AK-Kurier
Ihre Internetzeitung für den Kreis Altenkirchen
Nachricht vom 04.11.2021
Kultur
„Nacht der Entscheidung“ in Betzdorf-Bruche: Martin Luther und die virtuelle Realität
Bei der „Nacht der Entscheidung“ erlebten die Besucher einen spannenden Abend. Es ging darum, ob der Reformator Martin Luther die heutige, neueste Technologie genutzt hätte, um den Inhalt Glaube zu verpacken. „Ich glaube, Luther hätte die Möglichkeit dieser genialen Verpackung genutzt“, sagte Jugendreferent Eckart Weiss.
Reformator Martin Luther mit seinen druckfrischen Schriften in der Hand trifft auf „Herrn Stephan“, der in einer virtuellen Realität unterwegs ist. (Foto: tt)Betzdorf-Bruche. Martin Luther hatte die damals neuste Technologie für sich genutzt, und zwar die Druckerkunst. Aber der Reihe nach. Wie im Vorjahr war man auch im zweiten Jahr der Pandemie vom angestammten Platz, der evangelischen Kreuzkirche in Betzdorf, für die „Nacht der Entscheidung“ am Reformationstag abgewichen und hatte die Industriehalle des Businesspark Wolf in Bruche gewählt. Das Kernthema war, ob der Reformator, wenn er die Gelegenheit dazu hätte, auf die heutige Technik gesetzt hätte, um seine Schriften und seine Botschaften unter die Leute zu bringen. Hätte Martin Luther den Inhalt in die virtuelle Realität verpackt, um ihn attraktiv zu machen?

Apropos Verpackung: Das Helferteam hatte es wieder verstanden, die „Nacht der Entscheidung“ ansprechend zu verpacken, um letztendlich den Inhalt und die Kernbotschaft fein zu präsentieren, den Besuchern vor Ort. Darüber hinaus wurde auch an etwa 50 Stellen der Livestream verfolgt. Auch nach der „Nacht der Entscheidung“ wurde das Video noch eifrig runtergeladen. Nach 24 Stunden waren es bereits 350 Klicks.


In eine fantastische Welt tauchten die Besucher bereits am Eingang ein: In einem Schwarzlichttunnel begegneten sie neonleuchtenden Insekten und Blumen. Und die „Insekten“ spielten Natascha Mockenhaupt Emely Meister. Es hatte etwas von der virtuellen Welt beim Blick durch die VR-Brille. Das Stichwort war Avatar, wie Natascha Mockenhaupt später auf der Bühne im Gespräch mit Moderatorin Angela Senff herausstellte. Was sie mit virtueller Welt verbinde, sagte Senff, das sei das Abtauchen in eine andere Welt und das Verlassen der Realität. Neue Beziehungen schaffen, sich treffen und Spaß haben, aber auch sich zu informieren.

Diese virtuelle Realität wurde auch für die 200 Besucher, darunter auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter von evangelischer Kirchengemeinde Betzdorf und CVJM, sichtbar. Jan Phillip Stephan hatte eine VR-Brille auf dem Kopf, fuchtelte mit den Armen wild in der Luft. Was Stephan machte und sah, das wurde für die Besucher auf eine Leinwand projiziert. Auf „Herrn Stephan“ traf auch Reformator Martin Luther bei der „Nacht der Entscheidung“.

Zwischen einen großen Kreuz auf der einen Seite der Bühne und einer alten Druckerpresse aus Holz im Stil von Johannes Gutenberg hatte die Band „Extrakt“ aus Niederdresselndorf den Abend nach einer Lichtshow musikalisch eröffnet. Vor einigen Jahren war die Band mit christlichem Pop bereits in der evangelischen Kreuzkirche bei dem besonderen Gottesdienst am Reformationstag mit von der Partie.

Es ist ein guter Brauch, dass bei der „Nacht der Entscheidung“ ein Anspiel eingebunden ist. Und das führte zunächst in die Druckerei, wo Mathies Lixfeld an der Presse stand und die Schriften von Martin Luther, von Jugendreferent Eckart Weiss gespielt, vervielfältigte. Der Reformator war hin und weg, als er die frisch gedruckten Blätter in den Händen hielt: „Ich liebe den Geruch von frischer Tinte.“ Die „neuste Technik“ brachte der Reformator passioniert gleich unter die Leute, nämlich unter die Besucher. Und auch an Herrn Stephan? Zumindest begegnete Luther dem Mann, der in der virtuellen Realität unterwegs war. Aber von dem Papier, was Luther als neuste Technik anpries, ließ „Herr Stephan“ sich so überhaupt nicht beeindrucken: „Schick mir das doch als E-Mail“, sagte er, zum Downloaden oder als PDF-Datei.

„Wo bin ich“, fragt Luther, als er probeweise die VR-Brille aufgesetzt hat und meinte: „Das ist Zauberei.“ Aber dann ist er doch begeistert, weil er „Herr Stephan“ erläutert, dass man damit die Menschen überall zu jeder Zeit mit den Botschaften erreichen kann. Die virtuelle Realität als Verpackung für den guten Inhalt, wie auch schon bei dem gedruckten Papier. Frau Heinrich, die als Gönnerin Luther die Taler für die Druckaufträge in die Hand drückt, kann er diese virtuelle Realität gar nicht schmackhaft machen. „Wir können unsere Botschaft zu jeder Zeit zu den Menschen nach Hause bringen“, schwärmt Luther. „Dann kommen die Leute gar nicht mehr zu uns“: Frau Heinrich winkt gleich ab, denn nach ihren Vorstellungen, sollen die Menschen in die Kirche kommen, „die ein heiliger Ort“ sei. Während Frau Heinrich, von Ramona Hebel gespielt, schon zu ihrer nächsten Verpflichtung davoneilt, ruft ein perplexer Luther hinterher, der die Argumentation seiner Unterstützerin so gar nicht nachvollziehen kann: „Frau Heinrich, ich dachte, wir hätten eine Mission, eine Botschaft. Einen Auftrag.“

