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Nachricht vom 09.02.2022
Region
Leserbrief: Busfahrer sind enttäuscht von Entwicklungen im ÖPNV des Kreises
Fast zehn Millionen Euro Defizit im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) des Kreises: Kürzlich hatte der AK-Kurier über die enorme Deckungslücke berichtet. Per Leserbrief hat sich eine Gruppe von Busfahrern an die Redaktion gewandt, die ihrer Enttäuschung über die Entwicklung Ausdruck verleihen wollen. Im Folgenden lesen Sie den Offenen Brief im Wortlaut.
(Symbolfoto)"Wir, eine kleine Gruppe altgedienter Busfahrer, möchten gerne Bezug auf Ihren Artikel vom Dienstag, 1. Februar, zum ÖPNV im Kreis Altenkirchen nehmen. Es liegt uns fern, uns mit dem Kreis Altenkirchen, den Verkehrsverbünden und unserem Arbeitgeber anzulegen, aber eine über dreißigjährige Betriebszugehörigkeit bei einem Altenkirchener Verkehrsbetrieb gibt uns, denken wir, das Recht, hier einmal etwas Kritik auszuüben.

Das Linienbündel Altenkirchen/Hamm/Wissen wurde im Dezember vergangenen Jahres von einem kommunalen Verkehrsbetrieb nach unseren Informationen per Direktvergabe und nicht über eine Ausschreibung übernommen. Wenn man sich jetzt die Zahlen (zehn Millionen Euro) Ihres Artikels anschaut, dann ist wohl für jedermann verständlich, warum der Altbetreiber, ein privater Verkehrsbetrieb, welcher dieses Gebiet 55 Jahre lang eigenwirtschaftlich bedient hat, gezwungen war, Entbindungsanträge zu stellen. Seit der Umstellung auf Linienbündel vor sechs Jahren werden die Pläne von Kreisverwaltung und LBM erstellt und nicht wie vorher vom Anbieter. Somit wurde das Linienangebot stark erweitert und auch neue Linien gebildet.

"Kaum Fahrgastaufkommen"
Aber der erwünschte Effekt hat sich nicht eingestellt. Auch damals wurden vom Altbetreiber neue Busse angeschafft, weil es ja so vorgeschrieben wird. Es hat sich aber ergeben, dass insbesondere auf den Linien 285 (Altenkirchen – Au/Sieg/ Hamm) kaum Fahrgastaufkommen ist und auf der Linie 284 (Au/Sieg – Hamm – Breitscheid) extrem wenig (um nicht zu sagen: gleich null).

Hinzu kommt noch, dass die Schulfahrten auf der Linie 284 in einem anderen Linienbündel untergebracht sind. Bei einer Bedienung dieser Linien im Zweistundentakt kann man da keine schwarzen Zahlen schreiben, wenn man nur die Einnahmen aus dem Ticketverkauf hat. Ein privater Betrieb muss wirtschaften und bekommt die Defizite nicht wie ein kommunaler Betrieb vom Steuerzahler ersetzt. Auch wenn die Defizite beim Altbetreiber bei weitem nicht so hoch waren, wie sie jetzt anfallen (der Fahrbetrieb hätte dann nicht aufrechterhalten werden können), hätte dann doch irgendwann die Insolvenz gedroht.

Wenn man bedenkt, dass der Kreis Altenkirchen nun für dieses Jahr einen Zuschuss von fast 10 Millionen Euro errechnet hat, dann fragt man sich allen Ernstes: Muss dies so sein? Es ist so, dass der neue Betreiber seinen Sitz in Bindweide hat und sämtliche Dienste mit Leerfahrten von dort nach Altenkirchen, Hamm und Wissen verbunden sind. Hinzu kommt, dass nach unsern Informationen 11 Solobusse und 4 Gelenkbusse neu angeschafft wurden. Musste es denn wirklich sein, dass auch 4 neue Gelenkbusse für circa 70 Kilometer an Schultagen (zuzüglich der Leerkilometer) angeschafft werden? Hätten das nicht auch gute Gebrauchte sein können?


