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Nachricht vom 26.04.2021
Region
Ausschüsse kritisieren Geldanlagepraktiken des AWB nach Greensill-Pleite
Firmenpleiten bringen es mit sich, dass diejenigen, die Geld in das Unternehmen gesteckt oder es ihm anvertraut haben, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens mit leeren Händen dastehen können. Bis ein Schlussstrich unter solch einen Bankrott gezogen worden ist, kann es viele Jahre dauern. Erst dann ist klar, ob noch was zu holen oder alles futsch ist.
Die "leichte Erhebung" im Hintergrund ist die stillgelegte Deponie in Nauroth, die in den kommenden Jahren die immens teure Oberflächenabdichtung verpasst bekommen muss. (Foto: vh)Kreis Altenkirchen. Wie wird der Abfallwirtschaftsbetrieb (AWB) des Kreises Altenkirchen aus dieser Nummer herauskommen? Die Pleite der Bremer Greensill-Bank AG, die Anfang März bekannt wurde, wird die Verantwortlichen im Kreishaus und die Kreisgremien noch über viele Jahre beschäftigen. Steht nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens der Komplettverlust von 3,6 Millionen Euro, die der AWB in zwei Tranchen (2019 und 2020) bei dem Bankhaus angelegt hatte, zu Buche oder fließt gar noch der ein oder andere Euro zurück auf das Konto des kreiseigenen Betriebes? Jedes einzelne Mitglied des Kreis- und Werkausschusses des Kreistages Altenkirchen, das tief in die "komplexe Materie" bei einer gemeinsamen Sitzung im Wissener Kulturwerk am späten Montagnachmittag (26. April) eingetaucht war, wird für sich ganz persönlich zu einer Einschätzung der Situation gekommen sein, nachdem unendlich viele, teils sehr kritische Anmerkungen die Runde - auch als Antworten auf schriftlich vorgelegte Fragen der Fraktionen von CDU, SPD und FDP - gemacht hatten. Sachverhalte wurden hinterfragt, Abläufe bewertet und Formulierungen als nicht zutreffend bezeichnet. Zudem wurde die Frage nach Konsequenzen angedeutet. Das Wohltuende: Die intensiv geführte Diskussion über fast zweieinhalb Stunden verließ in keiner Phase den Boden der Sachlichkeit.

Insolvenzverwalter arbeitet auf Hochtouren
Als (dritter) Kreisbeigeordneter und damit für den AWB zuständig, skizzierte Gerd Dittmann Aspekte der inzwischen auf Hochtouren laufenden Arbeit des Insolvenzverwalters Dr. Michael Frege, der mit 50 Rechtsanwälten in extra in Bremen angemieteten Büros versuche, möglichst viel zu retten was noch zu retten ist. Der Geschäftsbereichsleiter erwähnte noch einmal explizit, dass es für Kommunen, die Geld anlegen, seit 2017 keine gesetzliche Einlagensicherung mehr gebe. "Solche Ansprüche laufen ins Leere", bemerkte er und verwies darauf, das private Anleger mit rund einer Milliarde Euro inzwischen entschädigt worden seien. Darüber hinaus teilte Dittmann mit, dass sich eine Interessengemeinschaft kommunaler Gläubiger gebildet habe, um Ansprüche geltend zu machen. Wie genau sich der AWB beteilige, konnte Dittmann noch nicht darstellen, dennoch: "Gemeinschaftlich müssen wir das Beste draus machen", lautete seine Ansage. Er betonte erneut, die Rolle der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu hinterfragen (Hat sie ab September 2020 über Hinweise über Verstöße gegen die Bilanzierungsregeln verfügt?). Die Versiebenfachung der Bilanzsumme von 660 Millionen Euro (2018) auf 4,5 Milliarden Euro (2020) hätte auffallen müssen. Zudem müssten die Rollen des Finanzmaklers, über den der AWB die Termingeldanlagen tätigte, und der Rating-Agentur hinterfragt werden. "Wir haben keine gesetzlichen, kommunal- und dienstrechtlichen Verstöße begangen", bilanzierte Dittmann.

