Altenkirchen sucht neue Ansätze für Gestaltung des Baugebiets "Auf dem Eichelchen"
Die Wohnraumnot allerorten ist groß. Abhilfe kann die Ausweisung neuer Baugebiete schaffen, die sich von den Vorgängermodellen jedoch deutlich unterscheiden werden müssen. Auch die Bebauung voll erschlossener, indes noch "brach" liegender Grundstücke in Stadt- und Ortskernen ist ein möglicher Ansatz.
Altenkirchen Das Wesen von Baugebieten à la anno dazumal hat wohl ausgedient. Grundstücke nur mit Einfamilienhäuser zu bestücken kann nicht der allein selig machende Weg in den kommenden Jahren sein. Die Versiegelung des Bodens darf nicht Überhand nehmen. Die Suche hat neuen Siedlungsformen hat begonnen. Gleichfalls rückt der energetische Aspekt verstärkt in die Überlegungen. "Verdichtet" und "ökologisch" können Maßstäbe werden, wie neue Areale künftig daherkommen. Bei der Erschließung des möglichen Baugebietes "Auf dem Eichelchen" (zwischen Umgehungsstraße und Bebauung im Umfeld des Leuzbacher Weges) möchte die Stadt Altenkirchen Wege bestreiten, die abseits der bekannten Normen liegen, die zukunftsfähige Lösungen mit sich bringen. Das Gebiet, so erläuterte Diplom-Ingenier Stadtplaner Friedrich Hachenberg und zugleich Geschäftsführer vom Bopparder Büro für Städtebau und Umweltplanung "Stadt-Land-plus" in der Sitzung des Altenkirchener Stadtentwicklungsausschusses am frühen Donnerstagabend (25. Februar), umfasse circa 7,5 Hektar, könne Raum für knapp über 80 Bauplätze bieten. Sein Entwurf sah Geschosswohnungsbau, Hausgruppen (speziell für junge Familien) und Einfamilienhäuser vor.
Teils Neigung nach Süden
"Es ist die Abrundung des Besiedlungskörpers mit der Bebauung aus den 1980- und 1990er-Jahren", erklärte Hachenberg, das Gelände habe teilweise eine bis zu zehnprozentige Neigung nach Süden. Zentrale soziale Funktionen übernähmen der bereits bestehende Spielplatz, der neu gestaltet werden soll, und Bereiche im Mittelsektor, die bewusst großzügig gestaltet werden könnten. Die Abgrenzung zur stark befahrenen Umgehungsstraße könne durch aktiven und passiven Lärmschutz erfolgen. "Das zu erschließende Baugebiet kann modellhaft auf die gesamte Region ausstrahlen", ergänzte er. Die Straßenbreiten bewegten sich zwischen sechs und acht Metern, zahlreiche Bäume seien ebenso wie eine Regenwasserbewirtschaftung mit einem Rückhaltebecken am "Fuß" des Komplexes, der abschnittsweise von "unten nach oben" realisiert werden könnte, vorgesehen. Hachenberg riet dringend, ein Konzept für die Vermarktung ins Leben zu rufen. Dass die Konkurrenz rund um Altenkirchen groß in Sachen "Neubaugebiete" ist, stellte Stadtbürgermeister Matthias Gibhardt heraus: "Wir sind nicht die einzige Ortsgemeinde, die sich auf diesen Weg gemacht hat." Es bedürfe schon guter Argumente, sich vielleicht für einen Bauplatz in der Kreisstadt zu entscheiden, warum man hier bauen sollte." Die ins Auge gefassten Parzellen befinden sich zum größten Teil in Privatbesitz. Es sollen rund 20 bis 25 Eigentümer sein, zu denen die Verwaltung bereits erste Kontakte geknüpft hat, um zu eruieren, ob die "Hausherren" überhaupt verkaufswillig sind.
Klimaneutrales Baugebiet
Vor diesem Hintergrund lieferte Joachim Winkler von der Geschäftsleitung der Transferstelle Bingen (TSB) einen möglicherweise guten Grund: die Ausweisung eines klimaneutralen Baugebietes. Bei der Wärmeerzeugung wird auf die bisher bekannten Varianten via Öl-, Gas- oder Pelletsheizungen verzichtet. Winklers klare und alternative Nummer eins, so betonte er in seinem Vortrag, sei die "kalte Nahwärme", von "der ich begeistert bin". Die Technik macht sich die konstante Temperatur von ungefähr 10 Grad Celsius zunutze, die im Erdboden vorherrscht. Die Wärme wird per Sonden eingefangen. In den ungedämmten Rohren gelangt sie zu den Neubauten, in denen Wärmepumpen die Temperatur auf ungefähr 35 Grad Celsius für die Heizung und über 60 Grad Celsius für eine hygienische Trinkwassererwärmung anheben. Das System kann auch zur Temperierung der Räume genutzt werden. Durch die Flächenheizungen wird dann kühles Wasser geschickt, das an warmen oder heißen Tagen für eine angenehme Raumtemperatur sorgt.
Eingriff in Eigentumsrechte
Alternativ zeigte Winkler die Vor- und Nachteile eines warmen Nahwärmenetzes mit Heizzentrale (siehe Nahwärmeverbund Glockenspitze in Altenkirchen, in der Holzhackschnitzel zum Einsatz kommen) und die der individuell zu installierenden Luft-Wärme-Pumpen für jedes einzelne Gebäude auf. Das große Aber folgte auf dem Fuß: Bei einer Entscheidung für "kalte Nahwärme" muss (!) jedes Haus an das System angeschlossen werden. "Wir greifen in Eigentumsrechte ein, weil diese Wärmequelle genutzt werden muss", machte Winkler deutlich. Wie fusch neu die Technik ist, ließ sich an einer Zahl ableiten: "In der Bundesrepublik gibt es noch keine 20 Kalt-Wärme-Projekte!" Gut zu wissen: In Selters (Unterwesterwald) soll ein Neubaugebiet mit "kalter Nahwärme" versorgt werden. Die ersten Ausschreibungen und Probebohrungen sind bereits erfolgt.
Das ist die Transferstelle Bingen
Was sich hinter der Transferstelle Bingen verbirgt (Auszug aus der Homepage): Sie bewertet und verbessert den Einsatz innovativer Technologien und unterstützt bei der Etablierung am Markt. Als Institut der Technischen Hochschule Bingen trägt sie zum Wissenstransfer aus der Hochschule in die Anwendung und wieder zurück in die Hochschule bei. Ihre Stärken sind dabei die individuelle, auf den Kundenwunsch angepasste Arbeitsweise in der Beratung, der Analyse der Problemstellung und der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen. Wenn die Mitarbeiter die Grundlage für die Entscheidungsfindung liefern, sind häufig innovative Methoden oder Technologien bewertet und in einer Detailschärfe dargestellt, die fundiert bewertet werden können. Die TSB, 1989 gegründet, kann mit ihren 20 festen und 10 freien Mitarbeitern nach eigener Darstellung beides: kreativ mit Kunden neue Wege zur Problemlösung finden und zielgerichtet und anwendungsnah die Umsetzung bewerten. Laut Homepage begleitet sie im Jahr rund 100 Projekte und hat rund 50 Klimaschutzkonzepte mit kommunalen Akteuren erarbeitet. (vh)
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