Werbung

Nachricht vom 27.09.2020    

Buchtipp: „Zauberer des Zirkels“ von Sonja Ulrike Klug

Von Helmi Tischler-Venter

Die Autorin recherchiert, wie es im Mittelalter möglich war, eine Kirche wie den Kölner Dom oder Notre Dame de Paris (wieder) aufzubauen ohne Baupläne. Denn es fehlen aus dieser Zeit Bau- und Konstruktionspläne, die eine vollständige Planung darstellen. Sind sie verschollen oder verloren gegangen? Aus heutiger Sicht ist es unvorstellbar, eine komplexe Kathedrale „planlos“ zu errichten.

Buchtitel. Foto: Verlag

Dierdorf/Oppenheim. Von vielen Historikern wird unterstellt, die Baupläne seit der Antike bis zum 13. Jahrhundert müssten verloren gegangen sein. Die Autorin widerspricht, es habe einfach gar keine Pläne gegeben und belegt ihre These anhand kulturgeschichtlicher Linien der Epoche 11. bis 16. Jahrhundert. Sie überprüft die Verfügbarkeit von Beschreibstoffen (Papyrus, Pergament, Papier), den Grad der Alphabetisierung, Umgang mit Schriftlichkeit, Parallelen zur islamischen Architektur, Fehlübersetzungen, das Bildungswesen des Mittelalters und dessen mathematisches Know-how sowie die zur Verfügung stehenden Bau- und Zeichen-Instrumente.

Klug zeigt auf, dass die Europäer im 12. Jahrhundert Papier kennenlernten. Mit dem Fallen des Papierpreises ab dem 15. Jahrhundert nimmt die Anzahl der Baupläne zu. Die kulturelle Fähigkeit des Lesens und Schreibens entwickelte sich dagegen erst viel später. „Angehörige oraler bzw. präliteraler Kulturen können sich komplexe Sachverhalte und Zusammenhänge in einem Umfang merken, wie wir uns das kaum vorstellen können. Von daher erscheint es selbstverständlich, dass Baumeister sich komplexe Gebäude ausdenken und alle erforderlichen Details im Kopf behalten können.“ Für die Weitergabe des Wissens dürften die Meister der Bauhütten zuständig gewesen sein.

Im 13. Jahrhundert fixierte man Risse von Baudetails auf Pergament. So wurde zum Beispiel die Westfassade des Kölner Doms auf 20 zusammengeklebten einzelnen Pergamenten sehr unterschiedlicher Größe in einer Gesamthöhe von 4,06 Metern und einer Gesamtbreite von 1,66 Metern gezeichnet. Die Bedeutung der Pläne stieg im 15. Jahrhundert, sie nahmen einen rechtsverbindlichen Charakter an.

In der Antike und auch im Mittelalter erfolgte das Aufmaß direkt auf dem Baugrund, indem ausgehend von einem Nadelpunkt eine Nord-Süd-Achse und senkrecht dazu der Schnittwinkel gezogen wurde. Die durch Parallellinien zum Achsenkreuz eingegrenzte Fläche bildete den späteren Raum des Gebäudes. Man arbeitete mit Richtschnur, Pflöcken, Zirkel, Richtscheit, Rechtewinkelmaß, Lot und Lotwaage, um den Grundriss exakt zu vermessen.



Das für die Anfertigung von Bauplänen benötigte mathematische Wissen fehlte, weil die Lehrwerke in Latein verfasst waren, das die Baumeister nicht beherrschten und weil die bis weit ins 15. Jahrhundert verwendeten römischen Ziffern zur Durchführung von Berechnungen ungeeignet waren. Mittelalterliche Risse können - gutes Augenmaß vorausgesetzt - auch ohne Maßstabsangabe und mathematische Berechnung durchaus maßstabsgerecht gewesen sein.