Großes Potenzial an Gefahr
"Das hätte nicht passieren dürfen. Warum ist es soweit gekommen, dass wir solche Probleme haben?", stieg Heijo Höfer (SPD) in die Aussprache ein und sah einen Verstoß gegen die Gemeindeordnung als gegeben an. Liege ein Verdacht der Untreue vor, so dass die Staatsanwaltschaft ermitteln müsse? "Da steckt ein großes Potenzial an Gefahr dahinter", folgerte Höfer, "hätten wir das Geld zum Beispiel bei der Sparkasse geparkt, wäre es noch da. Ich hoffe, dass so etwas nicht mehr vorkommt." Grundsätzlich forderte er "Demut" ein, als in der "Opferrolle" zu verharren. Dittmann bezog sich in seiner direkten Antwort auf die Aussage eines Rechtsanwalts, "dass wir keinen Verstoß nach der Gemeindeordnung begangen und dass wir keine Angst haben, dass uns die Staatsanwaltschaft den Betrieb auf links dreht." Hubert Wagner (FWG) vermisste das Fingerspitzengefühl: "Wenn man nicht marktübliche Zinsen erzielt, dann muss man das hinterfragen. Die Alarmglocken hätten angehen müssen." Deshalb forderte er künftig mehr Aufmerksamkeit ein. Für Dittmann hingegen waren es "keine marktunüblichen Zinsen. Die Banken liegen zwischen 0,3 und 0,5 Prozent eng beisammen".

Dienstanweisung aus dem Jahr 2007
Dr. Josef Rosenbauer (CDU) blickte in den Oktober des vergangenen Jahres zurück, als der Fachwelt die (besorgniserregende) Situation der Greensill-Bank schon bekannt war, die "zum Desaster geführt" habe. Er erfuhr zudem, dass bei einer angedachten Geldanlage der stellvertretende Werkleiter (Sebastian Blumberg) das Geschäft vorbereite und der Werkleiter (Werner Schumacher) unterschreibe. Dass Dittmann gar erst am 11. März von der Geldanlage bei Greensill erfahren hatte, verstand Rosenbauer absolut nicht; "Dass alles ohne Rücksprache erfolgt ist, fällt mir schwer zu glauben." Dittmann und Schumacher beriefen sich auf eine Dienstanweisung aus dem Jahr 2007, in der dieses Verfahren so geregelt sei. "Wir haben es von unseren Vorgängern übernommen. Wir sind keine Finanzspezialisten", unterstrich Schumacher, als Folge dessen Landrat Dr. Peter Enders und Dittmann unisono eine Reform der Vorgehensweise ankündigten. Zudem brachte Rosenbauer noch einmal das Jahr 2017 und den Wegfall der Einlagensicherung für kommunales angelegtes Geld ins Spiel. "Wir haben alle nicht nachgedacht, ob wir aufgrund der gesetzlichen Änderungen was hätten tun müssen."

"Intransparentes Geschäftsmodell"
Von einem "intransparenten Geschäftsmodell" der Greensill-Bank sprach Albert Hüsch (CDU), der nicht verstand, warum die Werkleitung nicht den Werkausschuss über das Geschäft informiert habe. Zudem biete das Rating A- seit der Lehman-Pleite keine Sicherheit. Welche Konsequenzen gelte es zu ziehen?, fragte er in die Runde. Der Pro-Kopf-Verlust auf Kreisebene ergebe 28 Euro, 0,28 Prozent der deutschen Kommunen hätten Geld bei Greensill angelegt gehabt. Auch die Formulierung im Lagebericht des AWB 2019 "Tages-oder Festgeld risikofrei angelegt" kritisierte Hüsch, "risikoarm wäre besser gewesen". Schumacher stimmte zu: "Diese Darstellung ist fehl am Platze." Josef-Georg Solbach (CDU) führte an, über die Art der Geldanlage nichts gewusst zu haben. Die Alarmmeldung der BaFin im September 2019 hätte beachtet werden müssen. Udo Piske (FDP) nannte die 3,6 Millionen Euro "angespartes Geld für die Müllentsorgung in der Vergangenheit und ein Drama gegen die Gebührenzahler". Sollte der Verlust bestehen bleiben, kann er nicht von den Gebührenzahlern gedeckt werden, sondern muss von den Steuerzahlern (ggf. Erhöhung der Grundsteuer) ausgeglichen werden.

5 Millionen Euro bei Mercedes Bank
Aktuell hat der AWB noch 5 Millionen Euro als Termingeld bei der Mercedes-Bank bis zum Oktober 2020 Jahr anlegt (Rating A-). Eine vorzeitige Kündigung/Auflösung des Vertrages lehnte das Kreditinstitut ab. 11 Millionen Euro befinden sich auf dem AWB-Girokonto. 5 Millionen Euro benötigt er jährlich für die Abwicklung des operativen Geschäfts. Die Oberflächenabdichtung der Deponie in Nauorth wird in den nächsten drei bis vier Jahren rund 10 Millionen Euro kosten. Für die Deponienachsorge kommen weitere Ausgaben "für viele Jahre" auf den AWB zu. Wann die Deponie aus der Überwachung entlassen wird, entscheiden ADD und SGD Nord.

