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Nachricht vom 05.03.2022
Region
Kurzkrimi: Überbein geht nach Hollywood von Oliver Buslau
Kurzkrimis erfreuen sich wachsender Beliebtheit, bieten sie doch die perfekte Möglichkeit für einen kleinen Abstecher aus dem Alltag. Alle 14 Tage dürfen wir einen der Kurzkrimis der Krimiautorenband "STRENG GEHEIM" veröffentlichen. Den Beginn macht der Kurzkrimi "Überbein geht nach Hollywood" von Oliver Buslau.
Foto der Krimiautorenband STRENG GEHEIM mit Sandra Lüpkes, Volker Bleeck, Oliver Buslau, Kirsten Püttjer, Arnold Küsters (Ian Brien), Stefan Noelcke und Jörg Schmitt-Kilian. (Foto: Jörg Schmitt-Kilian)Region. An den nächsten Wochenenden werden wir – im Wechsel mit der Kolumne “Alles klar, Herr Kommissar?“ – spannende Kurzkrimis veröffentlichen, die speziell für das Programm der Krimi-Autoren-Band “STRENG GEHEIM“ (vermutlich die weltweit einzige Rockband, in der nur Krimiautoren musizieren) des Syndikats geschrieben wurden. Das Syndikat ist keine kriminelle Organisation, sondern die Vereinigung deutschsprachiger Kriminalschriftsteller (unter anderem Nina George, Nele Neuhaus, Ingrid Noll, Jacques Berndorf, Andreas Gruber, Sebastian Fitzek, Arno Strobel und weitere bekannte Autoren). Alle Storys haben einen Bezug zu einem bekannten Rock-Song und die Kurzkrimis werden immer im Kontext mit dem jeweiligen Song auf der Bühne präsentiert.

Heute nun der erste Krimi “Überbein geht nach Hollywood“, den der Bratschist, Pianist und “Harmoniebeauftragte“ der Band, Oliver Buslau, zum Song “Relax" von “Frankie goes to Hollywood" geschrieben hat.

Der Bratschist Engelhard Überbein hatte keine Karriere gemacht. Dafür spielte er das falsche Instrument. Keiner der großen klassischen Komponisten hatte ein Bratschenkonzert geschrieben, mit dem man glänzen konnte. Die Bratsche war nur im Orchester zu gebrauchen. Und auch dort waren Bratschisten Außenseiter. Man riss sogar Witze über sie.
Frage: Warum hat ein Bratscher immer durchsichtige Frühstücksdosen dabei?
Antwort: Damit er erkennen kann, ob er zur Probe geht oder auf dem Heimweg ist.
Frage: Was ist der Unterschied zwischen einer Bratsche und Knäckebrot?
Antwort: Das Knäckebrot hört man.
Frage: Wo klingen Bratschen am besten?
Antwort: Leise knisternd im Kamin.
Das tat Überbein weh. Und Überbein wollte das ändern. Er wollte die Bratsche bekannt machen. Er wollte, dass sie nicht nur in der Klassik, sondern auch in der Popmusik eine Rolle spielte. Und zwar eine bedeutende Rolle. Wie das Saxofon, das Schlagzeug oder – Überbein traute sich kaum, es sich wirklich auszumalen – die E-Gitarre.

Überbein hatte geübt. Er hatte alte Rocknummern auf der Bratsche gespielt, so gut das eben ging. Beispielsweise hatte er eine Fantasie über das Lied “House oft the Rising Sun“ improvisiert. Diese Geschichte jedoch war schiefgegangen. Aber Überbein ließ sich nicht entmutigen. Er machte weiter. Und als eines Tages im Radio das Lied “Relax“ von “Franky goes to Hollywood“ lief, da kam er auf eine Idee ...
Eine Idee? Eine aberwitzige Idee.
Franky goes to Hollywood.
Hollywood!
Der Plan, alte Rocknummern auf der Bratsche zu spielen, er zerstob in tausend Teile.
Hollywood!
Hollywood bedeutete: Filmmusik!

Eine Bratsche besitzt so viele Register – von traurig bis gesanglich, von aggressiv auftrumpfend bis hin zu den stechenden Tönen in der höchsten Lage ... So was musste doch die Filmmusikkomponisten begeistern.
Quatsch, nicht die Filmkomponisten.
Den Filmkomponisten schlechthin.
Mit so einem Plan, dachte Überbein, muss man gleich ganz oben anfangen.

