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Nachricht vom 12.03.2021 |
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Landrat Enders: Bürokratie-Wahnsinn in Reinkultur im Impfzentrum Wissen |
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Das der Deutschen aktuell am meisten favorisierte Thema ist wohl die Frage nach den eigenen Impfterminen, um frisch immunisiert wieder ein wahrscheinlich fast normales Leben fernab der Corona-Pandemie führen zu können. Nur klemmt es seit Monaten an allen Ecken und Kanten. Auch die viel gepriesenen und mit einer Menge Vorschusslorbeeren gestarteten Impfzentren sind nicht der Weisheit letzter Schluss. |
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Kreis Altenkirchen. Erst wurde Städten und Landkreisen immenser Druck gemacht, damit auch ja die Impfzentren möglichst schnell an den Start gehen konnten. Besser vorgestern als heute lautete die Devise. Dann standen sie fix und fertig bereit, und die Organisatoren vor Ort mussten erkennen, dass die Auftraggeber sich von einem Missgeschick zum nächsten hangelten. Im Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus produzierten die Oberen in Brüssel und Berlin haarsträubende Fehler, die sich natürlich bis ins lokale Impfzentrum auswirkten und immer noch auswirken. Auch vor dem Hintergrund überbordender Bürokratie fordern Landrat Dr. Peter Enders und Peter Deipenbrock als Koordinator der Einrichtung in Wissen in einem Doppel-Exklusivinterview mit dem AK-Kurier, möglichst umgehend Hausärzte mit der flächendeckenden Immunisierung der Bevölkerung zu betrauen, das Impfzentrum als starke "Reserveeinheit" in der Hinterhand zu halten und nicht höher zu fahren als erforderlich. Das Gespräch im Wortlaut:
Warum ist Impfstoff Mangelware?
Enders: Das hat verschiedene Gründe: Das fängt in Brüssel an, geht über Berlin, Mainz und bis zur Verteilung. In Mainz hat man sich im Januar einfach verrechnet, als man hörte, dass plötzlich sechs Dosen aus einem Fläschchen gezogen werden können. Da glaubte man, 20 Prozent mehr zu haben. Pustekuchen! Die Firmen schauten in ihre Verträge und sahen: Wir liefern Dosen und keine Fläschchen. Sie stellten also fest: mehr Dosen pro Fläschchen, damit müssen wir weniger Fläschchen liefern. Dieser Aspekt wurde verkannt. Die Kritik aus der Opposition hat tagelang niemand verstanden, weil der Sachverhalt nicht richtig dargestellt wurde.
Gibt es Probleme im System Impfzentrum?
Enders: Das System „Impfzentren“ kann nicht rund laufen. Das ist sehr bürokratisch. In Nordrhein-Westfalen gibt es ähnliche Probleme, wobei ich unsere Leute vor Ort ausdrücklich in Schutz nehme, die hervorragende Arbeit leisten. Ich stelle derzeit fest, dass sich sehr viele Leute, die ansonsten Leserbriefe schreiben, um sich zu beschweren, positiv äußern. Ich erhalte Mails, ich erhalte Anrufe, in denen darauf hingewiesen wird, dass es in Wissen hervorragend klappt. Darauf bin ich sehr stolz. Wir haben sehr viel Zeit mit einem tollen Team bis in die Weihnachtszeit hinein für die Organisation investiert. Wir setzen auf pensionierte Ärzte, die jeden Tag zur Verfügung stehen, keine Dollarzeichen in den Augen haben und sagen, dass das Honorar (Anm. der Red.: 140 Euro Vergütung pro Stunde) nicht in Ordnung ist. Von diesem Betrag wird ein großer Teil gespendet. Im Endeffekt läuft es vor Ort gut.
Was halten Sie von dem Vorhaben, das Impfen auch in die Hände der Hausärzte zu legen?
