Landrat Enders: Note „2 plus“ für Bevölkerung im Umgang mit Corona
Die Corona-Pandemie hat natürlich auch den Kreis Altenkirchen fest im Griff. Mit ihr musste und muss sich die Kreisverwaltung und insbesondere das Gesundheitsamt intensiv auseinandersetzen. Die Ausbreitung von Covid 19 spielt natürlich eine zentrale Rolle im Interview zum Jahresabschluss mit Landrat Dr. Peter Enders.
Altenkirchen. Er ist der einzige Landrat in der Republik, der von Hause aus Mediziner ist und deswegen in Zeiten der Corona-Pandemie ein umfangreicheres Hintergrundwissen zum Umgang mit dem Virus als alle seine Kollegen hat: Für Dr. Peter Enders stand das erste komplette Jahr seiner am 1. September 2019 begonnenen Amtszeit logischerweise vor allem unter dem Covid-19-Diktat. Deswegen setzt das Exklusiv-Interview des AK-Kuriers mit Enders zum Jahresabschluss den Schwerpunkt auf diesen Aspekt. Das Gespräch im Wortlaut:
2020 neigt sich dem Ende entgegen: Haben Sie sich den Verlauf dieses Jahres so vorgestellt?
Ein ganz klares Nein! Meine Vorgänger Alfred Beth und Michael Lieber hatten die Wiedervereinigung bzw. die Flüchtlingsproblematik als große überregionale Themen, wir haben jetzt die Corona-Pandemie. In meinen kühnsten Träumen, selbst als man Anfang Januar gehört hatte, dass in China ein Virus entdeckt worden ist, habe ich niemals mit dieser Dimension gerechnet. Ich habe in einem alten Mikrobiologie-Buch von 1980 nachgeschaut und einen Artikel über ein Corona-Virus gelesen, wobei angemerkt wurde, dass es für den Menschen schädlich sein könnte. Es ist gut so, dass ich das Ausmaß der Covid-19-Pandemie nicht erahnt habe. Dennoch: Ich bereue nicht einen einzigen Tag, an dem ich in diesem Büro war. Ich kann in einer Lebensphase, in der andere schon in Rente gegangen sind oder gehen könnten, in einem ganz spannenden Bereich eine verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen. Was mich auch geleitet hat, ist der überaus große und positive Zuspruch, der mich erreicht hat. Das tut wirklich gut. Ich fühle mich als Arzt auch an der richtigen Stelle. Ich freue mich ebenfalls über einen großen Rückhalt bei allen Fraktionen des Kreistages.
Wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit mussten und müssen Sie Covid-19 widmen?
Das ist schwierig zu beziffern, weil es wellenartig ist. Das Interessante ist, dass bestimmte Verpflichtungen zurzeit wegfallen, weil Abendveranstaltungen – gerade in der Vorweihnachtszeit – so gut wie komplett gestrichen worden sind. Die Arbeit verdichtet sich tagsüber und verteilt sich anders, auch an Wochenenden finden kurzfristig terminierte Abstimmungsgespräche, Telefonschalten oder Videokonferenzen statt. Und man muss eben immer wieder schnell reagieren: Was Berlin und Mainz beschließen, muss hier umgesetzt werden.
Blicken wir auf Ihre Verwaltung: Mussten in Bereichen auch schon während des ersten Lockdowns Abstriche im Fortgang der Bearbeitungen von Anträgen usw. gemacht werden?
