„Was in der Arktis passiert, bleibt nicht in der Arktis“
Dr. Volker Rachold, Leiter des Deutschen Arktisbüros am Alfred-Wegener-Institut (AWI) Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Potsdam, überzeugte am Freitagabend im Kulturwerk in Wissen mit seinem Vortrag „Was in der Arktis passiert, bleibt nicht in der Arktis“ die Zuhörer mit seinen profunden Kenntnissen von den arktischen Regionen.
Wissen. Der Wissenschaftler war Expeditionsleiter bei acht Expeditionen nach Sibirien sowie zahlreichen Aufenthalten auf Spitzbergen und Grönland. Winfried Möller-Rosenbauer, Mitglied der „Wissener Eigenart“ und pensionierter Erdkunde-Lehrer, hatte den Kontakt geknüpft und Rachold nach Wissen geholt. Die Veranstaltung war, der Pandemie geschuldet, die einzige verbliebene einer ursprünglich sieben Veranstaltungen umfassenden „Nordlichter-Reihe“ im Rahmen des Kultursommers 2020. „Wir als Veranstalter waren der Ansicht, dass dieses zentrale Problem globalen Ausmaßes nicht dem Diktat eines Virus zum Opfer fallen darf“, so Möller-Rosenbauer in seiner Begrüßung.
Dr. Rachold zeigte sich verwundert über die wenigen Jugendlichen im Publikum. In Zeiten der „Frydays For Future“-Bewegung und Aktivistin Greta Thunberg, konnte sich das mangelnde Interesse auch Zuhörer Jens Wöllner, Lehrer des Freiherr-vom-Stein Gymnasiums Betzdorf, der seine Schüler extra auf den Vortrag aufmerksam gemacht hatte, nicht erklären. Zumindest waren Charlotte, Sophia, Ben und Andronik, Schülerinnen und Schüler des Wissener Gymnasiums, aus eigenem Antrieb gekommen.
Klima beschäftigt die Gesellschaft länger als Corona
Für Dr. Rachold ist es wichtig wegen Corona nicht die Klimaentwicklung zu vergessen, die werde uns und unsere Nachfahren länger beschäftigen als die Pandemie und dürfe wegen der jetzigen Krise auf keinen Fall in Vergessenheit geraten. Was in der Arktis passiere, das betreffe die ganze Erde. Das Expeditionsschiff, der Eisbrecher „Polarstern“ habe ein ganzes Jahr lang in der Arktis durchgehend messen können. Viele der Passagen waren bereits eisfrei zu durchqueren. Ziel der Expedition sei es zu erforschen, wie sich die Arktis-Prozesse auf unser Klima in Europa auswirken. 2020 sei für die Arktis ein ganz extremes Jahr. Vor einem Monat hätte die Temperatur in Spitzbergen bei 21,7°C gelegen, was für die Region unfassbar warm sei, die wärmste Temperatur die dort jemals gemessen wurde.
1982 gab der Konzern Exon Mobil eine Studie in Auftrag. Wissenschaftler hatten modelliert, wie sich der CO2-Gehalt ändern wird und wie dies die Temperatur beeinflusst, wenn der Ausstoß von Treibhausgasen so weiter geht wie damals vorgestellt. Das Ergebnis der Studie wurde geheim gehalten und erst vor einem Jahr von Journalisten aufgedeckt und veröffentlicht. Fast ein Viertel des CO2 geht in die Ozeane, wodurch diese versauern, was unter anderem dazu führt, dass es Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich keine Korallenriffe mehr geben wird. Im natürlichen System bewegen wir uns eigentlich in Richtung einer neuen Kaltzeit. Durch die Erwärmung um ca. 1 Grad durch den Menschen hätten wir es tatsächlich geschafft in kurzer Zeit in einem Prozess der normalerweise 100.000 von Jahren dauert, das gesamte System aus der Bahn zu werfen, so Dr. Rachold. Die Angst, dass der Golfstrom in ferner Zukunft nicht mehr existiert, dem haben die Forschungen widersprochen, allerdings würde die Fließgeschwindigkeit wesentlich schwächer. Durch das Schmelzen des Eises wird der Jetstream in Kurven nach unten oder auch nach oben getrieben, mit der Konsequenz der jetzt schon jetzt erfolgenden Kälteeinbrüche im späten Winter in Nordamerika, sowie extrem langen, heißen Trockenperioden in Europa und vor allem in Deutschland.
Dr. Rachold prognostizierte, dass wenn die CO2 Emissionen unvermindert fortschreiten, die mittlere Temperatur bis zum Jahre 2100, wenn wir uns nicht an das Klimaabkommen von Paris halten, um ca. 4 Grad steigt, in der Arktis 2- bis 3-mal mehr. Messungen des Institutes zeigten während des Lockdowns im März/April 2020, dass die CO2-Emissionen nachgelassen hatten. Der durch Flug- und Schiffverkehr verursachte, geringere Einschnitt wurde allerdings durch erhöhten Verbrauch in den privaten Haushalten wieder ausgeglichen. Der nächste Schritt sei jetzt zu sehen wie man das CO2 aus der Atmosphäre wieder heraus bekäme, zum Beispiel durch Wiederaufforstung. Das Problem sei allerdings seines Erachtens nicht die großen Hitze- und Dürrewellen in Deutschland, sondern, dass große Gebiete der Erde unbewohnbar würden durch den Anstieg der Meeresspiegel und die Ausbreitung der Wüsten, was zu einer riesigen Bewegung von mehreren Millionen Flüchtlingen führen werde.
Den Hype bezüglich Elektro-Autos als Klimaverbesserer konnte Rachold nicht nachvollziehen. Er sehe diese temporäre Entwicklung eher kontraproduktiv wegen der hohen Produktionskosten für die Akkus und dem Gewinn des Stroms überwiegend aus Braunkohle-Kraftwerken. Die Zukunft würde auf Wasserstoff hinauslaufen.
Anschließend hatten die Zuhörer im Kulturwerk und vor allem der komplette Erdkunde-Leistungskurs des Kopernikus-Gymnasiums Wissen als Teilnehmer des livestreams die Gelegenheit Dr. Rachold Fragen zu stellen, was auch rege genutzt wurde. (ma)
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