Strauß oder Phönix? Wie reagiert die Wäller Wirtschaft auf Corona?
Dass die aktuelle Situation für unsere Gesellschaft außergewöhnlich ist steht außer Frage und man sagt: „Außergewöhnliche Herausforderungen fordern außergewöhnliche Lösungen“. Wie können Lösungen aussehen und wie reagieren die Westerwälder Unternehmen, um sich für die Zukunft zu positionieren?
Region. Zu der Frage geben Elisabeth Schubert, Hauptgeschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Rhein-Westerwald, Richard Hover, Geschäftsführer der IHK-Geschäftsstelle Montabaur und Katharina Schlag, Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Westerwaldkreis mbH ihre Einschätzung.
Seit Monaten gibt es – auch für die Unternehmen der Region – nur ein Thema: Corona und die Auswirkungen. Wie ordnen Sie diese gegenwärtige Fokussierung ein?
Schlag: Akute Situationen fordern immer unmittelbare Aufmerksamkeit, insbesondere wenn sie die unternehmerische Existenz bedrohen, was in einigen Branchen auch im Westerwaldkreis der Fall ist. Akute Situationen lassen aber andere grundsätzliche Themen und strategische Fragestellungen nicht verschwinden und unwichtig werden.
Hover: Wir halten es für wichtig, nicht zu vergessen, dass die „vor-Corona-Themen“ nach wie vor präsent sind und unserer Aufmerksamkeit bedürfen.
Schubert: Viele Handwerksbetriebe hat die Corona-Krise mit voller Wucht getroffen. Da ist es ganz normal, dass der Fokus nur auf dieses Thema gerichtet wird und erst einmal andere, den Zeitraum vor Corona betreffende Themen in den Hintergrund gerückt sind. Dennoch wäre es ein Fehler, alle weiteren betriebswirtschaftlichen oder strukturellen Themen gänzlich außer Acht zu lassen.
Wie sehr und lange werden der Lock-down und die sonstigen, weiterhin bestehenden Einschränkungen die hiesige Wirtschaft belasten? Werden wir zum Normalzustand – was auch immer das heißen mag – zurückkehren?
Schubert: Die Verantwortlichen in den Betrieben waren in den vergangenen Wochen sehr damit beschäftigt, Zuschuss- und Stundungsanträge zu stellen, um einigermaßen Schadensbegrenzung zu betreiben. Dennoch ist es in einigen Bereichen des Handwerks zu großen Umsatzverlusten gekommen. Geschäftsfelder sind weggebrochen oder Betriebe mussten wochenlang geschlossen werden. Der Großteil des Jahresumsatzes ist in den vergangenen Wochen bereits verloren gegangen und wird bis zum Jahresende nicht aufzuholen sein. Die Lockerungen halte ich für wichtig, damit die Wirtschaft, wenn auch langsam, wieder Fahrt aufnehmen kann. Dennoch glaube ich, dass es noch lange dauern wird, bis wir den „Normalzustand“ wieder erreichen werden.
Hover: Soweit ich es einschätzen kann, haben die bisherigen Maßnahmen zu deutlichen Einbrüchen in einigen Branchen geführt und werden eine Erholung für einige Betriebe unmöglich machen. Im Rückblick halte ich aber den ersten Schritt des Lock-Down für richtig. Wie sich die weiteren Maßnahmen jetzt entwickeln bleibt abzuwarten.
Schlag: Ich gehe nicht davon aus, dass wir den bisherigen „Normalzustand“ wieder eins zu eins erreichen werden – ohne das bewerten zu wollen – und glaube, dass die Nachwirkungen noch lange spürbar sein werden.
Nochmal anders gefragt: Wie wird Ihrer Einschätzung nach die Nach-Corona-Zeit aussehen und sich die Wirtschaft, die Unternehmen verändert haben?
Hover: Wie gesagt, wird es Betriebe geben, die diese Situation aus den unterschiedlichsten Gründen nicht überstehen werden, aber ich glaube, dass es auch eine Chance sein kann.
Schubert:Ich gehe davon aus, dass wir eine höhere Akzeptanz für flexible Arbeitszeitmodelle und digitalisierte Prozesse oder Arbeitsmethoden erleben, aber auch eine neue Wertschätzung für regionale Produkte und den persönlichen Kontakt.
Schlag: Ich glaube nicht, dass wir eine Nationalisierung zum Beispiel bei den Lieferketten sehen werden. Das wird allein der Kostendruck im Wettbewerb nicht erlauben. Es wird aber wohl eine verstärkte Diversifizierung geben, um zu starke Abhängigkeiten zu vermeiden.
