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Nachricht vom 09.09.2020    

Mangel an bezahlbarem Wohnraum auch im AK-Land ein Problem

Es gibt Probleme, die eher - oberflächlich betrachtet - den Ballungszentren zugeschrieben werden. Folgt der weit verbreiteten Ansicht, nur in Städten wie Köln, Bonn und Co. herrsche ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum, offenbart ein genauerer Check: Auch in der heimischen Region ist dieses Thema längst angekommen.

Wie kann bezahlbarer Wohnraum entstehen? Darüber tauschten sich (von links) Jürgen Kolb, Myriam Lauzi, Matthias Gibhardt, Christa Abts, Hans Röhrig und Margit Strunk aus. (Foto: hak)

Altenkirchen. "Mehr bezahlbarer Wohnraum in Rheinland-Pfalz & Saarland - Aber wie?" ist der Titel einer Ausstellung, die im Mehrgenerationenhaus "Mittendrin" in Altenkirchen zu sehen ist und anschließend Station in der Villa Krämer in Kirchen macht. Auf Roll-ups beschreiben die Friedrich-Ebert-Stiftung und der DGB Rheinland-Pfalz/Saarland die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt. Die Not, eine Bleibe zu finden, die den Geldbeutel nicht über Gebühr beansprucht, ist längst kein Alleinstellungsmerkmal der Ballungszentren mehr. Das wurde in einer Gesprächsrunde im "Mittendrin" am Mittwochmorgen (9. September) deutlich. Nach rund 90 Minuten zog Altenkirchens Stadtbürgermeister Matthias Gibhardt ein Fazit: "Der Wille, über bezahlbaren Wohnraum zu sprechen ist da. Wir müssen auf die große Not aufmerksam machen. An das Thema müssen wir ran." Die Stadt Altenkirchen und das Diakonische Werk sind gemeinsam Veranstalter der Ausstellung.

Kleine Wohnungen fehlen
Zuvor hatte Margit Strunk, die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks des evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen, deutlich dargelegt, dass sich "das Thema bezahlbarer Wohnraum deutlich verschärft hat. Es sind viele verschiedene Ziel- und Altersgruppen involviert, und das Problem ergibt sich aus unterschiedlichen Gründen." Sie nannte die Änderung der Lebenssituation, erklärte, dass ältere Menschen und diejenigen, die sich an Vorgaben zu halten haben, betroffen seien. Strunk kritisierte vor allem den "Mangel an kleinen Wohneinheiten". Das Thema begleite die Diakonie-Mitarbeiter in zahlreichen Beratungsgesprächen. Genau diesen Sachverhalt bestätigte Christa Abts, die Leiterin des Caritasverbandes Altenkirchen: "Das hören wir oft von den Kunden unserer Tafel und in vielen Sozialberatungen." Laut eines Antrages der Kreistag-Fraktion "Die Linke", der im Herbst 2019 auf die Gründung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft auf Kreisebene abgezielt hatte, fehlen im AK-Land rund 6300 Wohnungen für ein oder zwei Menschen. Inzwischen wird der Aufbau einer solchen Institution nicht mehr weiter verfolgt, da es laut Gibhardt "keine Mehrheit gab, das Thema anzufassen".

Ein faktischer Baustopp
Myriam Lauzi vom DGB Rheinland-Pfalz/Saarland arbeitete den Hintergrund der Misere auf. Zunächst einmal sei in der Landesverfassung niedergeschrieben, dass angemessener Wohnraum geschaffen werde müsse. "Dem muss nachgekommen werden", forderte sie. Das Land habe sich in den 1980er- und 1990er-Jahren vom sozialen Wohnungsbau verabschiedet in der Annahme, der Wohnungsmarkt sei gesättigt. "Das war ein faktischer Baustopp. Die Fehler der Vergangenheit holen uns jetzt sein", ergänzte Lauzi. Darüber hinaus sei die Zahl der Sozialwohnungen zwischen 2008 und 2019 von 77.308 auf 50.231 gesunken. Sie definierte die Bezahlbarkeit: Die Mietbelastungsquote dürfe maximal 30 Prozent des Nettoeinkommens betragen. Viele Menschen könnten sich das nicht mehr leisten, sie wendeten teilweise 50 bis 60 Prozent für die Miete auf. Lauzi wiederholte eine grundsätzliche Forderung des DGB nach "guten Löhnen, um sich bezahlbaren Wohnraum leisten zu können".



