Ein sehr sensibler Bereich: Das Jugendamt und die Corona-Krise
Die nüchterne Definition auf dem Tableau der Verwaltungsgliederung der Altenkirchener Kreisverwaltung verrät absolut nichts über das breit gefächerte Aufgabengebiet: "Geschäftsbereich III, Abteilung 5, Leitung Kreisbeigordneter Schneider, Jugend und Familie" lautet die formelle und geschäftsmäßige Bezeichnung. Der Volksmund macht es prägnanter: Jugendamt!
Altenkirchen. Was macht ein Jugendamt? Klare Frage, relativ kurze Antwort und herunter gebrochen auf das der Altenkirchener Kreisverwaltung: "Das Aufgabenspektrum reicht von der Organisation einer qualitätsvollen Kinderbetreuung über die Erziehungsberatung und den Schutz des Kindeswohls bis hin zur Förderung von Angeboten für Jugendliche und zur Schaffung einer kinder- und familienfreundlichen Umwelt. An das Jugendamt kann sich jede und jeder wenden, insbesondere auch Kinder und Jugendliche, wenn sie Probleme haben oder in Notsituationen sind." So umreißt es das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der eigenen Internetseite. Diese Charakterisierung bleibt indes nur an der Oberfläche. In der Tiefe verbirgt sich ein überaus vielfältiges und zahlenmäßig großes Tätigkeitsfeld, das im AK-Land natürlich auch in Corona-Zeiten "beackert" werden muss, wie Geschäftsbereichsleiter, Kreisbeigeordneter Klaus Schneider, und Abteilungsleiter Mark Schneider darlegen. Mit 101 Mitarbeitern (davon 79 in Vollzeit) stellt das Jugendamt die stärkste Mannschaft im Komplex an der Park- und Hochstraße der Kreisstadt.
Aufwand um 25 Prozent höher
Nach rund einem Jahr der Corona-Pandemie gliedern Schneider und Schneider ein Fazit in zwei Bereiche. Zum eine habe sich der Aufwand, die Arbeit unter dem Covid-19-Regimemt (vor allem während des ersten Lockdowns im Frühjahr des vergangenen Jahres) anzupassen und zu erledigen, um "geschätzt 25 Prozent" erhöht, zum anderen, so Mark Schneider, sei das Anzeigeverhalten in Sachen der Kindeswohlgefährdung durchaus ein anderes geworden. "Von März bis Juni 2020 ist die gemeldete Zahl solcher Fälle ein wenig gesunken, im Nachgang minimal gestiegen. Wer uns unterrichtete, hat sich aber geändert", erläutert Mark Schneider, als ausgebildeter Sozialpädagoge seit 2017 Chef der Abteilung, "Schulen und Kitas waren geschlossen, so dass Lehrer und Erzieher, die die Kinder wirklich kennen und Veränderungen am ehesten feststellen, als Hinweisgeber ausgeschieden sind." An ihre Stelle seien Nachbarn und die Polizei getreten. Auch von anonymer Seite wurden Mitteilungen gemacht, fügt Klaus Schneider an. Zwischen Dezember und Januar seien wieder mehr solcher Delikte an das Jugendamt herangetragen worden. "Die Zahl der Inobhutnahme ist gestiegen. Lehrer und Erzieher sind präsenter. In diesem zweiten Lockdown steigt der psycho-soziale Druck in den uns bekannten Familien", legt Mark Schneider dar und nennt einen Fakt, der das Plus mitbedingt: "Vor einem Jahr konnten Kinder noch raus aus der Wohnung, draußen spielen." Diese "Flucht" falle derzeit bei den frostigen Temperaturen weg. "Und wenn dann ein Junge oder Mädchen beispielsweise jeden ganzen Tag in einer drogenbelasteten Familie verbringen muss, ist das anstrengend." Darüber hinaus fehle ein strukturierter Tagesablauf, den Schule grundsätzlich biete. So seien Mitarbeiter der Schulsozialarbeit und des allgemeinen sozialen Dienstes unterwegs, um bei Familien vorzusprechen, zu deren Kinder Lehrer aktuell keinen Kontakt haben. "Ich muss diese Tätigkeit wirklich loben. Sie stellt die Verbindung her zu den Familien, die wirklich Ansprechpartner benötigen", sagt Klaus Schneider, und Mark Schneider vermutet, dass sich durchaus noch "mittelbare Auswirkungen nach und nach ergeben können - auch anhand von neuen Fällen". Bildungsdefizite sieht er besonders bei Kindern, die im Sommer 2019 eingeschult wurden, also Mitte des ersten Schuljahres im ersten und Mitte des zweiten Schuljahres im zweiten Lockdown unterwegs waren und sind. Als "Gegenmittel" werden soziale Gruppenarbeit an Grundschulen und spezielle Tagesgruppen für Kinder bis 14 Jahre unter dem Dach der "Hilfe zur Erziehung" angeboten.
