Buchtipp: „Winzerschuld“ von Andreas Wagner
Von Helmi Tischler-Venter
Andreas Wagner ist Winzer, Historiker und Autor. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Bohemistik in Leipzig und an der Karls-Universität in Prag hat er 2003 zusammen mit seinen beiden Brüdern das Familienweingut seiner Vorfahren in der Nähe von Mainz übernommen. Seine Kompetenz ist in allen Belangen des Kriminalromans erkennbar und macht ihn zum Genuss wie einen perfekt ausgebauten Riesling.
Dierdorf / Köln. Der Schauplatz des Kriminalromans ist das kleine Dorf Essenheim an der Selz in Rheinhessen, in dem jeder jeden kennt, die Verwandtschaftsverhältnisse und Animositäten. Das Dorf, in dem Traditionen gepflegt werden, in dem jeder Winzer viel leckeren Rebensaft aber mancher auch eine Leiche im Keller hat, bislang seit Jahrzehnten. Wo man sonntags in die Kirche geht, um den neuesten Dorftratsch auzutauschen und wo Posthalters Sigrun, die Käfergässer Gerda und die Chaussee-Helga die bissigen Büttenreden des örtlichen Starredners „Till“ Georg Winternheimer bei süßem Sekt kommentieren, in denen er seine Mitmenschen durch den Kakao zieht und beleidigt. „Einige hassten Winternheimer dafür und kamen daher nicht mehr zur Sitzung. Die anderen liebten und verehrten ihn. Nicht wenige der Frauen im Publikum zeigten ihm das im Laufe der langen Nacht, die sich an die Sitzung anschloss.“
Diese Fassenacht im Saal ist der gesellschaftliche Höhepunkt im Jahr. In diesem Jahr läuft die Feier jedoch total aus dem Ruder. Im Morgengrauen danach findet der berüchtigt neugierige Winzer Kurt-Otto Hattemer nach einer peinlichen, alkoholschwangeren, langen Nacht, in der Georg Winternheimer dem Kollegen Eugen Werum ein blaues Auge haut und der Kollege Hans Menges seinen ganzen Zorn auf Winternheimer bei Kurt-Otto auskotzt, die Leiche einer jungen Frau im Müllcontainer. Die war Bedienung gewesen und zuletzt mit Boris Baumann gesehen worden. Die Polizei ermittelt, Kurt-Otto ebenfalls, auf seine eigene Weise. Erst recht, als der Starredner Winternheimer nicht mehr aufzufinden ist. Auf seine Hofmauer hat jemand in großen braunen Buchstaben „SCHULD UND SÜHNE“ gesprüht und Winternheimers betrogene und misshandelte Ehefrau Marion ist in derselben Nacht zu ihrem Freund Torsten ausgezogen. Verdächtigungen gibt es zuhauf.
Dann gibt es noch die akribisch recherchierte Krankenakte der Eleonore Schultheis von Essenheim, die am 21. November 1944 in eine Hessische Landesheil- und Pflegeanstalt aufgenommen wurde und am 14. Februar 1945 in Hadamar verstarb. Diese Papiere könnten einen Traum Wirklichkeit werden lassen.
Mit viel Empathie schildert Wagner die Winzer von Essenheim, tolle Typen, die alle die Verbundenheit mit Rheinhessen, die Leidenschaft für guten Wein und die Gier nach mehr Rebfläche eint, getreu dem Motto: „Drum prüfe, was sich ewig bindet, dass Hektar zu Hektar findet.“
Die Winzer sind gestandene, selbstbewusste Männer, die ihr Handwerk verstehen und keine Obrigkeit fürchten, nur die Dominanz ihrer Frauen. Daher erscheinen alle gegen ihren Willen beim gemeinsamen Montagshobby „Winzer-Yoga“ mit Guru Gundolf Roth. Die Beschreibung der Herren setzt vergnügliches Kopf-Kino in Gang: „Überrumpelt hatte sie ihn, und er war still und leise in die beim Hochziehen knisternde synthetische Trainingshose gestiegen. Die Hautpartien, die mit der Hose, dem T-Shirt im gleichen Himmelblau und der Jacke darüber in Kontakt kamen, juckten. Umständlich rieb er seinen Rücken am Autositz. Renate betätigte den Blinker und bog gleich darauf nach links zur Sporthalle ab. Er hatte das Gefühl, durch die doppelte Reibefläche mittlerweile elektrostatisch so aufgeladen zu sein, dass er seine Weinpresse von nun an ohne Stromanschluss betreiben könnte. Die dünnen Haare in seinem Nacken hatten sich spürbar verselbständigt und standen wirr in die Höhe. Ob schon Funken zwischen ihnen übersprangen, vermochte er nicht zu sagen. Würde sich die Kunststoffkleidung, in der er steckte, bei Hitze wie eine Schrumpfkapsel zusammenziehen und sich eng an seine üppigen Rundungen anschmiegen, wenn er ins Schwitzen geriet?“
Mit einem Glas fruchtigen rheinhessischen Weins lässt sich der spannende Kriminalroman doppelt genießen. Erschienen ist das Buch beim Emons Verlag, ISBN 978-3-7408-0924-9. htv
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