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Nachricht vom 02.02.2011 |
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Region |
"Die Landwirtschaft steht am Scheitelpunkt" |
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Auf Einladung von Bündnis 90/Die Grünen wurde über die Zukunft der Landwirtschaft und die Konsequenzen aus dem Dioxin-Skandal diskutiert. Grünenpolitiker, Bauern und Naturschützer waren sich einig: bäuerliche Landwirtschaft anstatt Agrarindustrie. Doch dafür müsste die Politik im Zuge der EU-Agrarreform endlich andere Wege einschlagen. |
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Altenkirchen. Für Wolfgang Stock vom Kreisvorstand des BUND war die Großdemonstration "Wir haben es satt" im Rahmen der "Grünen Woche" in Berlin richtungsweisend und eine prägende Erfahrung zugleich. Sie habe ihm wieder Hoffnung gegeben, dass die Menschen eine andere Landwirtschaft wollen wie sie derzeit mit all ihren Fehlentwicklungen praktiziert werde. Stock war einer von etwa 22 000 Bürgern, die sich in Berlin zusammengefunden hatten, um gegen Massentierhaltung, Gentechnik und Dumping-Exporte zu demonstrieren. Der Dioxin-Skandal hat den Verbraucher endgültig aufgerüttelt, so scheint es, und auch auf der Veranstaltung von Bündnis 90/Die Grünen wurde mit viel Eifer über eine "Landwirtschaft mit Zukunft" und die Konsequenzen aus dem Dioxin-Skandal diskutiert.
Nach Altenkirchen waren dazu neben der Spitzenkandidatin der Grünen in Rheinland-Pfalz, Eveline Lemke, auch die beiden Bundestagsmitglieder Ulrike Höfken, Sprecherin für Ernährungspolitik und Agrogentechnik, und Friedrich Ostendorff, Öko-Landwirt und agrarpolitischer Sprecher der Grünen, gekommen. Die Grünenpolitiker forderten im Hinblick auf die EU-Agrarreform, dass die europäische Agrarpolitik nach 2013 auf eine nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft ausgerichtet werden müsse und dementsprechend auch die Fördergelder verteilt werden. Ebenso wie die Exportorientierung in der Landwirtschaft und die damit einhergehende Expansion in der Massentierhaltung kritisierte Höfken die Agrogentechnik als "den am meisten subventionierten Bereich weltweit", der zu Unrecht mit Milliarden Euro gefördert werde. Dies sei der falsche Weg. "Vernünftige Strukturen für eine mittelständische Erzeugung" seien erforderlich, hieß es, der ländliche Raum müsse für die landwirtschaftliche Produktion erhalten und gestärkt werden. Anstatt Überproduktion seien Qualität und Effizienz gefragt, die der Ökolandbau garantiere, so Höfken.
Ostendorff: Verbraucher will Kuh von der Weide
Axel Walterschen, Milchbauer und Mitinhaber eines konventionell geführten Betriebes, rückte in der Diskussion die Rolle des Verbrauchers in den Blickpunkt. Dieser müsse sich über die Herkunft der Produkte Gedanken machen und auf regionale Produkte achten. Doch man lege immer weniger Geld für Nahrungsmittel beiseite, merkte Walterschen an. Nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes gaben im Jahre 2009 die privaten Haushalte nur noch 11,2 Prozent ihrer Konsumausgaben für Nahrungsmittel aus. Hier, so Walterschen, könnten die Skandale zu einem Umdenken führen. Einig war man sich darüber, dass es immer noch an einer ausreichenden Produktkennzeichnung fehle. Daneben vermittle die Werbung, die laut Ostendorff eine "Verbrauchertäuschung in riesigem Umfang" betreibe, ein verklärtes Bild von Landwirtschaft. Nicht die Tierhaltung in freier Natur, sondern 22 Hühner auf einem Quadratmeter, das sei oft die Realität. Trotz allem sei der Verbraucher jedoch zunehmend besser informiert und plädiere für eine gesunde Landwirtschaft, betonte Ostendorff, "die Landwirtschaft steht mittlerweile im gesellschaftlichen Fokus." Nachholbedarf sieht Claudia Leibrock von der evangelischen Landjugendakademie in Altenkirchen hingegen in der Ernährungsaufklärung von Kindern und Jugendlichen. Man müsse junge Menschen auf die Bauernhöfe holen, Schüler über gesunde Ernährung aufklären.
Bauern im Kreis haben schweren Stand
Seit längerem ist die Landwirtschaft durch den Rückgang landwirtschaftlicher Betriebe bei gleichzeitigem Anstieg der Betriebsgrößen gekennzeichnet. Und so verwiesen Georg Groß vom Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau und Klaus Bay von der Arbeitsgemeinschaft für bäuerliche Landwirtschaft auf den schweren Stand der Bauern im Kreis. Es gebe beispielsweise nur noch drei Betriebe im Kreis, die Schweine halten, so Groß. Der Alltag im Betrieb sei hart, Freizeit eine Seltenheit, erzählte Walterschen von seinem Milchviehbetrieb. Es sei bedauernswert, so Gerd Dittmann, Direktkandidat der Grünen im Wahlkreis 1, dass die Landwirtschaft vom Prinzip "Wachsen oder Weichen" bestimmt werde. Er warnte daher vor einer Verwahrlosung unserer Kulturlandschaft, denn schließlich sei der Bauer eine Art "kostenloser Landespfleger". Zudem sei die monotone Felderwirtschaft ohne Fruchtfolgen ein weiteres Problem mit negativen Folgen für Natur und Tierwelt, ergänzte Stock.
Eine Verwicklung in einen Futtermittelskandal könnten sich die Betriebe im Kreis nicht erlauben. Denn letztlich seien es die Bauern, die in einem solchen Fall Schaden nehmen, wie Ostendorff erläuterte. Die entstandenen Verluste müssen gedeckt werden, doch hier gebe es momentan noch keine Lösung und damit keine Sicherheit für die Bauern. Für den überzeugten Ökolandwirt liegt die Sache auf der Hand: Das alte System habe versagt und nicht zuletzt der Dioxinskandal habe die Anfälligkeit der Agarindustrie verdeutlicht. Die Landwirtschaft sei in ihrer Entwicklung am Scheitelpunkt angekommen, an dem nun eine Kehrtwende im Sinne einer bäuerlichen Landwirtschaft vollzogen werden müsse. Und so forderte Höfken in ihrem Schlussplädoyer: "Für unsere Lebensgrundlagen müssen wir kämpfen." Politische Entscheidungen müssen her, das weiß auch Stock ganz genau, und so will er notfalls noch einmal den Weg nach Berlin auf sich nehmen und demonstrieren. (Thorben Burbach)
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Nachricht vom 02.02.2011 |
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