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Nachricht vom 28.06.2011 |
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Region |
Die letzten Zivis verschwinden: Eine Ära geht zu Ende |
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Eine Ära geht zu Ende: Marc Brandenburger ist der letzte Zivi, der im evangelischen Jugendzentrum in Altenkirchen seinen Dienst ableistet. Am 30. Juni ist auch für ihn der letzte Arbeitstag. |
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Von Petra Stroh
Kreis Altenkirchen. Marc Brandenburger aus Busenhausen gehört einer "aussterbenden Art" an: Der 21-Jährige ist einer der letzten "Zivis" der Region. Ab 1. Juli 2011 wird es keine neuen Zivildienstleistenden mehr geben. Entsprechende Gesetzesänderungen rund um Wehrpflicht und Zivildienst sorgen für das Ende einer Ära. Auch für Horst Pitsch, zuständig für die "Wehrpflichtberatung und Zivildienstseelsorge" beim Evangelischen Kirchenkreis verschieben sich künftig die Arbeitsschwerpunkte. Dass die Betreuung der Zivildienstleistenden weniger Einsatz erfordert, zeichnete sich schon seit längerem ab. Als der Jugendmitarbeiter der evangelischen Kirche vor knapp 20 Jahren das synodale Amt als Betreuer übernahm, gab es noch mehr als 50 "evangelische" Zivildienstplätze im Kirchenkreis Altenkirchen. Zum Ende hin waren es noch fünf.
Marc Brandenburger, der seinen Zivildienst zum 30. Juni im Jugendzentrum der evangelischen Kirchengemeinde Altenkirchen beendet, war schon früh klar, dass er zu einer "aussterbenden Spezies" gehört. Dennoch ärgerte es ihn nie, dass er jahrgangsgemäß noch zu den "Verpflichteten" gehörte. In seine Biographie passte das Zivildienstangebot wunderbar. Er möchte demnächst Sozialpädagogik studieren und da die Gesetzesänderungen auch eine Verlängerung des Zivildienstes erlaubten, die er nutzte, hat er nun nach 15 Monaten Dienst auch gleichzeitig seine Anerkennung als Berufspraktikant in der Tasche. Damit verlor er keine Zeit und gewann zusätzlich viele Erfahrungen, die ihn in seinem künftigen beruflichen Wirken - er möchte gerne als "Streetworker" arbeiten - von Nutzen sein sollen.
Im Zivildienstbereich war vieles genau geregelt - allerdings immer wieder unterschiedlich - wie Wolfgang Leins, Leiter des Altenkirchener Jugendzentrums, über die Jahrzehnte miterlebte. So durften die Jugendzentrums-Zivis nie pädagogische Aufgaben übernehmen. Von Hausmeister-Vertretung über tägliche und wöchentliche "Pflegeaufgaben" reichte die Pflicht-Palette der Zivis. Fegen und Briefkastenleeren standen ebenso auf dem Plan wie Thekendienst und das Vorbereiten der zahlreichen Jugendzentrums-Angebote.
Als Leins 1977 seinen Dienst im Jugendzentrum antrat (das JZ war damals zwei Jahre alt), begann auch der erste von 29 Zivis mit seiner Arbeit. Jürgen Briesemeier war am 1.November 1977 der erste Zivi der Einrichtung und hatte damals 18 Monate Dienst vor sich. Kurz zuvor hatte die Zivildienstdauer noch ganze 24 Monate betragen.
Fast nahtlos, manchmal sogar mit kurzfristigen Überschneidungen, gaben sich die jungen Männer den "Zivi-Staffel-Stab" im JZ weiter. Zu vielen der Ehemaligen haben Wolfgang Leins und andere im JZ-Team noch immer Verbindung oder gute Erinnerungen. So haben künstlerisch-begabte Zivis ihre Spuren hinterlassen, von denen etwa ein kunstvoll bemalter Schrank im Büro noch heute zeugt. Ein eher technisch begabter Zivi installierte 1994 eine Alarmanlage, die bis heute einwandfrei funktioniert und den "Erschaffer" in steter guter Erinnerung hält.
Viele ehemalige Zivis - anfangs kaum Abiturienten, sondern bereits ausgebildete Handwerker oder Kaufleute - brachten ihre Talente zugunsten des Jugendzentrums ein. Manche wurden später auch Mitarbeiter im Team; einige blieben in der Region, andere zogen in die Welt hinaus und machten Karriere, etwa beim Fernsehen oder in der Wirtschaft.
