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Nachricht vom 19.09.2022
Region
Altenkirchener Menschenrechtstage: Auftakt überzeugte gleich zweifach
Die Zahl der Verstöße gegen die Menschenrechte nimmt von Tag zu Tag zu. Selbst Demokratien sind nicht vor Zuwiderhandlungen gefeit. Die ersten „Altenkirchener Menschenrechtstage“ wollen auf das oberste Gut, auf das sich jedes einzelne Individuum rund um den Globus verlassen können muss, stärker herausarbeiten.
Die Verlegung weiterer Stolpersteine in der Bahnhofstraße bildete den Abschluss der Auftaktveranstaltung der ersten „Altenkirchener Menschenrechtstage“. (Foto: vh)Altenkirchen. Es gibt nirgends auf der Welt, so die Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung, die Gewähr, dass Menschenrechte nicht verletzt werden; selbst demokratische Rechtsstaaten bieten keinen absoluten Schutz vor Übergriffen. Verschiedene nichtstaatliche Organisationen wie Amnesty International oder die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, die sich für den Schutz des Menschen vor Unterdrückung und willkürlicher Gewalt engagieren, bringen in ihren jährlichen Berichten umfangreiche Auflistungen von Menschenrechtsverletzungen in allen Erdteilen. Vor diesem Hintergrund wollen die ersten „Altenkirchener Menschenrechtstage“ die von den Vereinten Nationen verabschiedeten 29 Artikel (der 30. ist die Auslegungsregel) stärker ins Bewusstsein rücken. In Kooperation mit dem Stolperstein-Projekt der Kreisstadt sollen noch bis Freitag, 23. September, in diversen Veranstaltungen unterschiedliche Aspekte der weltweit gültigen Grundsätze beleuchtet werden.

„In die nächste Generation weitergetragen“
„Die Schule hat eine besondere Rolle, die Menschenrechte bewusst und erlebbar zu machen. Nur wer sie kennt, kann sie verteidigen“, führte Gerhard Hein, der Schulleiter der August-Sander-Realschule plus mit Fachoberschule Altenkirchen, am Montagmorgen (19. September) in der schuleigenen Aula zur Eröffnung des Veranstaltungsreigens in das Thema ein, zumal die Beachtung der Menschenrechte keine Selbstverständlichkeit sei. Anstelle des erkrankten Jürgen Binder, dem Kopf der aus der Ehrenamtsinitiative „Ich bin dabei!“ der Mainzer Staatskanzlei auf lokaler Ebene entstandenen Gruppe „w40.global“, die bereits für die Ausstattung der Stadt mit den Wortlauten der verschiedenen Artikel der Menschenrechte gesorgt hatte, brachte dessen Ehefrau Cornelia die Menschenrechte und die Menschenpflichten in Zusammenhang, die untrennbar miteinander verbunden seien. „Antisemitismus und Ausgrenzung nehmen trotz aller Aufklärungsversuche zu“, fügte sie an und machte deutlich: „Ohne inneren Wandel gibt es keinen äußeren Wandel.“ Rainer, Düngen, (zweiter) Beigeordneter der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld, war froh, „dass die Schule in die Menschenrechtstage eingebunden wurde. So wird das Thema in die nächste Generation weitergetragen“. Als Polizeibeamter habe er in seinem beruflichen Leben täglich in irgendeiner Weise mit den Menschenrechten zu tun gehabt – besonders in den Social-media-Kanälen, weil „Schüler nicht überblicken, was sie einstellen“.