120 Tagespflegepersonen
Wie viele andere Bereiche musste das Jugendamt mit Start des ersten Herunterfahrens des öffentlichen Lebens von heute auf morgen immense Anstrengungen unternehmen, um allen Vorgaben gerecht zu werden, tauchten Fragen und Schwierigkeiten auf, die schnellstens Antworten und Lösungen erforderten. "Die Kinder- und Jugendhilfe war sehr betroffen", rekapituliert Mark Schneider die Zeit nach dem 14. März 2020. Dazu zählten viele ungeklärte Sachverhalte, die abseits der Diskussion um Abstandsregeln oder Hygienekonzepte aufploppten und die nahezu von jetzt auf gleich zu lösen waren. "Wir mussten uns beispielweise mit der Fortzahlung des Entgeltes für die Tagespflegepersonen beschäftigen, die in dieser Zeit keine Kinder betreuen durften", nennt Klaus Schneider, der seit 2014 diesen Geschäftsbereich inne hat, ein Beispiel, "für einige hätte das Ausbleiben der Zahlungen eine Existenzbedrohung dargestellt."Per Eilentscheidung legte der Kreisvorstand die Vergütung auf 4,50 Euro pro (abwesendem) Kind und Stunde fest und blieb damit nur geringfügig unter dem geltenden Grundbetrag von 5,50 Euro, der mit Zuschlägen bis auf maximal 7 Euro wachsen kann. "Ich glaube, damit kommen die Tagespflegepersonen gut über die Runden", ergänzt er. Im Kreis arbeiten rund 120 Menschen in diesem Segment. Zudem mussten Angebote für Kinder und Jugendliche abgesagt oder in Online-Varianten umgestrickt werden, blieben Jugendzentren für Gruppenangebote geschlossen, galt es, Ferienaktionen unter Einhaltung der Abstandsregelungen zu organisieren, wurden Auslandsfahrten oder Freizeitmöglichkeiten mit Übernachtungen gecancelt. Trotz der per Verordnung gestutzten Aktivitäten spricht Klaus Schneider der Jugendpflege und den Jugendzentren ein ganz dickes Lob aus: "Ich bin froh, dass wir diese Einrichtungen haben. Sie haben viel getan, um den Kontakt zu Jugendlichen, die in schwierigen sozialen Beziehungen leben, auch in Einzelfallberatungen aufrechtzuerhalten."
"Amtsintern" viele Probleme
Für Mark Schneider türmten sich vor einem Jahr auch "amtsintern" diverse Hindernisse auf. "Die Verunsicherung der Mitarbeiter vor allem im Außendienst war groß", erklärt er. Schutzausrüstung habe gefehlt, "einige haben sich selbst Masken genäht". Mit jedem Tag seien neue Fragen gestellt worden. "Darf ich als Jugendamtsmitarbeiter überhaupt noch Familien besuchen? Was passiert, wenn Corona in einem Heim ausbricht?", weiß er im Rückblick nur zwei Beispiele. Parallel hätten "kleine" Träger der Jugendhilfe angedeutet, in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, weil "10 bis 15 Wochenstunden bei der Hilfe zur Erziehung zwangsweise nicht geleistet werden konnten, da sich ein Kind in Quarantäne befand und Rücklagen aufgebraucht worden waren". Auch dafür seien Lösungen gefunden worden, so dass, laut Klaus Schneider, "uns kein Träger verloren geht und keine Leute entlassen werden mussten".
Präventionskette ausweiten
Parallel und abseits von Corona setzen Schneider und Schneider auf eine kontinuierliche Ausweitung der Präventionskette. "Seit 2018 wurden viele kleine Maßnahmen auf den Weg gebracht", berichtet Klaus Schneider. So soll umgehend eine zweite Stelle für eine "Familienhebamme" besetzt werden. Diese Helferinnen stehen für bis zu einem Jahr gezielt werdenden und jungen Eltern zur Seite, die mit besonderen Belastungen kämpfen. Zum Beispiel, weil die werdende Mutter sehr jung ist. Oder weil die Eltern es allein nicht schaffen, den Alltag mit einem Baby so zu organisieren, dass es diesem gut geht. Familienhebammen helfen aber auch, wenn gesundheitliche Probleme der Eltern oder des Kindes die junge Familie belasten. Sie geben Tipps, wenn Konflikte, mangelnde Deutschkenntnisse oder fehlende soziale Kontakte den Eltern das Leben erschweren. Zudem wurde die Schulsozialarbeit an weiterführenden Schulen in Kreisträgerschaft erweitert, an den größeren Grundschulen (der Kreis ist nicht Träger) sollen im Zusammenspiel mit den Trägern (Verbands- oder Ortsgemeinde) fünf Vollzeitstellen für diese Tätigkeit geschaffen werden. (vh)
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