"Größte Enttäuschung"
Oder noch besser: In Altenkirchen stehen diese Busse jetzt beim Altbetreiber. Warum ist man nicht hergegangen und hat den Altbetreiber kommunalwirtschaftlich oder als Subunternehmer auf Kilometerbasis weiterfahren lassen. In dem Fall wäre lediglich eine angemessene Kilometerpauschale für den Steuerzahler fällig geworden, ein Personalübergang wäre nicht nötig gewesen und alles wäre geblieben wie es ist. Infolge eines plötzlichen Ausfalles wäre sofort ein Ersatzbus zur Stelle gewesen, dieser muss aber jetzt erst von der Bindweide leer zum Einsatzort fahren. Aber nein, zu unserer größten Enttäuschung wurde ein anderes Unternehmen ins Boot geholt, welches vorgibt, Tariflohn zu zahlen, für den geregelte Arbeitszeiten Fremdwörter sind und jedem, der das Wort Betriebsrat oder Gewerkschaft in den Mund nimmt, mit fristloser Kündigung gedroht wird. (Aussagen der Fahrer, die dort fahren)

Sind die Fahrpreise zu teuer?
Es bedarf jedoch keiner Rede: Der ÖPNV ist in ländlichen Gebieten ohne staatliche Förderung nicht durchführbar. Deshalb gilt es zu überlegen, wie man wieder mehr Fahrgäste in die Busse bekommt. Es entspricht unserer Meinung nach nicht der Tatsache, dass die Fahrgastzahlen nur durch Corona zurückgegangen sind. Die Fahrgastzahlen sind bereits unmittelbar nach Einführung des VRM Tarifes drastisch zurückgegangen. Niemand ist bereit, diese Fahrpreise zu bezahlen. Hier ein paar Beispiele: Eine einfache Fahrt von Altenkirchen nach Wissen oder Puderbach kostet mittlerweile 6,40 Euro, und zurück nochmal das gleiche. Der Auszubildende, der zweimal in der Woche nach Wissen zur Berufsschule muss und keinen Anspruch auf eine Schülerkarte hat, muss diese Preise von seiner Ausbildungsvergütung zahlen. Sobald der Führerschein vorhanden ist, fahren diese mit dem eigenen PKW billiger und nehmen noch drei Personen mit. Da bringt auch das Angebot der Mobilkarte nicht viel.

Anderes Beispiel: Man kann von Altenkirchen bis nach Hennef (30 Kilometer) für 5,30 Euro fahren. (VRS Tarif). Dies macht aber keiner, da man mit Umsteigen in Uckerath circa 90 Minuten unterwegs ist. Die Rentnerin aber, die mal eben gerade von Kircheib nach Uckerath (5 Kilometer) zum einkaufen möchte, muss ebenfalls 5,30 Euro bezahlen. Die Fahrer sind durch ihren Arbeitsvertrag verpflichtet, die Tickets korrekt zu verkaufen, und müssen sich den Unmut anhören. So kann das unserer Meinung nach nicht weitergehen. Was bringt denn mehr Geld ein: Wenn ein Fahrgast einen überteuerten Preis für ein Ticket zahlt und der Bus leer ist, oder 20 Fahrgäste einen angemessenen Fahrpreis zahlen. Hier sehen wir dringenden Handlungsbedarf insbesondere darin, dass sich die Verkehrsverbünde hier oben im Grenzgebiet endlich mal auf einen vernünftigen Übergangstarif einigen können. So müssen die Schüler, die das Gymnasium in Herchen besuchen, ein VRM Ticket kaufen und zusätzlich noch ein VRS Ticket um in Au/Bahnhof weiterzukommen. Früher wurden diese direkt nach Herchen gefahren.

Aber egal ob jetzt Neubetreiber oder Altbetreiber, in jedem ÖPNV Unternehmen kommt es zwangsläufig schonmal zu Ausfällen oder anderen Reibereien. Viele werden jetzt sagen: Ja, der alte Betrieb, der 55 Jahre gute Arbeit geleistet hat und dies immer noch tut, gehört ja zu diesem „bösen“ Konzern. Es ist richtig: Was jetzt im Moment im Kreis Mayen-Koblenz und Umgebung abgeht ist ein absolutes Armutszeugnis für diesen Konzern. Aber dies ist dort ein eigenständiger Betrieb welcher genauso dazugehört wie der Betrieb in Altenkirchen. Zum Vergleich: Wenn ein großer Lebensmittelkonzern in X—Dorf schimmelige Äpfel verkauft, dann muss das in einem Geschäft des gleichen Konzerns in Y-Stadt nicht zwangsläufig ebenso sein. Es kommt immer auf die örtliche Organisation an.

Zum Schluss möchten wir noch festhalten: Wenn im ÖPNV-Bereich Änderungen anstehen, egal welche, und wir sprechen hier ausdrücklich die Kreisverwaltungen, Verkehrsverbünde aber auch unseren Arbeitgeber an: Sprechen Sie die Basis an, diejenigen, die am Lenkrad sitzen, insbesondere die Altgedienten mit jahrzehntelanger Erfahrung. Und dies rechtzeitig und nicht, wenn es schon zu spät ist."

Jakob Tjart und Jürgen Busch,
Betriebsrat der Martin Becker GmbH & Co. KG, im Namen der Belegschaft.
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