Zuzahlungen an der Tagesordnung
Speziell auf die Probleme von Alleinerziehenden, die Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) sind, machte Hans Röhrig, Ehrenamtler im "Mittendrin", aufmerksam. Im Kreis Altenkirchen müssen seiner Aussage nach rund 73 Prozent dieser Leistungsempfänger Zuzahlungen zur Miete im Schnitt von 70 Euro pro Monat leisten. "Das ist ein nicht haltbarer Zustand. Viele stehen wirklich mit dem Rücken zur Wand", verdeutlichte Röhrig, den noch weitere Zahlen stutzig machten. Er nannte zum einen die Differenz bei Quadratmetermietpreisen zwischen frei finanzierten (5,20 Euro) und öffentlich geförderten Einheiten (5,64 Euro/Stand 31. Dezember 2017) und zum anderen den Unterschied bei den Quadratmeterpreisen zwischen kleinen Wohnungen unter 40 Quadratmeter (8,10 Euro) und großen über 120 Quadratmeter (4,59 Euro/Stand 31. Dezember 2018).

Enorme Steigerung
"Die Mietpreise und die Baukosten sind von 2018 bis 2020 ganz enorm gestiegen", berichtete Jürgen Kolb, der in der Hausverwaltung von Christina Siedler mitarbeitet. In Altenkirchen betrügen die Baukosten für einen Quadratmeter zwischen 2200 und 2400 Euro, "verkauft wird er mit rund 2700 Euro", ergänzte Kolb und gab die Mietkosten mit 6 bis 6,50 Euro pro Quadratmeter, in einem Neubau gar mit 7,30 bis 8,50 Euro an. Die Stadt gehöre der Sozialstufe II mit einem Quadratmeterpreis von 4,90 Euro an. "Neue Wohnungen kommen in Altenkirchen gar nicht mehr in den freien Markt. Sie werden nur noch unter der Hand verkauft", erwähnte er. Vor dem Hintergrund, dass finanziell gut ausgestattete Menschen dank immens niedriger Zinsen "das Geld von der Bank nehmen" und in Immobilien investieren würden, "bieten sich eher die Ballungszentren mit einer Rendite zwischen 4 und 6 Prozent als das flache Land mit 2 bis 2,5 Prozent an", erklärte Kolb, der über Jahrzehnte in führenden Positionen in der öffentlichen Verwaltung tätig war und deswegen resümierte: "Privat wird günstiger gebaut als öffentlich."

Viele dicke Bretter bohren
"Wir müssen das Thema, das komplex und bedeutsam ist, ins Bewusstsein rufen. Es ist quer durch viele Lebensbereiche vorhanden. Wir müssen im Hintergrund dicke Bretter bohren", lautete Strunks Bilanz. Lauzi, die auch über die gut funktionierende, "pfiffige" kommunale Wohnungsbaugesellschaft in Mainz informierte hatte, fügte an, dass "nicht überall ein Problembewusstsein vorhanden ist". Jedes Gespräch helfe. Gibhardt schlug vor, die Informationen für Betroffene zu verbessern, Gespräche anzustoßen, "kleinteilige Lösungen" anzustreben und ermahnte das Land, "die Förderung für Sozialwohnungen attraktiver zu machen und zu erhöhen. Zum Punkt Finanzen ließ Lauzi einfließen: "Geld im Land ist da", es werde nur nicht abgerufen. "Wir sollten uns anschauen, was andere schon gemacht haben. Es gibt Konzepte, da baut man um ein Drittel unter den normalen Kosten", wusste Röhrig. (hak)


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