Konkret: Welche Anpassungen erwarten Sie in der Wirtschaft? Wie werden künftig Geschäfte eingeleitet, Kunden angesprochen, bedient? Wird die Ökologie auch in Unternehmen eine größere Rolle als bisher spielen oder tritt diese wegen der Notwendigkeit der akuten Existenzsicherung erstmal in den Hintergrund?
Hover: Sicherlich wird es branchen- und geschäftsmodellspezifische Unterschiede geben. In jedem Fall halte ich es für entscheidend, dass die Unternehmen sich bewusst mit den veränderten Rahmenbedingungen auseinandersetzen und versuchen, diese für sich zu gestalten. Wir haben schon viele kreative Lösungsansätze in der Region gesehen. Es ist eine gute Gelegenheit, die eigenen Prozesse zu hinterfragen und zu verändern.
Schlag: In Schockstarre zu verfallen und abzuwarten bis Corona vorbei ist, ist nach meiner Einschätzung eine riskante Strategie. In nicht wenigen Betrieben wurden bereits die Schritte gemacht. Wenn zum Beispiel ein Lieferdienst angeboten wurde oder die Kunden mit einem neuen Terminvereinbarungsprozess gut zurechtkommen, ist zu überlegen, diese Veränderungen beizubehalten und sogar auszuweiten. Es wird in fast jedem Bereich Anpassungspotentiale geben, die die Zufriedenheit von Kunden, Lieferanten oder den Mitarbeitern erhöhen können. Dafür sind jetzt die Weichen zu stellen. Auch wenn der Mensch die Tendenz hat schnell in alte Verhaltensmuster zurück zu fallen, so glaube ich dennoch, dass es eine vollständige Rückkehr zur bisherigen Normalität nicht geben wird – und vielleicht ist das gar nicht so schlecht.
Schubert: Meiner Meinung nach wird die Existenzsicherung oberste Priorität haben. Das Handwerk hat immer wieder gezeigt, dass es sich wirtschaftlichen Veränderungen anpassen und Krisensituationen meistern kann. So auch in Zeiten von Corona. Neue Geschäftsmodelle wurden entwickelt und damit Einnahmemöglichkeiten generiert. Digitale Medien wurden genutzt, um eine Verschlankung von Arbeitsprozessen herbeizuführen. Es wäre fatal, diese neugewonnenen Möglichkeiten zukünftig nicht mehr fortzuführen oder auszuweiten.
Was würden Sie den Unternehmen vor diesem Hintergrund raten, wenn es darum geht, sich schon jetzt für diese Zukunft, für diese Post-Corona-Zeit aufzustellen? Wie kann zum Beispiel die Bedeutung betrieblicher Resilienz deutlicher vermittelt werden – Stichwort: Corona 2.0?
Schubert: In jeder Krise stecken Chancen. Auch wenn eine derartige Äußerung in der jetzigen Zeit vermessen erscheint, so haben die vergangenen Wochen gezeigt, dass viele Unternehmen diese Krisenzeit für ein Überdenken ihrer Firmenstrukturen genutzt haben. Corona hat einerseits Schwächen aufgedeckt aber andererseits auch den Raum für neue Möglichkeiten geschaffen. Diese müssen genutzt und vorangetrieben werden, um das Unternehmen für die Zeit nach Corona stark zu machen.
Hover: Die Wäller Wirtschaft hat schon bei vielen Herausforderungen gezeigt, dass sie von der Grundtendenz her dazu neigt, kreativ zu werden und nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Diese Kraft, die in ihr steckt, hat diese Wirtschaft in den letzten 25 Jahren durch alle konjunkturellen Schwankungen immer weiter nach oben getragen und zum zweitstärksten Kreis im Land werden lassen.
Schlag: In der Tat: Die schlimmste Reaktion, wie immer für Unternehmer, ist, keine Entscheidung zu treffen und in Angst abzuwarten. Ich würde Folgendes empfehlen: Mitarbeiter aktiv in die Lösungsfindung einbeziehen, sich mit anderen Unternehmern und Unternehmerinnen austauschen, mit einer Mischung aus Bodenständigkeit und Mut zu entscheiden, damit die Unternehmen zukunftsfähig – also enkeltauglich – bleiben und bei Fragen die WFG, IHK oder Kreishandwerkerschaft kontaktieren
Bei allen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen „Die Wäller Unternehmen haben eindeutig mehr Phönix als Strauß in sich“, begründet das Trio abschließend seinen zuversichtlichen Blick auf die weiteren Entwicklungen. (PM)
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