Zweimal wurde Termingeld angelegt
Der AWB hatte sich als Anlageform jeweils für Termingeld (einmal 2 Millionen Euro und einmal 1,6 Millionen Euro) mit einem Zinssatz von jeweils 0,5 Prozent und mit einer Laufzeit von jeweils zwei Jahren bei Greensill entschieden. Der Deal war über einen Finanzmakler abgewickelt worden, mit dem seit rund 20 Jahren geschäftliche Kontakte gepflegt werden. Das Geld hätte im Dezember 2021 und im September 2022 wieder zur Verfügung gestanden und gehörte der Rücklage an. Mit Greensill befand sich der AWB seit dem Jahr 2015 in sporadischen Geschäftsbeziehungen. Vor sechs Jahren war zum ersten Mal Termingeld dem Bankhaus überlassen worden. Die in Rede stehenden 3,6 Millionen Euro sind/waren für die Nachbehandlung der Deponie mit dem Schwerpunkt Oberflächenabdichtung vorgesehen. Zum Anlagenprozedere: Wenn der AWB, der als rechtlich unselbstständig gilt, Geld anlegen will, lässt er sich von dem Finanzmakler eine Liste mit Investitionsmöglichkeiten erstellen, anhand derer die Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Anlage fällt. Er zahlt dafür keine Provision.

Moratorium am 3. März
Die BaFin hatte am 3. März ein so genanntes Moratorium über die Greensill Bank angeordnet - mit der Folge, dass weder Zahlungen entgegengenommen noch getätigt werden durften. Gleichzeitig wurde ein Sonderbeauftragter der BaFin bei der Bank eingesetzt. Es wird wegen Bilanzbetrugs ermittelt, und entsprechende Strafanträge wurden von der BaFin gestellt. Am 16. März wurde auf Antrag der BaFin durch das Amtsgericht Bremen über das Vermögen der Greensill Bank AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kanzlei Rechtsanwälte Dr. Caspers, Mock und Partner übertrug der AWB das Mandat zur Wahrung seiner Interessen. Ob überhaupt Gedanken an eine in welcher Höhe auch immer geartete Rückzahlung erlaubt sind, könnte bei der Gläubigerversammlung am 8. Juni zumindest einmal angedeutet werden. Mehrere Städte werfen der Finanzaufsicht vor, zu spät über die Probleme bei Greensill informiert zu haben. Sie prüfen Haftungsansprüche und wollen sich zusammentun, um aus der Insolvenzmasse einen Teil ihrer Einlagen zurückzuerhalten. Der BaFin zufolge seien die Stadtkämmerer in der Fachpresse mehrfach darauf hingewiesen worden, dass das Geld von Kommunen nicht mehr geschützt sei.

AWB nicht auf den Toprängen
Die Wirtschaftszeitung Capital veröffentlichte eine Rangliste deutscher Städte, die Greensill deutlich mehr Geld anvertraut hatten als der heimische AWB (Angaben in Millionen Euro): Monheim (Rhein) 38, Eschborn 35, Wiesbaden 20, Schwalbach (Taunus) 19, Weissach 16, Osnabrück 14, Nordenham 13,5, Bötzingen 13,2, Gießen 10, Garbsen bei Hannover 8,5. Das Land Thüringen hatte 50, die städtischen Bühnen Köln 15 Millionen Euro anlegt. Die Greensill Bank AG ist laut Wikipedia Teil der anglo-australischen Greensill-Gruppe. Die Bank wurde 1927 in der Hansestadt unter der Firmierung Norddeutsche Finanzierungs-AG gegründet, später in NordFinanz Bank umbenannt und trägt seit Oktober 2014 ihren heutigen Namen. Sie unterhielt keine rechtlich unselbständigen oder selbständigen Niederlassungen. Zuvor hatte sie noch unter dem Namen NordFinanz Bank über Geschäftsstellen in Hamburg, Hannover, Düsseldorf, München, Leipzig und Oldenburg verfügt, die in den Jahren vor 2014 sukzessive geschlossen worden waren. (vh)
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