Neues Netzwerk im Kreis hilft „LSBT*IQ“-Menschen
Menschen leben ihre Sexualität inzwischen viel differenzierter aus, als es die Gesellschaft über Jahrhunderte hinweg duldete. Das gerade für den Kreis Altenkirchen gegründete Netzwerk "LSBT*IQ" will Anlaufstelle sein und Angebote schaffen für diejenigen (vor allem Jugendliche und deren Angehörige), die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und ihrer geschlechtlichen Identität Ausgrenzung und Mobbing erfahren.
Altenkirchen. Es ist keine Formel aus dem Chemieunterricht: "LSBT*IQ" fasst Menschen erst seit diesem Jahrhundert zusammen, die außerhalb der heterosexuellen und zweigeschlechtlichen Norm stehen. Die einzelnen Buchstaben stehen für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender (Sternchen), intersexuell und queer. Um dieser Gruppe zu helfen, hat sich im Kreis Altenkirchen das LSBT*IQ-Netzwerk gegründet, das von drei Institutionen getragen wird: Hiba in Wissen, Kompa (evangelisches Kinder- und Jugendzentrum) in Altenkirchen und Mehrgenerationenhaus "Mittendrin" in Altenkirchen (mit dem Diakonischen Werk des evangelischen Kirchenkreises im Rücken). Das Trio, das seit vielen Jahren schon auf anderen Ebenen sehr intensiv zusammenarbeitet, weiß zudem das Jugendamt der Kreisverwaltung auf seiner Seite. Der Hintergrund für die "Geburt": Im ländlichen Raum gibt es kaum Anlaufstellen für Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und ihrer geschlechtlichen Identität Ausgrenzung und Mobbing erfahren. Genau an dieser Stelle setzt die neue Struktur an. Jungen Menschen und ihren Angehörigen sollen niederschwellige, anonyme und individuelle Beratungs- und Unterstützungsangebote zuteil werden. Darüber hinaus möchte das Netzwerk mit Veranstaltungen wie Fachtagen oder Kulturevents zum wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs beitragen.
Öffentlichkeit muss sensibilisiert werden
"Es gilt, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, die Thematik im Landkreis zu initiieren, dass das Thema überhaupt als Thema wahrgenommen wird", sagte Wiebke Herbeck, die Leiterin des Kompa, bei der Präsentation des Netzwerkes im Mehrgenerationenhaus "Mittendrin" am Dienstagmorgen (21. Juli). Es seien viele Menschen von der Problematik betroffen, ergänzte Dominic Pritz, der ebenfalls fürs Kompa arbeitet. Schätzungen gehen davon aus, dass vier bis zehn Prozent der Gesamtbevölkerung dem LSBT*IQ-Spektrum zugeordnet werden können. "Es besteht ein sehr hoher Bedarf an Hilfen", fuhr Pritz fort und gründete seine Einschätzung auf die Erkenntnisse aus der Kompa-Veranstaltungsreihe "90 Tage wir", in der es um LSBT*IQ mit Konzerten Ausstellungen und Theaterstücken gegangen sei, "auf dem Land tun sich Menschen im Umgang mit dem ,anders sein' deutlich schwerer als in einer Großstadt."
Thema ist komplett neu
"Weil das Thema neu ist, haben wir keine Erfahrung mit ihm", erklärte Hiba-Schulsozialarbeiterin Alia Sinno-Segieth. Dass überhaupt etwas in dieser Richtung in Bewegung gekommen sei, machte sie am "Christopher Street Day" fest, dem seit 50 Jahren regelmäßig ausgerichteten Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Menschen, an dem für die Rechte dieser Gruppe gegen Diskriminierung und Ausgrenzung demonstriert wird. "Die gesellschaftlichen Situationen ändern sich", sah Sinno-Segieth den Boden bereitet, um das Netzwerk ins Leben gerufen zu haben. Sie ergänzte: "Menschen, die anders sind, leiden sehr. Sie fallen in der Schule auf, werden Opfer von Mobbing und können dem Druck nicht mehr standhalten. Sie dürfen nicht so sein, wie sie sind, und erkranken psychisch." Christoph Weller (Hiba) sprach davon, "diesen Menschen das Leben zugänglich zu machen", es gehe auch um eine Barrierefreiheit. Es gelte zu klären, "wie wir mit Menschen umgehen, die vielfältig sind. Neue Schubladen dürfen nicht aufgemacht werden".
Keine Resonanz vor sieben Jahren
Silke Seyler, die Koordinatorin des Mittendrin, blickte ins Jahr 2013 zurück, als schon einmal versucht worden sei, eine LSBT*IQ-Veranstaltung zu organisieren, die Resonanz eher schwach gewesen sei. "Jetzt aber ist die Zeit reifer geworden für dieses Thema, wir müssen diesen Menschen die Strukturen bereitstellen. Es ist wichtig, dass wir überhaupt gestartet sind", meinte sie. Für Herbeck ist es eminent wichtig, dass Menschen merken, dass "ich nicht allein im Landkreis bin. Ich habe hier meinen Platz, hier habe hier meine Community", so dass eine Flucht in die Großstädte, wie sie Pritz beschrieb, nicht mehr notwendig sei, zumal bei der Jugendgruppe im Kompa größter Wert auf Anonymität gelegt werde.
Die Angebote im Überblick
Die Angebote im Überblick - Beratung, Begleitung, Aufklärung erfolgt über den Hiba für queere und nicht geoutete Schüler. Unterstützung für Lehrer zu allen queeren Themen ist ebenfalls im Angebot; Kontakt: Tel 0157/364 837 64 oder per Mail an beratung@hibaev-ak.de; Jugendgruppe ab 12 Jahren im Kompa, Treffen für queere und nicht geoutete zweimal im Monat mit vielfältigem Programm; Kontakt: Tel. 0160/379 833 70 oder per Mail an jugendgruppe@kompa-altenkirchen.de; Stammtisch für Angehörige (Eltern, Partner, erwachsene Kinder und Anverwandte) im Mehrgenerationenhaus, letzter Mittwoch im Monat, 19 bis 21 Uhr; Kontakt: Tel: 0157/352 082 57 oder per Mail an stammtisch@mgh-ak.de (hak)
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