Das war die Einleitung, anschaulich und unterhaltsam verpackt, hin zur Predigt. Diese hielt Jugendreferent Eckart Weiss zunächst noch als Reformator Luther und meinte: „Versteht ihr, warum ich mich als Luther so aufregen muss über diese Argumentation?“ Die Druckerkunst sei die neuste Technik, aber die virtuelle Realität, das passe nicht. „Haben die Christen nichts gelernt? Müssen wir den gleichen Fehler wieder machen?“, fragte Weiss und stellte die Stichworte Inhalt und Verpackung in den Raum. Der Druck sei doch auch nur die Verpackung für den Inhalt, das Evangelium. Aber eine Verpackung dürfe eben nicht unattraktiv sein. Weiss: „Wir müssen über Inhalt und Verpackung reden.“ Er blickte auf die Zeiten des Reformators zurück: „Die Kirche war Vermittler und Verkäufer von Kirche.“ Und sie habe viele Verpackungen gewählt, hier das imposante Gebäude, dort Musik und Tradition, und sie habe eine Sprache entwickelt. Der Inhalt sei Jesus Christus geblieben, sagte der Jugendreferent, aber: „Was man jedoch sah, das war die Verpackung, und die hat teilweise abgestoßen.“ Der Mensch verändere sich, spätestens nach einer Generation. Und nun treffe dieser veränderte Mensch auf die Verpackung der Kirche, schilderte Weiss und spannte den Bogen hin zum Reformator: „Luther musste die Verpackung verändern.“ Das machte er an den Beispielen fest: „Keine lateinische Messe und keine heilige Schrift in lateinischer Sprache“, so der Jugendreferent: „Es musste deutsch sein.“ So sei die Masse angesprochen worden. „Weil der Mensch ein Recht darauf hat, verständlich von Gott zu hören“, sagte Weiss in seiner wie gewohnt leidenschaftlichen Predigt: „Und jeder Christ hat die Verpflichtung, verständlich von Gott zu erzählen.“

Inhalt und Verpackung brachte er sogleich an einem anschaulichen Beispiel näher. Weiss hielt zwei Flaschen in den Händen und versicherte, dass in beiden absolut sauberes Trinkwasser sei. Die Krux: Die eine Flasche war absolut sauber, die andere äußerlich schmutzig. Verständlicherweise wählte der Junge, den Weiss aus dem Publikum ansprach, für sich die saubere Flasche aus, und der Jugendreferent meinte: „Die Verpackung muss wieder attraktiv werden.“ Nur so könne man den guten Inhalt weitergeben. „Wir müssen über virtuelle Realität als Verpackung und Inhalt reden“, motivierte Weiss, der glaubt: „Luther hätte die virtuelle Realität eingesetzt, weil es eine geniale Verpackung ist.“

Mit Tiefgang predigte Weiss – und legte den Finger in die Wunde. Weil man Angst habe, etwas falsch zu machen, sei es mit Veränderungen schwierig. Und dann stehe man sich dabei selbst im Weg. Der Inhalt – der Glaube und Jesus Christus – sei gut, und davon dürfe die Verpackung nicht abhalten, nur weil sie selbst als unattraktiv erscheint. Wenn die Verpackung nicht mehr anspreche, und damit der Inhalt nicht mehr ankomme, müsse die Verpackung moderner, zeitgemäßer und attraktiver werden, schälte Weiss in seiner Predigt als Kern heraus. Gott habe es doch vorgemacht. Um verstanden zu werden, habe er sich klein gemacht: „Gott kommuniziert mit uns, und er wählte die Verpackung Mensch, damit diese Liebe verstanden wird“, sagte der Jugendreferent: „Das ewige Leben fängt hier an und geht über den Tod hinaus.“

Es waren bei der Predigt auch die Momente eingebaut, wo die Besucher aufgefordert waren, sich selbst Gedanken zu machen, etwa als ein Bibelvers wirken sollte. „Lass dich nicht von der Verpackung abschrecken und schau, wie der Inhalt dein Leben verändert“, motivierte Weiss. Mit Blick auf die Pandemie erwähnte der Jugendreferent, dass man in der evangelischen Kreuzkirche in Betzdorf sich darauf eingelassen habe, die Gottesdienste im Livestream den Menschen nach Hause zu bringen, und er erkannte das an: „Ich bin stolz auf unsere Kirche.“ Und auch darüber hinaus gebe es Aktivitäten.

Weiss berichtete, dass aus der Kirche Bänke herausgeschraubt wurden. Es wurde eine Kaffeemaschine aufgestellt. Und warum? „Weil wir anschlussfähiger werden wollen.“ Für Begegnung und Kommunikation. Er meinte, dass da sogar noch Luft nach oben sei und noch mehr gehe. Kirche dürfe nicht den Fehler machen, ehemalige Mode zur Tradition werden zu lassen und Inhalt und Verpackung zu vermischen. Weiss ermutigte die Besucher dazu, die Verpackung zu durchstoßen, um zu dem guten Inhalt zu kommen, zum Glauben und Jesus Christus.

Bei der Eröffnung hatte Moderatorin Angela Senff die Besucher aufmerksam gemacht, dass bei den Liedern der Band „Extrakt“ mitgesungen werden darf – und natürlich auch bei dem Lied „Eine feste Burg ist unser Gott“. Wie von der „Nacht der Entscheidung“ gewohnt, wurde das von Luther geschriebene Lied zum Abschluss gesungen. (tt)

       
Nachricht vom 04.11.2021 www.ak-kurier.de