„Der Durchbruch zum technischen Zeichnen mit seinen Erfordernissen einer größengerechten, distanztreuen und exakten Darstellung beliebig vieler Schnittebenen „gleichzeitig“ gelang mit der mehrfachen Orthogonalprojektion, die ca. 1480 in Italien entdeckt wurde. Damit erst war der Grundstein gelegt für Bauzeichnungen, die eine vollständige zeichnerische Gesamtplanung eines Gebäudes ermöglichten.“ In der Folgezeit entwickelte sich der Beruf des Architekten, der „Bauentwurfszeichnungen“ wie wir sie heute kennen, anfertigt.

Im Anhang an die 134-seitige Ausführung stellt die Autorin in einer kulturhistorischen Zeittafel die geschilderten Sachverhalte ab dem 7. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert prägnant zusammen. Literatur- und Abbildungsverzeichnis (33 Abbildungen) komplettieren das gut strukturierte Werk.

Erschienen ist das Buch aktuell bei Nünnerich-Asmus Verlag & Media, ISBN 978-3-96176-121-0. htv



Lesen Sie gerne und oft unsere Artikel? Dann helfen Sie uns und unterstützen Sie unsere journalistische Arbeit im Kreis Altenkirchen mit einer einmaligen Spende über PayPal oder einem monatlichen Unterstützer-Abo über unseren Partner Steady. Nur durch Ihre Mithilfe können wir weiterhin eine ausgiebige Berichterstattung garantieren. Vielen Dank! Mehr Infos.



Mehr dazu:   Buchtipps  
Feedback: Hinweise an die Redaktion

Anmeldung zum AK-Kurier Newsletter


Mit unserem kostenlosen Newsletter erhalten Sie täglich einen Überblick über die aktuellen Nachrichten aus dem Kreis Altenkirchen.

» zur Anmeldung



Aktuelle Artikel aus Kultur


20. Monkey Jump Kneipenfestival Hachenburg: Party-Hochburg am 29. März

ANZEIGE | Am Samstag, den 29. März, verwandelt sich Hachenburg in eine Festival-Hochburg, wenn das 20. ...

Bergbaujahr 2025 in Willroth: Feierliche Eröffnung am 29. März auf der Grube Georg

ANZEIGE | Das Jahr 2025 steht in der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld ganz im Zeichen des Bergbaus. ...

Celtic Folk Music in Wissen: Cara brachte das irische Lebensgefühl ins Kulturwerk

Cara ist eine international bekannte und mehrfach ausgezeichnete Formation. Die Musiker vermitteln durch ...

Buchtipp: "Das Rot der Stiefmütterchen" von Susanne Arnold

In das anheimelnde Cottage auf dem Titel des neuen Kent-Krimis möchte man direkt einziehen und die Gastfreundschaft ...

Motto dieses Sommers: "Forever young?"

In Anlehnung an das Motto des rheinland-pfälzischen Kultursommers folgt auch der Westerwälder Literatursommer ...

Mathias Richling begeistert Hachenburg mit scharfzüngigem Kabarett

Die Hachenburger Kulturzeit landete erneut einen Volltreffer und holte mit Mathias Richling einen der ...

Weitere Artikel


Welche Zugvögel zeigen den Herbst an?

Die Schwalben sind längst aus dem Westerwald weggeflogen. Dieser Umzug zeigt das Ende des Sommers an. ...

Nicole nörgelt - über ätzende Bemerkungen zur Figur

„Ach, du bist schwanger? Wusste ich ja gar nicht!“ Rums. Das hat gesessen. Als ich diesen Satz letztens ...

JSG Wisserland siegt auf dem Oberwerth bei RW Koblenz

Mit einer tollen kämpferischen und spielerischen Mannschaftsleistung belohnten sich die Wisserländer ...

Prävention der Glücksspielsucht – Aktionstag online

Der letzte Mittwoch im September steht bundesweit im Zeichen der Prävention der Glücksspielsucht. 2020 ...

Feuerwehr übt neue Techniken für Wald- und Vegetationsbrände

In Flammersfeld fand am Samstag, 26. September, eine Weiterbildung für die Feuerwehren statt. Thema war ...

Sperrung der K 35 zwischen Michelbach und Widderstein

Ab Montag 28. September bis voraussichtlich Freitag 6. November wird die Kreisstraße 35 zwischen Michelbach ...

Werbung