Buchtipp: „Fürstin Pauline – Europäische Akteurin und lippische Landesmutter“
Von Helmi Tischler-Venter
Das abbildungsreiche Buch ist Begleitband der Pauline-Ausstellung des Lippischen Landesmuseums anlässlich des 200. Todesjahrs der Fürstin (geboren 1769), die aufgrund ihres sozialen Wirkens und wirtschaftlich fortschrittlicher Einstellung sehr positiv gesehen wird. Die Herausgeber Milena Kempkes, Julia Schafmeister und Michael Zelle zeigen Aspekte zur Fürstin und ihrer Regentschaft, die bisher weniger Beachtung fanden oder unbekannt waren.
Dierdorf/Oppenheim. Fürstin Pauline Wilhelmine Christine zur Lippe-Detmold wuchs mit ihren älteren Bruder Erbprinz Alexius als Prinzessin von Anhalt-Bernburg in Ballenstedt, einer Kleinstadt im Kulturland Anhalt auf. Ihre Mutter starb eine Woche nach der Geburt. Ihr Vater erzog die Kinder im aufklärerischen Sinn, er ließ beiden die gleiche umfassende Bildung zukommen in den Fächern Latein, Altgriechisch, Italienisch, Dänisch, Französisch, Geschichte, Staatswissenschaften, Staatsrecht und Geografie. Dadurch erhielt Pauline – ganz ungewöhnlich für die männerdominante Zeit – das Rüstzeug zur Ausübung der Regierungsgeschäfte. Mit viel Fleiß, Disziplin und Freude am Lernen befasste sie sich außerdem mit der Philosophie und Pädagogik der Aufklärung, den Rechtswissenschaften und der Geschichte. Zudem war sie unerschrocken, ritt wie ein Junge und konnte schießen.
Ein besonderes Talent hatte Pauline für Sprachen, bereits mit 13 Jahren führte sie die gesamte französische Korrespondenz im Auftrag ihres Vaters für das Fürstentum. Ab 1793 übernahm sie verantwortungsvolle Aufgaben und bekleidete die Stellung des Geheimsekretärs ihres Vaters. Als Erbprinz Alexius die Regierungsgeschäfte des Anhalt-Bernburgischen Landes übernahm, hatte Pauline keine Aufgabe mehr. Daher entschied sich Pauline aus „vernünftigen“ Überlegungen heraus für eine Verlobung mit Fürst Leopold zur Lippe. Am 2. Januar 1796 fand die Hochzeit statt. Später schrieb sie von ihrem Gatten in sehr liebevoller Weise.
Obwohl sie nie Regentin sein wollte, förderte sie in Lippe den allgemeinen Wohlstand, Rechtssicherheit, Bildung, Schulwesen und Sozialfürsorge. Nach dem Tod ihres Mannes 1802 vertrat sie als Vormund ihres unmündigen Sohnes dessen Rechte auch außenpolitisch. Dadurch geriet sie in den Strudel des zusammenbrechenden Heiligen Römischen Reichs und der Umstrukturierungen durch die Französische Revolution. Pauline nahm auch diese Herausforderung an. Sie bemühte sich um die Aufnahme Lippes in den Rheinbund. Um das durchzusetzen, begab sich Fürstin trotz widriger Reisebedingungen, die sie in ihrem Tagebuch anschaulich beschreibt, auf den Weg zum Fürstprimus des Bundes Karl Theodor von Dalberg sowie nach Mainz zu Napoleons Ehefrau Josephine. Schließlich trat sie sogar eine strapaziöse Reise an den französischen Kaiserhof nach Fontainebleau an. Dort gelang es ihr zum Erstaunen der kaiserlichen Entourage, mehrere Abende im Familienkreis des Kaiserpaares zu verbringen.
Als Mitglied des Rheinbunds musste das Fürstentum Lippe für Napoleons Feldzüge viele Soldaten stellen. Dieses Opfer nahm die Regentin für die Absicherung ihrer Dynastie in Kauf. Um die Souveränität ihres Kleinstaats im Streit mit Schaumburg-Lippe zu wahren, reiste Pauline auch an den Hof des Königs von Westfalen, Kaiserbruder Jerome Bonaparte nach Kassel. Dass ihre Mission trotz aller politischer Widerstände gelang, gilt als beachtlicher Erfolg, der die Geschichte des Landes bis heute prägt.
Große Aufmerksamkeit schenkte Pauline auf ihren Reisen neuen Entwicklungen in Naturwissenschaft und Technik. Industriebeispiele ließ sie sich ausführlich erklären, aber die neu entwickelte Laufmaschine des Freiherrn Karl von Drais beurteilte sie skeptisch. Museen und Theater besuchte die Landesmutter auch neben sozialen Einrichtungen. In diesem Bereich engagierte sie sich besonders, sie baute damit das Werk ihrer Schwiegermutter Fürstin Casimire zur Lippe-Detmold aus.
Beeinflusst vom Zeitgeist der Reformpädagogen Zeller, Pestalozzi, Fröbel und Fliedner, förderte Pauline die Detmolder Kinderbewahranstalt und Suppenanstalten für die Armen. Sie warb bei den Damen der Detmolder Gesellschaft um Mithilfe bei der Aufsicht über die Kinderbewahranstalt für arme, unbeaufsichtigte Kinder zwischen zwei und fünf Jahren. Die Kinder wurden von Wärterinnen nach ihrer Ankunft morgens um sechs Uhr gewaschen, gekämmt und mit sauberer Kleidung versorgt. Dazu gab es fünf Mahlzeiten täglich. Das entlastete die Eltern finanziell und ermöglichte beiden Elternteilen die Erwerbstätigkeit.
Ein Kapitel beschäftigt sich mit den Kleidern der Fürstin Pauline. Deren Interesse an Mode- und Stilfragen belegt ihr umfangreiches Besichtigungsprogramm. Es ermöglichte ihr auch, Napoleon und das napoleonische Repräsentationsprogramm besser zu verstehen und ihr Herrschaftsgebiet nahtlos in das System Napoleons einzufügen.
Die vielen Portraits der Prinzessin, Fürstin und europäischen Akteurin zeigen sowohl ihre verschiedenen Rollen als auch ihre Beliebtheit im Land. Die Erläuterung der Darstellungen nehmen großen Raum ein. Mit Recht, denn sie belegen, dass Pauline eine starke Frau war, die sich in der adligen Männerwelt durchsetzte mittels vermeintlich „männlicher“ Eigenschaften wie Entschlossenheit und Selbstständigkeit. „Typisch weibliche“ Eigenschaften wie literarische Betätigung, Mütterlichkeit, Frömmigkeit und Engagement für Arme und Kranke wurden ihr ebenfalls bescheinigt. Ihr Pflichtbewusstsein ließ sie mit allen Gegebenheiten zurechtkommen.
Fest steht, dass Pauline die „wichtigste Symbolfigur lippischer Autonomie“ und eine „gesamtwestfälische Erinnerungsfigur“ ist. Eine faszinierende Frau, der nun im Landesmuseum Detmold eine besondere Ausstellung gewidmet ist.
Das Buch ist erschienen im Nünnerich-Asmus Verlag, ISBN 978-3-96176-130-2. htv
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