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Nachricht vom 28.12.2021 |
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Politik |
Landrat Enders im Interview: Sehr großer Wunsch auf ein "ganz normales Jahr"
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Das Jahr 2021 neigt sich seinem Ende entgegen. Vielerorts wird ein Fazit gezogen, ein Ausblick auf das kommende gewagt. Altenkirchens Landrat Dr. Peter Enders verspürt den sehr großen Wunsch, dass 2022 ein ganz normales wird. Es wäre das erste komplett reguläre in seiner Amtszeit. |
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Altenkirchen. Corona, Corona und kein Ende: Landrat Dr. Peter Enders, seit dem 1. September 2019 in Amt und Würden, hofft, wie viele Menschen im Kreis Altenkirchen gewiss ebenfalls, dass 2022 endlich wieder ein ganz normales Jahr wird. Auch diesen Aspekt beschreibt er im Exklusiv-Interview mit dem AK-Kurier zum Jahresabschluss 2021. Darüber hinaus zeigt Enders sich sehr zufrieden, dass so gut wie alle Projekte trotz Pandemie in den zurückliegenden fast zwölf Monaten realisiert wurden – auch dank immensen Einsatzes der Mitarbeiter in der Kreisverwaltung, wie er betont. Das Gespräch im Wortlaut:
2021 - Ein weiteres Jahr unter Corona-Bedingungen: Wie zufrieden sind Sie mit dem Verlauf des Jahres und der Umsetzung der Vorhaben?
Es war ein Jahr nur mit Corona. Im letzten Jahr hatten wir noch zwei Monate ohne Corona. Dieses Jahr ist erschreckend schnell rumgegangen, weil man mit Arbeit wirklich zugeschüttet war. Bestimmte Aufgaben, die man sonst als Landrat wahrgenommen hat wie beispielsweise der Besuch von kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen abends und am Wochenende, waren sehr ausgedünnt, konnten nur partiell stattfinden. Dafür hat man aber viel Arbeitszeit rund um die Pandemie hineinstecken müssen. Ich frage mich manchmal, was man alles hätte machen können, wenn es Corona nicht gegeben hätte. Erstaunlicherweise ist es aber weitergegangen. Der Musikschulbetrieb läuft wieder, die Busse fahren, der Unterricht an den Schulen findet statt, Baumaßnahmen an Gebäuden und Straßen gehen voran. Es ist erstaunlich, wie man sich arrangiert hat. Das ist ein Stück Normalität, das wieder da ist für die Verwaltung. Trotzdem schlaucht das alle Mitarbeiter - vom Landrat bis zum Pförtner, weil wir unter anderen Bedingungen arbeiten müssen. Man gewöhnt sich zwar an vieles. Trotzdem sind das Stressfaktoren, die, und das gestehe ich dem einen oder anderen zu, unter die Haut gehen.
Woran denken Sie im Speziellen?
Ich denke natürlich besonders ans Gesundheitsamt, dessen Mitarbeiter bestimmte Aufgaben, wie beispielsweise normale Impfungen anzubieten, gar nicht mehr wahrnehmen können. Dazu zählen auch die Schuleingangsuntersuchungen. Wir sind in einem Notstandsbetrieb, in dem man priorisieren und die Zeit optimal eingesetzt werden muss. Das führt die Mitarbeiter an die Grenze der Belastbarkeit. Deswegen bin ich sehr froh, dass uns aktuell wieder Soldaten der Bundeswehr unterstützen. Wir hatten uns darum intensiv bemüht, und das war von Erfolg gekrönt. Die Verwaltung hat mehr oder weniger uneingeschränkt weiterarbeiten können unter Corona-Bedingungen wie Testungen oder Ausweiskontrolle für Gäste und für Mitarbeiter. Es sind nur wenige Mitarbeiter, die nicht geimpft sind, die zeitnah Tests vorlegen müssen. Ich bin auch der Ansicht, dass wir diese nicht bereitstellen müssen. Das ist eine Bringpflicht, wenn man sich nicht impfen lässt. Das erwarte ich auch.
Wie ist es um die Gesellschaft bestellt?