Das bleibt leider nicht aus. Bei der Zulassungsstelle gab es zeitweise Probleme, die wir aber schnell abstellen konnten. Das Gesundheitsamt war und ist immer noch unter Druck, es gab eine starke Arbeitsverdichtung. Das war uns schnell klar. Da ist uns eine Entzerrung durch Einbindung von Mitarbeitern aus anderen Abteilungen und durch Bundeswehr-Unterstützung gelungen, aber das Team stößt dennoch an seine Grenzen. Wir haben Mitarbeitern in diesem Jahr auch einiges zugemutet, was man natürlich wertschätzen muss. Wir haben es geschafft, frei werdende Stellen frühzeitig neu zu besetzen, damit erst gar keine Vakanzen entstehen. Dazu habe ich zu Jahresbeginn bereits eine Personalplanung vorgelegt. Wir werden zudem im nächsten Jahr das Thema Familienfreundlichkeit stärken, indem wir eine gesunde Balance zwischen Homeoffice und Präsenz finden. Wir haben Kriterien entwickelt, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch besser gewährleistet wird.
Als Mediziner: Wie stark haben Sie von Ihrem Wissen in den zurückliegenden Monaten profitiert?
Wenn der Kapitän nervös wird und das Boot unruhig steuert, wirkt sich das negativ auf die Mitarbeiter aus. Ich bin eher ein ungeduldiger Typ, habe aber in meinem Beruf gelernt, in schwierigen Situation die Nerven zu behalten. Sonst kann man in der Akutmedizin nicht arbeiten. Ich glaube, das ist mir auch im übertragenen Sinn bis heute in der Verwaltung gelungen. Ich habe oft ein solches Feedback erhalten. Als ehemaliger Sanitätsoffizier der Bundeswehr habe ich nachts in einem Camp in Somalia mit der Pistole unter dem Kopfkissen geschlafen, ja schlafen müssen. Das heißt: Wenn man nicht schnell lernt, sich der Situation anzupassen, hat man verloren. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass ich früher Tätigkeiten hatte, bei denen solche Anpassungen gang und gäbe waren, und ich kann mich heute auf die gesammelten Erfahrungen verlassen. Ich habe vor Corona keine Angst. Ich habe vor zwei Gruppen von Leuten Angst: Das sind die einen, die noch nicht kapiert haben, dass man vorsichtig sein muss. Andere wiederum sind überängstlich, weil sie sich nichts mehr zutrauen.
Wie lautet Ihre Note für den Umgang der Bevölkerung im Kreis mit Covid-19?
Als Gesamtnote sage ich "2 plus", eine "Eins" wäre übertrieben. Mit einer guten 2 kann man sich sehen lassen. Diese Wertung verbinde ich mit einem erneuten Dank an die vielen, vielen Menschen im Kreis, die besonnen agieren und das hoffentlich auch im aktuellen Shutdown über den Jahreswechsel hinaus tun werden. Aber: Ausnahmen fallen immer direkt auf. Das Problem mit der Baptistengemeinde in Altenkirchen ist ein spezieller Sonderfall, der nicht vergessen ist und den wir als Verwaltung aufarbeiten. Es ist ein mühsamer Weg, weil die Kooperationsbereitschaft nicht so ist, wie ich sie mir wünsche. Da fehlt die Einsicht. Wenn man ein Bußgeld verhängt, muss es fundiert sein. Es macht keinen Sinn, wenn man vor einem Gericht auf die Nase fällt.
Haben Sie sich und hat sich Ihre Verwaltung von übergeordneten Stellen hin und wieder allein gelassen gefühlt, was die Definitionen in Vorgaben oder den zeitlichen Rahmen der Umsetzung betreffen?
Allein gelassen ist zu hart formuliert. Die Bevölkerung ist teilweise überfordert, was ganz natürlich ist, denn nicht jeder kann 20- oder 30-seitige Verordnungen lesen. Es ist ein Dilemma, diese Verordnungen in einfache Botschaften herunter zu brechen. Wenn neue Corona-Schutzverordnungen kommen, erhalten wir sie auf dem Dienstweg, aber eben oft erst, nachdem sie schon über die Medien gelaufen sind. Man muss den Behörden Zeit geben, damit umgehen zu können. Wir müssen intern auch erst einmal die Juristen befragen, was zu beachten ist. Und es wäre hilfreich, wenn Veränderungen von der einen zur nächsten Verordnung kenntlich gemacht würden.