Enders: Ich frage klipp und klar: Warum will die Gesundheitsminister-Konferenz (GMK) das Impfen erst Ende April in die Hände der Hausärzte geben? Hausärzte stehen Gewehr bei Fuß. Die Impfzentren sind ein bürokratisches Instrument, das geeignet war, angesichts der schwierigen Kühlbedingungen und Logistik für den Impfstoff die Impfkampagne überhaupt ans Laufen zu bringen. Mittlerweile ist das einfacher. Ich sage: Man kann die Impfzentren weiter arbeiten lassen, sie jedoch runterfahren und den Hausärzten so viel Impfstoff geben wie sie verimpfen können. Die Hausärzte kritisieren den Impfplan. Ich stimme mit ihnen völlig überein. Diese Verzögerung ist eine einzige Katastrophe. Ich weiß nicht, was die Gesundheitsminister sich dabei gedacht haben, jetzt eine Rolle rückwärts zu machen. Deswegen bin ich froh, dass die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler von dieser „Opt-out“-Lösung keinen Gebrauch macht und das Impfen durch die Hausärzte schon früher ermöglicht. Wir hatten schon die Anfrage eines Arztes, der Impfstoff bestellen wollte. Ich kann dafür nicht einfach an Wissen adressierten Impfstoff nehmen, der logistisch umgeschlagen werden muss. Wir haben die Anfrage nach Mainz gemeldet und dem Kollegen mitgeteilt, dass er eine Nachricht bekommt, wenn der Impfstoff eingetroffen ist.
Wie funktioniert aus Ihrer Sicht als Impfzentrumskoordinator die Arbeit vor Ort?
Deipenbrock: Im Grunde genommen klappt es sehr gut im Impfzentrum. Wir erhalten fast ausnahmslos positive Nachrichten, hin und wieder aber auch Kritik, wenn es nicht rund läuft. So gab es einmal einen Termin, an dem die Impfdokumentation des Landes uns 50 Menschen für eine Stunde zugeordnet hatte und die alle zugleich vor der Tür standen. Die Beteiligten vor Ort haben das klasse gelöst und abgearbeitet. Zuletzt fiel an einem Samstagmorgen landesweit die Software aus. Eine Dreiviertelstunde lang ging nichts. Dann hat der Landrat entschieden: Wir drucken alles aus, erfassen die Daten händisch, kommen aber voran. Man hatte landesweit an alles gedacht, nur außer Acht gelassen, dass die EDV-Betreuung am Wochenende nicht besetzt ist, aber dennoch geimpft wird. Der Kunde, der Impfling, sieht nur die reine Impfung. Im Hintergrund ist es ein sehr kompliziertes Verfahren. Wir haben einerseits ein Kontingent, das wir verimpfen können, und andererseits müssen wir dem Land mitteilen, wie viel Impfungen wir pro Tag erledigen können. Darüber hinaus müssen wir schon die zweite Impfung mitplanen. Diese drei Faktoren gilt es, nebeneinander zu berücksichtigen. Wenn diese drei Faktoren ins System eingestellt sind, wird der Termin vergeben. Wir haben inzwischen Impfstoffe mit Unterschieden in den zeitlichen Vorgaben für die zweite Impfung: Für BionTech/Pfizer wurden zunächst drei, mittlerweile vier Wochen vorgegeben, bei AstraZeneca waren es neun, jetzt sind es zwölf Wochen. Das zu koordinieren ist sehr anspruchsvoll, weil auch seitens des Landes immer Änderungen kommen – sei es, dass zu wenig Impfstoff vorhanden ist oder dass zusätzlicher Impfstoff kommt, der eingeplant werden muss. Ständige Planänderungen stellen uns vor Ort vor unheimliche Schwierigkeiten.
Impfen Sie am Tag auch Seren unterschiedlicher Hersteller?