Ich sehe in der Gesellschaft ein Problem. Die Wirtschaft läuft - aber nicht überall. Dieser Tage konnte man lesen, dass die Zahl der Insolvenzen im Kreis Altenkirchen zugenommen hat. Besonders der Bereich, der mit Events, Kultur und Gastronomie zu tun hat, tragende Säulen unseres gesellschaftlichen Lebens, hat Probleme. Was mich auf der einen Seite zuversichtlich gestimmt hat, ist die Tatsache, dass wir viel früher als gedacht impfen konnten und schon so weit sind, aber eben nicht weit genug, weil wir jetzt in der Phase sind, in der ein bestimmter Kern von Menschen betonartig nicht bereit ist, sich impfen zu lassen. Wir sind in der Phase der Auffrischungsimpfungen unter dem Aspekt, dass eine Virusvariante da ist, die wahrscheinlich im nächsten Jahr eine weitere Boosterung erforderlich macht. Ich gehe davon aus, dass es mit Corona so werden wird wie mit Influenza, dass wir jedes Jahr eine Auffrischung brauchen, um die Virusvarianten abzufangen. Das kann nicht über Jahre mit Impfbussen, in Partyzelten oder Dorfgemeinschaftshäusern laufen. Das muss dauerhaft in die Hand der Hausärzte gelegt werden. Es ist gut, dass der Biontech-Impfstoff ab nächstem Jahr in gelöster Form vorliegt und dass es jetzt auch einen Totimpfstoff gibt, der in normalen Praxen gehändelt werden kann. Das ist vielleicht die Zukunft, logistisch viel einfacher. Und: Wenn 20 Prozent der Hausärzte in Rheinland-Pfalz nicht mitmachen, sind das 20 Prozent zu viel. Ich sehe mit einem gedämpften Optimismus in das nächste Jahr. Ich glaube, dass, wenn wir diese Virusvariante hinter uns haben, ein ruhigerer Zustand eintritt.
Was ist auf der Strecke geblieben?
Das Miteinander und das kulturelle Leben. Das sind Teile unserer Lebensqualität. Der Mensch lebt ja nicht nur, um zu arbeiten. Das geht über Musik, Konzert, Volksfest, das kirchliche Leben. Da ich regelmäßiger Kirchgänger bin, sehe ich, dass weniger Menschen in die Kirchen gehen. Die dauernd wechselnden Vorschriften sind für ältere Menschen schon eine Belastung. Jeder lebt so ein bisschen für sich, man lebt isolierter, die Teilhabe ist nicht mehr da.
Und aus Sicht der Verwaltung?
Eigentlich ist alles so gelaufen, wie wir es wollten. Aber nur unter hohem persönlichem Einsatz der Mitarbeiter - zum Beispiel in der Schulabteilung, zum Beispiel in der Bauabteilung oder im Gesundheitsamt, auch bei der Ordnungsbehörde. Bei diesen Mitarbeitern ist dann auch einmal die Luft raus.
Der Brandanschlag aufs Gesundheitsamt hat Bestürzung ausgelöst. Ihre Vermutung: Richtete er sich speziell gegen die Arbeit des Gesundheitsamtes oder gegen Sie, da sie sich mehrfach sehr deutlich für eine Impfpflicht ausgesprochen haben?
Ich glaube, dass eher ersteres der Fall ist, dass er sich gegen das Pandemiemanagement richtete. Wenn man mich hätte treffen wollen, hätte man meinen Dienstwagen beschmiert oder zerkratzt, den ich inzwischen nicht mehr über Nacht in Altenkirchen parke. Ich sage mir, dass das Auto nicht mehr sicher ist.
Steht die Bevölkerung des Kreises noch immer hinter den Covid-19-Einschränkungen?