Impulsvortag von Guttenhöfer
Anhand des Zitats von Janusz Korczak „Das Kind wird nicht erst ein Mensch, es ist ein Mensch“ ging Dr. Peter Guttenhöfer aus Kassel in seinem Impulsvortrag auch auf die Fragen „Was ist ein Kind?“ und „Was ist ein Mensch?“ ein. Darüber könne man sich nicht so leicht verständigen, lautete seine Antwort. Es falle Erwachsenen sehr schwer, das Kind ganz ernst zu nehmen. Guttenhöfer knüpfte zudem die Verbindung zur Kinderkonvention aus dem Jahr 1989 und speziell zu Artikel 28, in dem das Recht auf Bildung verbrieft sei. Beinahe in einem Atemzug merkte er an, dass Kinder ein Schulrecht, aber keine Schulpflicht hätten, und empfahl den Schülern im Auditorium: „Schaut liebevoll und kritisch auf das, was mit euch geschieht.“ Korczak, eigentlich Henryk Goldszmit (geboren 1878 oder 1879 in Warschau; amtliches Todesdatum 7. August 1942), war ein polnischer Militär- und Kinderarzt sowie Kinderbuchautor und bedeutender Pädagoge. Bekannt wurde er vor allem durch seinen Einsatz für Kinder, insbesondere in einem Waisenhaus im Ghetto der polnischen Hauptstadt. So begleitete er die rund 200 Jungen und Mädchen bei der Deportation durch die deutschen Besatzer in ein Vernichtungslager, obwohl das auch für ihn selbst den Tod bedeutete. Vor der Verschleppung hatte er versucht, eine Kinderrepublik zu schaffen, an der jedes Kind beteiligt sein sollte.

Weit angereiste Gäste
Moderator Martin Autschbach, Schulreferent der evangelischen Kirchenkreise Altenkirchen und Wied, erläuterte die Hintergründe für die vierte Etappe der Verlegung weiterer 19 Stolpersteine in der Bahnhof- und in der Kölner Straße, so dass nunmehr knapp 60 dieser Erinnerungstafeln jeweils in Oberflächen diverser Fußgängerbereiche in der Innenstadt eingelassen sind. Im finalen Stadium sollen es 80 werden. Die neuen Gedenkplatten bringen die Familie Fultheim mit ihren sechs Kindern (drei Söhne/drei Töchter) ins Bewusstsein zurück, die eine Metzgerei betrieb. Bis zum Kriegsende im Jahr 1945 konnten einige Angehörige in die USA und nach Palästina fliehen. Wie stark die Nachfahren der Fultheims an einer Aufarbeitung der Geschichte interessiert sind, machte diese Zahl deutlich: 12 Nachkommen, aus aller Welt angereist, zählten zu den Gästen sowohl in der Aula als auch in der Bahnhofstraße. „Es ist eine Möglichkeit der Erinnerung an Familienmitglieder, die wir nicht kannten“, nannte Dr. Ilan Crohn den Hauptgrund für die Präsenz. Schon die Verlegung weiterer Stolpersteine in Magdeburg vor drei Wochen sei bewegend und aufregend gewesen. „Der Bruch mit den Menschenrechten unter dem Nazi-Regime war mit nichts zu vergleichen“, fuhr Crohn als Sprecher der Gruppe fort, „wir sind alle Menschen, das darf man nicht vergessen. Wenn alle so denken, wird womöglich kein Krieg mehr auf der Welt sein“, schloss er unter großen Beifall.

Jüdisches Leben in Altenkirchen
Das jüdische Leben in Altenkirchen zwischen 1930 und 1933 war eher überschaubar. Von den 3424 Einwohnern waren 118 jüdischen Glaubens vor 1933 (3,4 Prozent) und schon unter drei Prozent (1933). Es gab außerdem aus Sicht der NS-Ideologie zehn „Mischlinge ersten und zweiten Grades“. Relativ hoch war der Anteil jüdischer Betriebe mit sieben Prozent bis zum Jahr 1930: 12 Viehhandlungen, 7 Textil- und Schuhhändler, 4 Metzgereien, je einmal Textilhandwerk, Lebensmittelhandel und Kaufhaus sowie 2 sonstige Dienste (fotografisches Studio und Vertretertätigkeit). Insgesamt waren 27 Arbeitsstätten bei jüdischen Unternehmen registriert.

Lehrerband, Performance, Übersetzung
Für die musikalische Untermalung sorgte mit vier Stücken die „Kleine Lehrerband“ mit Patrick Ochmann (Klavier), Tobias Brückner (Percussion) und Christian Wagner (Geige). Mit einer Tanzperformance zum Thema „Erinnerung“ überzeugte eine Gruppe der Klasse 12 der Fachoberschule unter Leitung von Eva Maria Kagermann und Katharina Otte-Varolgil. Teile des gesprochenen Worts übersetzte die Lehrerin der August-Sander-Realschule plus, Wendy Sippel, ins Englische. (vh)
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