Er setzte sich an seinen Computer. Er war nicht gerade versiert in diesen sozialen Medien. Vor einiger Zeit hatte er versucht, über Facebook bekannt zu werden. Vergeblich. Er hatte sechs Freunde und das waren andere Bratschisten, die ansonsten kaum etwas posteten. Er schrieb, was er vorhatte – und so ganz nebenbei war er sicher, dass ihm diese geniale Idee weitere Freunde einbringen würde. “Wie erreiche ich – Hans Zimmer?“, fragte er die Schwarmintelligenz. Hans Zimmer – Schöpfer unzähliger Mega-Soundtracks. Da Vinci Code, Gladiator, The Dark Night Rises und viele andere. An die 20 Millionen verkaufte Alben. Ein Stern auf dem Walk of Fame, oscarprämiert …

Anderthalb Tage musste Überbein warten, bis eine Antwort kam. Und sie kam – von einem “HZimmer“ direkt. Wow, der Meister persönlich! Aufgeregt las Überbein die Nachricht. “Sie sind Bratschist? Wie interessant. Was für eine Bratsche spielen Sie denn? Schicken Sie doch mal eine Audiodatei. Und Ihre Adresse.“ Überbein konnte es nicht fassen: Hans Zimmer war ein Kenner. Mit zitternden Fingern antwortete er. Erklärte, dass sein Instrument eine Stradivari-Kopie war, ein zweihundert Jahre altes Instrument aus dem Jahre 1820. Wahrscheinlich war seine Bratsche bei der Uraufführung von Beethovens Neunter zum Einsatz gekommen … Dann aktivierte er die Aufnahmefunktion und improvisierte ein bisschen über “Relax“ – obwohl er natürlich gar nicht entspannt war. Aber mit diesem Lied konnte er sich so richtig nach Hollywood träumen … Und er sah sich Filme an, spielte die Filmmelodien mit – von Liebesfilmen bis zu Gruselklassikern, von Steven Spielberg bis Alfred Hitchcock. Oft spielten dies Melodien ja Geigen. Aber wer brauchte schon Geigen, wenn er eine Bratsche hatte? Hans Zimmer würde hören, was in ihm steckte.

Drei Tage später kam Post. Ein Flugticket nach Los Angeles. Für Überbein und seine Bratsche. Und eine Adresse. Der Treffpunkt mit dem Beethoven der Filmmusik. Überbein war so aufgeregt, dass er die Details der Reise gar nicht mitbekam. In Gedanken sah er sich während des Fluges in Hans Zimmers Studio. Er sah sich, wie er die Musik zu einem der nächsten Blockbuster spielte, er sah den Abspann des Filmes vor sich. Darin sein Name. Genauso groß wie der des Regisseurs. Genauso groß wie der des Komponisten.

Als Überbein in Los Angeles ankam, war es später Abend. Um ins Hotel zu fahren, blieb keine Zeit. Er orderte ein Taxi, gab die Adresse an. Irrte er sich, oder machte der Fahrer ein komisches Gesicht? Als sie ankamen, stand Überbein mutterseelenallein im Licht einer schmutzig gelben Straßenlaterne auf einer menschenleeren Straße neben heruntergekommenen Fabrikgebäuden, die in den nächtlichen Himmel ragten. Noch nicht mal Autos fuhren hier. Das Motorengeräusch des Taxis war längst in der Ferne verschwunden. Zimmer hatte einen komischen Geschmack, was seine Arbeitsumgebung betraf. In der einen Hand den Bratschenkoffer, in der anderen seine Reisetasche, betrat Überbein eine der Fabrikhallen. Kaputtes Glas knirschte unter seinen Schuhsohlen. Nun wurde er doch unsicher. Und da hörte er, wie draußen ein Wagen hielt. Die riesigen Scheiben zu Straße hin waren schmutzig, aber Überbein konnte sehen, wie drei Männer ausstiegen. Und jeder von ihnen hatte etwas Dunkles in der Hand. Das waren Pistolen!