Ich sehe in der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung eine Akzeptanz der Maßnahmen. Aber: Irgendwann erschöpfen die Leute. Deswegen kann ich nur noch einmal betonen: Die einzige Chance ist, schneller und mehr zu impfen. Das haben einige offensichtlich noch nicht begriffen oder sie wollen es nicht begreifen. Wenn 90 Prozent der Schwerkranken auf Intensivstationen Ungeimpfte sind, dann brauche ich keine Studien. Das ist der klassische Beweis. Wenn alle geimpft wären, wären die Intensivstationen nicht so voll. Dann kommt aber immer das Argument, dass auch die Gesunden das Virus übertragen können. Ja, aber wenn alle geimpft sind, wird das Risiko der Übertragung eben erheblich reduziert. Ich sehe einen zunehmend höheren Anteil in der Bevölkerung, der erschöpft ist. Diejenigen, die beispielsweise bei Spaziergängen wie in Altenkirchen mitgehen, sind nicht alle militante Querdenker. Diese Menschen sind einfach erschöpft. Ich habe kein Verständnis für die radikalen Impfgegner. Ich bin auch nicht mehr bereit, mit diesen Leuten zu diskutieren. Vielleicht sind manche aber noch mit dem neuen Totimpfstoff zu gewinnen.
Wie groß ist Ihr Wunsch nach einem ganz normalen Jahr als Landrat?
Sehr groß. Ich habe noch sechs Jahre vor mir. Ich habe nach wenigen Tagen als Landrat gemerkt, dass es eine Tätigkeit ist, die einen wirklich begeistern kann. Kein Tag ist langweilig, jeder Tag bietet neue Themen. Ich wünsche mir, dass wir ab Mitte nächsten Jahres gesellschaftlich in die normale Spur zurückkehren können. Es ist im Prinzip wie bei Menschen, die im Krieg leben und arbeiten müssen. Es sind Ausnahmezustände. Gott sei Dank ist es kein Krieg, das wäre viel schlimmer. Auch in Kriegszeiten hatten Menschen Einschränkungen ihrer Freiheiten hinnehmen müssen und auch die Gefährdung ihres Lebens. Wir sind im Krieg mit einem Virus. Die Sterblichkeit ist angestiegen. Deswegen ärgere ich mich, wenn Menschen sagen, das sei nur eine Erkältungskrankheit.
Erschwerend zu dem Virus gesellte sich der mögliche Verlust von 3,6 Millionen Euro, die der AWB als Anlage der in die Insolvenz gegangenen Greensill-Bank anvertraut hatte. Wie stark belastet Sie dieser Vorgang, haben Sie nach wie vor Vertrauen in die AWB-Führung?
Mich belastet, dass die Werkleitung des AWB die Information über eine interne Dienstanweisung erst nach massivem Nachfragen im Zuge der Erstellung eines internen Gutachtens herausgerückt hat. Das ist ja im Kreistag deutlich geworden. Hätte man das früher gemacht, hätten wir uns viele Sitzungen sparen können. So etwas geht einem nicht einfach durch. Mein Vertrauen in die AWB-Werkleitung ist beschädigt.
Erwarten Sie von der Werkleitung persönliche Konsequenzen?
Wir sind in einem Prozess, der noch nicht beendet ist. Welche Konsequenzen der Landrat daraus zieht, werde ich am Ende des Prozesses gemeinsam mit den Beigeordneten feststellen. Ohne das Gutachten, das im Haus erstellt worden ist, wären wir heute immer noch "dumm".
Die erste Konsequenz (Änderung des Verfahrens beim Platzieren einer Anlage) ist vorerst fixiert. Werden weitere folgen?
Wir haben eine neue Dienstanweisung, die in Arbeit ist. Sie wird im Januar im Kreisausschuss beraten. Als Sofortmaßnahme dürfen Geldanlagen nur noch mit Zustimmung des gesamten Kreisvorstandes erfolgen. Ich werde mich darüber hinaus mit dem Kreisbeigeordneten Dittmann abstimmen, welche Maßnahmen wir ergreifen, um die Dienstaufsicht noch zu verschärfen.
Der Haushalt hat sich in den zurückliegenden beiden Jahren auf deutlich solidere Füße gestellt. Planen Sie, die Konsolidierungsmaßen (Einschnitte bei der Sportförderung beispielsweise) zurückzunehmen?
