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Nachricht vom 04.10.2022
Region
Almersbach: Wo aus Resten von Jeansbekleidung Papiertaschen entstehen
Nachhaltigkeit ist eines der Schlagworte in dieser Zeit, denn es gilt, Ressourcen zu schonen. Eng mit dem Begriff ist das Recycling verbunden. Ein heimisches Unternehmen produziert aus nicht mehr verwertbaren Produktionsresten von Jeansbekleidung wiederverwertbares Papier für Einkaufstaschen.
Aus dem geschredderten Jeansstoff (in Plastiktüten) wird in Almersbach Papier (Blatt in der Mitte) gemacht, das wiederum zu Einkaufstaschen verarbeitet werden kann (links). (Foto: vh)Almersbach. Es fühlt sich an wie Papier, ja, es ist auch Papier, das aber ein wenig dicker daherkommt als das „normale“ Blatt, das jedermann seinem Drucker übereignet. Die blaue Farbe lässt jedoch schon vermuten, dass das Anschauungsstück nicht unbedingt geeignet ist, durch den Hardware-Nachbarn eines Computers „gejagt“ zu werden. Parallel präsentiert Michael Schneider das, was aus dem Material entsteht: eine wiederverwertbare Einkaufstasche, die die Produktionslinie der Firma Jagotech Paper verlassen hat. „Das ist Nachhaltigkeit im Ursprung“, sagt der Geschäftsführer des Almersbacher Unternehmens, das einst als Papierfabrik Jagenberg bekannt war und vor den Toren der kleinen Gemeinde - nur wenige Hundert Meter von Altenkirchen entfernt - im Tal der Wied residiert. Derzeit verlassen noch nicht allzu viele dieser Beutel die Werkshallen. Rund 3000 sind es im Jahr, die Herstellungskosten seien gegenüber den „normalen und braunen“ Varianten noch zu hoch, ergänzt Schneider, „die einen kosten rund 15 Cent, unsere hingegen 50 bis 60 Cent pro Stück“, zieht er den Vergleich, „auch sind unsere Energiekosten hoch.“ Beinahe die Hälfte der Fertigungsausgaben gingen zu Lasten von Gas & Co., das mache das Ganze doch teuer. Das Ausgangsmaterial mit rund 95 Prozent Baumwollanteil sind Jeans- und Trikotstoffe sowie Garne, die als gepresste Ballen aus vielen Ländern, in denen Jeansbekleidung das Licht der Welt erblickt (Türkei, Bangladesch, Indonesien etc.), angeliefert werden. Fein geschreddert, werden sie mit den Papiermaschinen am Standort im Hoffnungsthal auf ihr neues Leben getrimmt und können im Anschluss noch nach Maßgabe eines Kunden individuell bedruckt werden.

Spezialpapiere als Leidenschaft
Wie es der Firmenname schon ausdrückt, hat sich Jagotech auf die Fabrikation vieler Sorten von Spezialpapieren auf zwei Maschinen „eingeschossen“. Eine dritte kleine dient zu Versuchszwecken und für Neuentwicklungen. So habe er sich schon an welchen aus Gras, Kaffeesatz oder Treber (Rückstände beim Bierbrauen) versucht, berichtet Schneider, der seit 1987 im Unternehmen tätig ist und seine Karriere als Papiermacher startete und die ihn zunächst bis zum Meistertitel führte. Noch gut erinnert er sich an die Drogeriemarktkette dm, die ausgediente Berufskleidung ihrer Angestellten, nachdem sie von Knöpfen und sonstigen „Störenfrieden“ befreit worden war, nach dem Zerkleinern via Jagotech recyclen ließ, so dass am Ende des Prozesses Notizblöcke entstanden. Derzeit stehen unter anderem Papiere, die beim Verpressen in der Möbelindustrie benötigt werden, hoch im Verkaufskurs. „Sie sorgen für den Druck- und Temperaturausgleich“, erklärt Schneider, „sie können bis zu 15-mal verwendet werden.“ In Sachen Walzenbezüge aus Papier sei Jagotech Weltmarktführer, ergänzt er und beziffert den globalen Anteil in diesem Segment mit 80 Prozent. Zudem verbaut die Autoindustrie gerne aus Papier gefertigte Abschirmteile made in Almersbach, die unter anderem für eine Geräuschreduzierung sorgen und Temperaturen von bis zu 1000 Grad Celsius aushalten können. Kunden sind über den gesamten Erdball verstreut, so wundert es nicht, dass Schneider den Exportanteil mit 75 Prozent angibt. Für den Wiedereinstieg ins „automotive“ Geschäft erteilte der Vorbesitzer Lydall inzwischen die Freigabe, nachdem er es sich mit dem Verkauf zunächst fürs eigene Portfolio gesichert hatte. So ist es nur logisch, dass Jagotech bereits vorausschauend Absatzmärkte in Sachen E-Mobilität und Brennstofftechnik auslotet.