Mehreren "pflanzte" das JZ-Team ein "Lauf-Virus" ein. So auch dem letzten Zivi Marc Brandenburger. Er startete mit den JZ-Läufern unter anderem beim Kröver Mitternachtslauf und entdeckte seine Freude an dem Ausdauertraining, das sich gut mit seinem eigentlichen Sport, dem Kick-Boxen, verbinden lässt.
Viele Individualisten waren unter seinen 28 Vorgängern im Zivildienst des JZ. Unterschiedlich lange mussten sie die "Besen schwingen". Von den anfänglichen 18 Monaten in 1977 bis zum Ende hin mit lediglich sechsmonatigem Dienst gab es zahlreiche Varianten.
Dass die über Jahrzehnte eingeübte Formulierung "Das kann der Zivi machen" plötzlich aus dem Sprachgebrauch verschwindet, empfindet Wolfgang Leins als sehr ungewohnt. "Unsere Zivis waren oft Retter in Notlagen" erinnert er sich. Ab 1. August müssen nun die "FSJ-ler" oder "BFD-ler" diese Retterrolle im Jugendzentrum übernehmen. Allerdings geht die Buchstaben-Reihung sicher nicht so schnell über die Lippen wie das gewohnte "Zivi". Und so manches Mal werden die Freiwilligendienstler sicher noch den alten Ruf nach dem Zivi hören. Allerdings könnte dann nach fast 30 Jahren eine Mädchen- oder Frauenstimme reagieren, denn die neuen Dienste stehen beiden Geschlechtern offen.
Doch das liegt noch in der Ferne: Der erste FSJ-ler in der Nach-Zivi-Ära wird männlich sein und passt damit gut ins Team mit Frauenüberschuss. Wer aber künftig den Besen schwingen wird, muss dann ausdiskutiert werden: Die neuen Freiwilligendienste beschränken sich keinesfalls auf solche Tätigkeiten. Endlich dürfen die jungen oder sogar älteren Menschen (im Bundesfreiwilligendienst) auch pädagogisch mitwirken.
Hintergrund
Fast 20 Jahre lang betreute Horst Pitsch als Synodalbeauftragter die Zivildienstleistenden in evangelischen Einrichtungen im Kirchenkreis Altenkirchen. Seine Hauptaufgaben waren neben der seelsorgerlichen Begleitung der Zivis, auch die Kontakte zu ihnen und den Dienststellen, darüber hinaus auch zum Regionalbetreuer des Bundesamtes.
Eingeführt hat Pitsch die regelmäßigen "Zivi-Treffen". Rund fünf Mal im Jahr traf man sich, immer in Einrichtungen vor Ort, und alle lernten so die unterschiedlichen Einsatzbereiche kennen. Auch eine jährliche Studienfahrt zur Gedenkstätte in Hadamar gehörte ins Begleitprogramm.
"Bei beiden Beauftragungen "Wehrpflichtigenberatung" und Zivildienstseelsorge stehe ich nun wohl auf "standby"", vermutet Pitsch. Seit einigen Jahren gab es an ihn schon keine Anfragen mehr zur Kriegsdienstverweigerung (KDV). "Die Fahrten mit den jungen Männern zu KDV-Auschuss oder KDV- Kammer nach Koblenz vermisse ich allerdings überhaupt nicht", hat der Berater aus dem Kirchenkreis Altenkirchen dieses Procedere in unguter Erinnerung.
Sollten in der derzeitigen Lage noch ganz vereinzelt Anfragen zur KDV- Beratung für aktive Soldaten oder Reservisten kommen, bleibt Altenkirchen die erste Anlaufstelle, die Landeskirche übernimmt die Fachberatung.
Sein Engagement für die Freiwilligendienste wird Horst Pitsch hingegen verstärkt fortsetzen. "Immer noch wissen viel zu wenig Jugendliche von diesen Möglichkeiten, da in den wenigsten Schulen darüber informiert wird", beklagt er. "Dabei sind Freiwilligendienste ein unverzichtbarer Lernort für die zukünftige Bürgergesellschaft".
Der neue Bundesfreiwilligendienst hat nach Ansicht Pitschs noch zu viele "Webfehler", etwa die mangelnde Anerkennung als Wartezeit für das Studium, und verliert so an Attraktivität. "Deshalb bleiben die meisten Jugendlichen bei Bewährtem und wollen lieber ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) antreten", hat er festgestellt. Hier sieht der Betreuer die Verantwortlichen gefordert, dass der neue Dienst auch entsprechend beworben und bekannt gemacht wird. (pes). |
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Nachricht vom 28.06.2011 |
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