neue arbeit: Corona verstärkt die berufliche Eiszeit
„Perspektiven zu eröffnen, das ist für uns ein wichtiger Teil im Prozess eines langsamen Auftauens, um Menschen aus ihrem tiefgefrorenen Zustand der Arbeitslosigkeit zu holen“, beschreibt Diplom-Theologe und Lebensberater (BAG) Vinzenz Jung als einer von zurzeit zehn Bereichsverantwortlichen des gemeinnützigen Vereins „neue arbeit e.V.“ mit Sitz in Altenkirchen bildhaft den Gedanken des 12-monatigen Projekts, welches seit Januar 2019 in Wissen (Walzwerkstraße) unter der Regie und Betreuung von Jörg Becher angeboten wird.
Wissen. Der zweite Durchgang des Projekts, das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF), durch das rheinland-pfälzische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Demografie und durch das Jobcenter Kreis Altenkirchen gefördert wird, endet damit in wenigen Wochen und hat allein wegen der Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen die teilnehmenden Frauen und Männer (Becher: „Wer als Kunde zu uns kommt, tut das mit der Erwartung, aus verfestigten Strukturen herauszukommen und sich mit uns neue Perspektiven zu erarbeiten.“), aber auch die ‚neue-arbeit‘-Wegbegleiter vor besondere Herausforderungen gestellt.
Die Kunden, das sind oder waren auch in diesem Jahr Langzeitarbeitslose, die ihren festen Wohnsitz im Kreis Altenkirchen haben. Für sie hatten die Jobcenter im AK-Kreis (Altenkirchen, Wissen und Betzdorf) für jeweils ein halbes Jahr 15 Plätze gebucht, um ihnen in projektbezogenen, praxisbezogenen und theoretischen Unterrichtseinheiten „mit möglichst wenig Druck, mit einem flexiblen Lehrplan, also immer sehr individuell zugeschnitten“ (Becher) Chancen aufzuzeigen, um nach Jahren einer beruflichen, aber auch persönlichen Stagnation ihre Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern.
Becher: „Obwohl alle mit dem gleichen Hintergrund einer Langzeitarbeitslosigkeit zu uns kommen, sind die Lebenssituationen, die Erwartungen, und damit auch gemeinsame Lösungsstrategien doch sehr, sehr unterschiedlich – selbst wenn wir sie aus unserem vorgeschalteten Angebot BG-Coaching übernommen haben.“
Wie sehen die Unterrichtseinheiten im Einzelnen aus, aus denen ein individueller Wochenplan für zwei bis vier Tage mit wenigstens 15 Stunden gestrickt wird? Becher, selbst gelernter Koch und u.a. zertifizierter Erlebnispädagoge: „Bei Menschen, die gar keine oder eine geringe Schulbildung haben, ist eine Nachqualifizierung über theoretische Einheiten im allgemeinbildenden Unterricht durch nichts zu ersetzen.“ Denn ohne ein Grundwissen in Deutsch, Mathematik oder in zwei klassischen Fächern der Erwachsenenbildung, die in der Walzwerkstraße im Stundenplan unter ‚Europa & ich‘ und ‚finanziell fit‘ zu finden sind, war es für die Teilnehmenden im Corona-Jahr 2020 „mit dem Hybrid-Projekt im theoretischen wie praktischen Bereich“ (Jung) noch schwieriger als im Premierenjahr 2019, sich die weiteren Lerninhalte wie Bewerbungstraining, EDV-Schulung und Medienkompetenz im Homeschooling und eingeschränkten Präsenzunterricht zu erarbeiten.
Bei den praxisbezogenen Unterrichtseinheiten zur Qualifizierung im handwerklichen Bereich (Raumgestaltung, Bau-/Gartenbauarbeiten, Holzbearbeitung), im Hotel-/Gastronomiebereich (u.a. Kochen) und damit überwiegend in Küchen, an Werkbänken und in geschlossenen Räumen erwies sich in der Hybrid-Variante schließlich die Gartenarbeit und Gestaltung des Areals in der Walzwerkstraße als besonders gefragt. Becher: „Die Gartenarbeit hatten wir schon früh als Schwerpunkt ausgeguckt. Das hat gepasst. Bei den geplanten Arbeiten in der Werkstatt mussten wir allerdings kreativ werden und neue Wege gehen. Wir haben teilweise das Material und die Werkzeuge vor Ort gebracht, damit unsere Teilnehmenden die im praktischen Bereich gestellten Aufgaben zu Hause erfüllen konnten.“
Die größten Corona-bedingten Einschnitte hatte Becher indes bei den projektbezogenen Unterrichtseinheiten zu verkraften, wo das Virus bzw. die Abstands- und Hygieneregeln die Dauerbrenner (Erlebnispädagogik, gemeinsames Kochen, Sport, Kreatives, Exkursionen) ausbremsten. Becher: „Projektarbeiten erfüllen von Natur aus nur in der Gruppe ihren Sinn, die soziale Kompetenz durch ein gemeinsames Erlebnis zu fördern. Das war uns diesmal am ehesten mit einer ungewöhnlichen Kanu-Tour vergönnt, als wir einen halben Container Müll aus der Sieg geholt haben.“
In welcher Beziehung waren die 12 Monate, darunter neun unter Corona-Bedingungen, außergewöhnlich? Jung: „Die Beschäftigungsfähigkeit eines Menschen, der schon über Jahre die Arbeitslosigkeit als psychische Belastung mit sich getragen hat, lässt sich unabhängig von Corona über viele Stellschrauben verändern oder verbessern. Am einfachsten geschieht das mit der Aussicht auf eine größere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, soweit und sobald es Corona wieder zulässt.“ (PM)
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