Lassen Sie sich impfen?
Ja! Wann ich dran komme, weiß ich nicht. Ich rechne mich zu denjenigen, die im medizinischen Bereich tätig sind, weil ich immer noch vier Stunden in der Woche, was ich als Beamter darf, in meinem Beruf als Arzt arbeite, in der Regel bei Blutspendeterminen des DRK. Da setzte ich mich trotz Plexiglaswand zwangsläufig einem höheren Risiko aus. Ich dränge mich aber nicht vor. Ich werde mich dann, wenn ich dran bin, zur Impfung melden.
Wann wird dann aus Ihrer Sicht die Pandemie besiegt sein?
Ich glaube, dass das Corona-Virus ein Dauerzustand ähnlich wie die Grippe sein wird. Grippe haben wir jedes Jahr. Wir werden in Zukunft andere Hygieneregeln praktizieren. Es wird nötig sein, auch, wenn eine Herdenimmunität vorhanden ist, sich regelmäßig impfen zu lassen. Ich gehe davon aus, dass sich die Virusstämme weiter entwickeln und dann in gewissen Zeitabständen geimpft werden muss. Neue Impfstoffe können dann aber sicher in Arztpraxen verimpft werden.
Und nun final und abseits von Corona zu einem ganz wichtigen Aspekt: Sind Sie zufrieden mit den Kreisfinanzen, die deutlich besser daherkommen als vor einem Jahr?
Die Haushaltskonsolidierung ist nicht der Grund dafür, das ist eine langfristige Aufgabe. Zwei dicke Posten machen zusammen fast 5 Millionen Euro Verbesserung aus. Das sind erhöhte Kostenbeteiligungen des Bundes an der Unterkunft nach zweitem Sozialgesetzbuch und unser Corona-Geld in Höhe von 3,2 Millionen Euro, von denen wir vieles noch nicht gebraucht haben. Das eine hat einen Einmaleffekt, das andere ist nachhaltig. Dazu kamen noch Zahlungen aus dem KI-3.0-Programm, die wir schon im vergangenen Jahr erwartet hatten. Lieber ist mir, mit einem Minus zu planen, um hinterher froh zu sein, wenn es ein Plus wird als umgekehrt. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Kreisumlage ohne Not gesenkt wird. In diesem Punkt sind die Fraktionen des Kreistages aber autonom. Ich habe nur eine von 47 Stimmen. Ich rate aber dazu abzuwarten, wie sich das Finanzielle in diesem Jahr entwickelt, und nicht hektisch und überschnell zu reagieren. Wir konnten, auch aufgrund der Co-Finanzierung des Landes, in diesem Jahr einiges auf den Weg bringen, gerade im Schul- und Straßenbau.
Wie lauten Ihre beruflichen Wünsche für 2021?
Der Hauptwunsch ist, dass wir die Corona-Pandemie deutschlandweit so in den Griff bekommen, dass das Leben wieder Normalität bekommt. Ich bin nach wie vor hoffnungsvoll, dass wir in der Region die medizinische Versorgung in den Griff bekommen. Das betrifft auch das neue Krankenhaus in Müschenbach. Ich halte es nach wie vor nicht für den richtigen Standort, muss es akzeptieren. Ich wünsche mir eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit den Fraktionen des Kreistages. Zum Stegskopf: Wir sind auf einem guten Weg, dass die wirtschaftliche Nutzung für Emmerzhausen darstellbar ist. Die Wege werden bald offen sein. Die Frage, wie Umweltschutz und Naturschutz damit in Einklang gebracht werden können, ist noch nicht beantwortet. Ich bin der Meinung, dass beides geht. Das sind keine Widersprüche, wenn sie fair und auf Augenhöhe verhandelt werden. Und Windkraft ist in der heutigen Zeit ein Beitrag zum Umwelt- und Naturschutz. (hak)
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