Was bin ich doch für ein Idiot, dachte Überbein, als die Typen das Gebäude betraten. Er zog sich ängstlich weiter in die Tiefe des Raumes zurück und erschrak, als er gegen einen Betonpfeiler rempelte. Mit rasendem Herzklopfen verschanzte er sich dahinter. Sein Handy war in seiner Tasche. Es würde ewig dauern, bis es hochgefahren war. Und welche Nummer hatte in Amerika eigentlich die Polizei? Die Schritte der Männer kamen näher. Ihm wurde klar, dass sie es auf die Bratsche abgesehen hatten. Seine Stradivari-Kopie von 1820. Er öffnete den Koffer und presste sein Instrument an sich. Niemals, niemals würde ein Vollblutmusiker und schon gar kein Bratschist sein Instrument ausliefern. So eine Bratsche war ... ein lebendes Wesen. Ein Wesen mit einer Persönlichkeit. Mit einer Stimme. ...

Er drängte sich an die Wand, hob die Bratsche an, nahm den Bogen ...

Und wie von selbst begann die Bratsche Töne anzustimmen, grelle, spitze Töne. Klänge, schlimmer als Fingernägel auf der Schultafel, schlimmer als Kratzen auf Glas, als ohrenbetäubendes Türenquietschen. Es war ein grauenhaftes, grässliches Schreien wie von einem außerirdischen Wesen, das durch die Halle drang, verstärkt und in tausendfachem Echo durch den weiten Raum zurückgeworfen. Schweiß bedeckte Überbeins Stirn, als er sein Instrument die berühmten Klänge herausschreien ließ. Immer und immer wieder. Die akustischen Stiche aus der berühmten Duschszene des Hitchcock-Klassikers “Psycho“.

Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie die Schatten flüchteten. Hinter den schmutzigen Fenstern gingen die Lichter des Wagens an, das Auto setzte sich in Bewegung und verschwand.
Überbein stoppte sein Spiel, die letzten Klänge verebbten. Schwer atmend packte er die Bratsche ein. Benommen ging er nach draußen. Und kurz darauf näherte sich schon wieder ein Auto. Ein breiter, kantiger Wagen mit blinkenden blauen und roten Lichtern auf dem Dach. Die Metropolitan-Police. Der Taxifahrer hatte die Polizei alarmiert.

Überbein erklärte, was geschehen war. Man mahnte ihn, dass man sich hier in South Central nicht alleine herumtrieb. Schon gar nicht nachts. Am nächsten Tag flog Überbein nach Hause. Eine Woche später erreichte ihn ein Brief aus Amerika. Er traute seinen Augen nicht, aber da stand Adresse: Cahuenga Boulevard, Los Angeles. Hausnummer 2242. Das durfte nicht wahr sein! Hektisch riss er den Brief auf. Er stammte nicht von einem Filmkomponisten, sondern von einem Händler für teure Streichinstrumente. Er hatte sich sogar die Mühe gemacht, auf Deutsch zu schreiben.

Die Geschichte von dem Bratschisten, der mit einer eigenen Version der berühmten Passage aus Hitchcocks “Psycho“ Verbrecher in die Flucht geschlagen hatte, war in die Presse gelangt. Der Instrumentenhändler machte ein Angebot – nicht für das Instrument, sondern für genau diese eine Audioaufnahme. Die “Psycho“-Stiche. Für 100.000 Dollar. Als Signal für seine neue Alarmanlage.

Überbein ließ das Blatt sinken und betrachtete seine Bratsche, die unschuldig und stumm vor ihm in ihrem Kasten lag ...

Von Hans Zimmer hat er nie etwas gehört.


Zum Autor:
Oliver Buslau, Jahrgang 1962, wuchs in Koblenz auf, wohnt seit 30 Jahren in Bergisch Gladbach und erkundete das Bergische Land unter anderem im Rahmen seiner (bis heute) elf Bände umfassenden Krimireihe um den Wuppertaler Privatdetektiv Remigius Rott. Daneben schrieb er auch eine Fülle von Kurzkrimis und überregionale Kriminalromane wie zum Beispiel “Feuer im Elysium“ – ein historischer Krimi über die Uraufführung von Beethovens “Neunter“, der für den renommierten Friedrich-Glauser-Preis nominiert wurde. Bekannt wurde auch sein Koblenz-Krimi “Schängels Schatten". Mehr Infos unter www.oliverbuslau.de.

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