Darüber wird der Kreistag befinden müssen. Einiges ist ja noch im Fluss: Stichwort Schul-Bibliotheken. Wir haben eine Arbeitsgruppe gebildet, die sehr zäh geliefert hat. Wir werden Anfang des neuen Jahres Vorschläge im Kreisausschuss machen. Derzeit herrscht auch kein Druck, weil die Stellen erst im übernächsten Jahr auslaufen. Im Lauf des nächsten Jahres wird das entschieden. Ähnliches gilt auch für die Fortführung der Arbeit im Bergbaumuseum in Herdorf-Sassenroth, nachdem der Museumsdirektor in den Ruhestand gegangen ist. Es gibt sicher intelligente Wege, das Museum auch weiterhin geöffnet zu lassen. Bei der Sportförderung ist die ADD sehr stringent. Das sind freiwillige Aufgaben. Der Haushalt für 2022 ist relativ unproblematisch.
Noch immer ist die Entlohnung der Kita-Mitarbeiter nach Inkrafttreten des neuen Kita-Gesetzes nicht geregelt. Das Land hat seinen Anteil festgelegt, es fehlt eine Vereinbarung, die den prozentualen Anteil zwischen den Kreisen und den Trägern regelt. Wie beurteilen Sie diese Situation?
Ich finde es ein Unding, dass die Rahmenvereinbarung auf Landesebene seit über einem Jahr nicht verhandelt ist. Unser Beigeordneter Klaus Schneider ist am Verzweifeln, weil keine Bewegung in den Vorgang kommt, er pocht da immer wieder auf ein Ergebnis. Keiner will als Erster den Kopf rausstrecken. Jetzt müssen wir auf Sicht fahren, ohne zu wissen, wie es letztendlich werden wird. Die Spitzenverbände müssen endlich liefern.
Wie fällt ihre Vorschau fürs Jahr 2022 aus?
Alles, was wir mit dem Haushalt beschlossen haben, zum Beispiel die Infrastrukturmaßnahmen, wollen wir zügig umsetzen. Ich habe große Hoffnung, dass wir beim Thema Stegskopf weiterkommen. Thema Windkraft: Hier müssen Positionen von Natur- und Umweltschutz vereint werden. Und es braucht eine Veränderung der Rahmenbedingungen, die derzeitige Vertragslage lässt das nicht zu. Mit der neuen Bundesregierung muss man abstecken, ob man zu der Einsicht kommt, dass Windkraft durchaus auch Umweltschutz sein kann, wenn es dort oben in einem überschaubaren Maße stattfindet. Das ist ein Projekt, das ich so schnell nicht aufgebe und von dem ich nicht weiß, wie es ausgeht. Der Vertrag für die Mediation ist fixiert, sie läuft an. Ob es ein Ergebnis gibt, da bin ich bekanntlich selbst sehr gespannt angesichts der vielfältigen Gemengelage. Darüber hinaus ist mir die ärztliche Versorgung ein wichtiges Thema. Für das Krankenhausprojekt in Müschenbach ist ein Architekt benannt worden. Die entscheidende Frage ist: Alle wissen, dass es mehr kosten wird. Ich gehe von einer Kostensteigerung in Höhe von 20 bis 30 Prozent aus. Steht das Land dann zu seiner Zusage, die förderfähigen Kosten in Höhe von 90 Prozent zu übernehmen? Der "Letter of intent" ist keine Zahlungsanweisung. Ich habe den Eindruck, dass das Konzept dieses Krankenhauses auch auf eine mögliche Erweiterung ausgelegt ist. Ich gehe immer noch davon aus, dass man neben dem Krankenhaus in Kirchen nur ein weiteres in der Region benötigt und langfristig Asbach, Selters, Dierdorf und Hachenburg-Altenkirchen zusammenführen könnte. Das wäre ein Wurf, der für die Region echt etwas bringen würde, ein Konzept der Konzentrierung aus einem Guss. Da sind die handelnden Akteure aber anderer Ansicht.
Zehn Begriffe
Zehn Begriffe, die Enders in aller Kürze und ad hoc aus seiner Sicht beschreiben sollte:
Omikron-Variante - eine Herausforderung; Impfzentrum - leider nötig; Kreisumlage - stabil; Digitalpakt - geht in die richtige Richtung; E-Ladesäule - Luft nach oben; Heimat - wichtig; Familie - sehr wichtig; Landesregierung - gewählt; Restaurantbesuch - Lebensqualität; Ruhestand - noch lange nicht in Sicht. (vh) |
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Nachricht vom 28.12.2021 |
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