehmen müssen, da ich mehr durch den Wald gekullert als gegangen bin.
Teil 2 der Unbeweglichkeit ist eher geistiger Natur
Nicht dass ich das Gefühl hätte, ich sei inzwischen völlig verblödet. Aber vielleicht deutet sich inzwischen auch ein gewisser Altersstarrsinn an. Es war von jeher nicht leicht mich von einer bestimmten Meinung zu überzeugen. Einfache Behauptungen wie „der Himmel ist grün, das ist halt so“, haben noch nie funktioniert. Ich gestehe aber, mit zunehmendem Alter werden Diskussionen mit mir noch schwieriger. Nicht dass ich es für unmöglich halte mich zu überzeugen, allerdings ist es bestimmt nicht leichter geworden. Meine Herzallerliebste lässt mich meist einfach mal drüber schlafen und etwas grübeln - eine oftmals erfolgreiche Methode. Ob das nun der beginnende Altersstarrsinn ist oder in heutiger Zeit ein automatisch entwickelter Schutzinstinkt, sei mal dahingestellt. Das geht hier jetzt aber zu weit. Dazu folgt ein eigener losgelöster Text!
Erstaunlich und unergründlich ist für mich etwas ganz anderes!
Ich fühle mich einfach nicht alt und das, obwohl ich weiß, dass es ganz anders ist. Es ist schon vorgekommen, dass ich im Bus für einen „älteren Herren“ aufgestanden bin - meine Eltern haben mich noch zu Respekt vorm Alter erzogen! Auf Grund des völlig verstörten Blicks des Herrn habe ich dann doch mal die Denkzentrale aktiviert und festgestellt: „Der gute Mann sieht eigentlich jünger aus als du!“ Verdammt, was soll man machen, wenn man dann allein mitten im Fettnapf steht. Zumindest daraus lernen und das nächste Mal vorher denken. Was soll ich sagen, ist schon des Öfteren passiert. Soweit zu lernfähig.
Höchststrafe ist dann übrigens, wenn irgendwelche Kids aufstehen, um mir den Platz anzubieten. Glücklicherweise kommt das heutzutage nicht mehr allzu oft vor. Ich winke dann ab, wende mich ab, aber ab und zu nehme ich das Angebot an. Ich bin mitunter müde, wegen verschiedener Dinge.
Festivitäten gefallen mir am besten, wenn in der Folge wenigstens zwei freie Tage anstehen. Die Erholungswerte nach ausufernden Feiern sind für ein Leben am nächsten Tag nicht mehr ausgelegt und das sogenannte Konterbier versaut mir gleich die komplette anschließende Woche. Zwei, drei Tage Festival bringen mich an die Belastungsgrenze und erfordern im Anschluss eine 14-tägige Auszeit. Selbst längere Motorradausfahrten erfordern im Anschluss einen gewissen Zeitraum der Erholung. Das sind alles eindeutige Zeichen, aber…
Was mich am meisten verwundert
In einigen ernsthafteren Diskussionen/Gesprächen - gehört nicht mehr zu meinen Kernkompetenzen - kommen ganz alte Gefühle hoch. Wenn eine etwas autoritärere Person das Wort ergreift, fühle ich mich plötzlich wieder wie ein Pennäler. Frühkindliche Abwehrmechanismen werden unbewusst vom Körper eingeleitet - schon immer hatte ich Probleme mit Autoritäten - und hin und wieder, wenn ich mich nicht rechtzeitig zur Ordnung rufe, nehmen diese Gespräche geradezu einen grotesken Verlauf. Das mag auch an meinem Gegenüber liegen, der vor sich einen älteren erfahrenen Mann sieht, der sich wie ein bockiger Teenie verhält. Damit kommt nicht jeder klar, schon gar nicht meine Lebensabschnittspartnerin, deren deutliche Hinweise ich inzwischen zu beachten weiß. Ich habe die Folgen einer Nichtbeachtung kennengelernt.
Und mein Verhalten, wenn jüngere Menschen - und das sind schon recht viele - anwesend sind. Bis vor kurzem dachte ich noch, die würden mich verstehen und als gleichgestellt einordnen. Kürzlich bei einem Umzug wurde ich allerdings eines Besseren belehrt. Der Hinweis eines gerademal dreißigjährigen Schnösels: „Lass uns (da war ein weiterer Schnösel) man lieber den Schrank tragen. Du kannst einen Stuhl mitbringen!“ öffnete mir brutal die Augen „Alter Mann, das ist zu schwer für dich, nimm was Leichtes, sonst klappst du uns hier noch zusammen.“ Ja, so hieß das doch übersetzt.
Und so weiß ich inzwischen, sitze ich mit den folgenden Generationen zusammen, bin ich nicht mehr cool, sondern mache mich oft genug zum Affen. Mein Schatz hat’s schon lange gesagt, denn: Ich bin zu alt für diesen Schei….! Euer Grandpa
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