Deipenbrock: Wir haben in Absprache mit dem Landrat, der ja – für uns glücklicherweise – Arzt ist, immer gesagt, dass wir nicht unterschiedliche Impfstoffe an einem Tag verimpfen wollen. Wir wollten sortenrein bleiben. Inzwischen verabreichen wir aus praktischen Gründen tagsüber BionTech/Pfizer und abends AstraZeneca, weil wir dieses Mittel selbst aufziehen können und keinen Apotheker, der tagsüber verfügbar ist, brauchen. Durch Änderungen, die uns erreichen, wird bisweilen die komplette Planung umgeworfen. In dieser Woche hatten wir aus unerfindlichen Gründen noch 600 zusätzliche BionTech-Termine für Mittwoch, Donnerstag und Freitag eingebucht bekommen für eine dritte Impfstraße, die wir gar nicht haben. Das war am Samstag voriger Woche aufgefallen. Dann wurde ein Teil der Angeschriebenen nach Intervention von Landrat Enders beim Staatssekretär kurzfristig noch umbestellt für Dienstag, an dem wir zunächst nur zwölf Termine hatten. Dann gab es Fälle, bei denen die Bestätigungen in Mainz am 6. März in den Lettershop zum Versand gegangen waren, die Briefe am 11. März zugestellt wurden, obwohl die Termine am 10. März waren. Uns hatte die erhöhte Zahl an nicht genutzten aufgezogenen Spritzen stutzig gemacht. Wir haben den Ärger vor Ort. Die schrittweise Öffnung der Priorisierung hat da schon für Durcheinander gesorgt. Noch ein Beispiel: Wir sollen nächste Woche 400 Dosen Moderna verimpfen, obwohl AstraZeneca angesetzt ist. Gleichzeitig erhalte ich eine Meldung, dass wir über 600 Dosen AstraZeneca zur Verfügung stellen sollen für Impfungen in zwei Behinderteneinrichtungen. Auf meine Frage nach Mainz, woher der Impfstoff denn kommt, erhielt ich keine Antwort.
Enders: Das macht deutlich, dass wir die Impfzentren nicht schließen sollten, aber nicht höher fahren sollten als zwingend erforderlich. Die Beispiele, die Peter Deipenbrock genannt hat, machen deutlich, dass das Impfzentrum ein bürokratisches Monster ist und dass man einfach nur starke Nerven braucht. Die Devise muss lauten: Möglichst viel weg aus dem Impfzentrum. Stichwort Bürokratie: Wenn jemand ins Impfzentrum kommt, muss er fünf Unterschriften leisten, bis er geimpft ist. Warum bündelt man das nicht? Bei der zweiten Impfung ist es dann keine, weil der Bezug zur ersten besteht. Das sind Dinge, bei denen ich den heiligen Zorn bekomme. Wir geben uns alle Mühe vor Ort, die Leute rödeln unentwegt. Und dann erleben sie Bürokratie-Wahnsinn in Reinkultur. Rund 250 über 80-Jährige haben zudem immer noch keinen Impftermin.
Bleibt am Schichtende auch Impfstoff übrig?
Deipenbrock: Wir hatten beispielsweise in der vergangenen Woche BionTech/Pfizer-Impfstoff übrig, der, wenn er aufgezogen ist, nach sechs Stunden verfällt, insoweit ist hier Eile geboten. Diese Dosen konnten nicht verimpft werden. Es gibt vom Land keine Kladde mit Reserveleuten, die man in solchen Fällen nutzen kann. Also verimpfen wir die so genannten Reste an priorisierte Personen, die vor Ort schnell erreichbar sind. Wir haben uns zum Beispiel die Angestellten des Krankenhauses in Wissen „vorgenommen“, die ja in Rufweite arbeiten. Da konnten wir um 15.30 Uhr anrufen und um Impfwillige aus den beiden Priorisierungsgruppen bitten. Diese Zusammenarbeit hilft uns in der Praxis enorm.
Wie ist die Stimmung unter den Mitwirkenden im Impfzentrum?
Deipenbrock: Es macht allen Freude, dort zu arbeiten. Es ist ein gutes Team mit viel Herzblut und Engagement. Darüber hinaus ist es für uns eine enorme Erleichterung, wenn man den Landrat nicht nur als Chef, sondern auch als Mediziner fragen kann. Das hilft uns in der Praxis bei ganz speziellen Fragen schnell weiter. Es sind auch noch keine Ermüdungserscheinungen festzustellen. Letztendlich merken wir, dass wir viel Kraft in die Bürokratie stecken müssen und haben deswegen viele Reibungsverluste. Dennoch: Das Impfzentrum funktioniert gut. Das liegt nicht am Land, sondern an den Menschen, die dort arbeiten.
Welchen Schluss ziehen Sie aus den bisherigen Erfahrungen im Impfzentrum Wissen?
Enders/Deipenbrock: Unser Appell lautet ganz einfach: Gebt den Hausärzten den Impfstoff! Die Hausärzte sind die Profis, die wissen, wie es geht. Und sie kennen ihre Patienten. Sie müssen aber auch von der Bürokratie entlastet werden. So wie es in den Impfzentren läuft, darf es bei den Hausärzten nicht laufen. (vh)
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Nachricht vom 12.03.2021 |
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