Nachhaltigkeit wird großgeschrieben
„Viele haben viele Ideen, wir müssen unsere Projekte noch stärker promoten“, fährt Schneider fort, aber derzeit leide auch Jagotech unter den nach wie vor steigenden Energiepreisen. „Das Vier- bis Fünffache. Das ist ein Handicap, das tut uns auch weh. Damit haben auch wir sehr zu kämpfen“, meint er, aber nicht nur deswegen sind die Blicke auf den Einsatz von „Erneuerbaren“ gerichtet, denn die Nachhaltigkeit ist eines von Schneiders ganz, ganz oben angesiedelten Handlungsfeldern. Unter diesem Aspekt soll eine Fotovoltaik-Freiflächenanlage auf einem Areal mit Blickrichtung Leuzbach entstehen, machen sich die führenden Köpfe im Unternehmen Gedanken unter anderem über den Einsatz von Wasserstoff, der parallel mit Erdgas aus einer Leitung mit der Trennung vor Ort angeliefert werden könnte. Das alles sei „essentiell für den Standort“ als auch unter dem Blickwinkel derjenigen zu sehen, „die ich in Lohn und Brot habe“. Derzeit ist Erdgas eine Hauptkomponente für die Produktion, um den erforderlichen Dampf, den die Papiermaschinen für den Betrieb benötigen, zu generieren. Neben der Wasserstoffüberlegung wurden zudem weitere Alternativen rund ums Erdöl als auch ums LNG-Gas geprüft, ohne dass Konkreteres in die Wege geleitet wurde.

Seit 1838 mit Papier zu tun
Das Unternehmen blickt inzwischen auf ein 184-jähriges Bestehen zurück. Im Jahr 1838 aus einem Hammerbetrieb (deswegen auch der immer noch geläufige Spitzname „Jagenbergs Hammer“) von Johann Ferdinand Jagenberg gekauft und in eine Papier produzierende Fabrik umgewandelt, ist seit 2021 Hidden Peak Capital aus Frankfurt (Main), eine unabhängige, inhabergeführte Investment-Gesellschaft, der Inhaber, nachdem Vorbesitzer Lydall Performance Materials (Stammsitz Manchester/US-Bundesstaat Connecticut) die Almersbacher Zweigstelle nicht mehr behalten wollte. Zuvor hatte sie seit Oktober 1997 unter dem Dach des finnischen Ahlstrom-Konzerns (bis 31. Dezember 2010) und im Anschluss unter dem US-amerikanischen von Interface Solutions (von Lydall geschluckt) gestanden. Schneider ist froh, dass diese Zeit der Vergangenheit angehört. „Unser Schiff hier ist auf Kurs“, beschreibt er, „der familiäre Gedanke ist wieder eingezogen, und wir sind weg vom Konzerndenken, haben weniger Meetings.“ Es mache sehr viel Spaß, fügt Schneider an. Wurde das vergangene Jahr in weiten Teilen der Umstrukturierung geopfert, mussten neue IT-Systeme angeschafft und installiert werden, hat Schneider, der seit 2010 Werkleiter war und seit dem Re-Start unter dem neuen Hausherrn aus Hessen Geschäftsführer ist, die Zukunft im Blick. Im kommenden Jahr sollen wieder Auszubildende (Papiertechnologe, Schlosser, Elektriker, Mechatroniker) eingestellt werden, soll die Zahl der Mitarbeiter von derzeit 55 auf „70 bis 80 Köpfe“ wachsen, nachdem sie beim Übergang auf den neuen Besitzer um die Hälfte reduziert worden war. Er stuft die aktuelle Situation rund um das Unternehmen als „herausfordernd“ ein, macht sich für die Zukunft aber „keine Sorgen. Denn die Nachhaltigkeit, auch von den Kunden gefordert, wird zurückkehren“, so dass er sein großes Ziel durchaus verwirklichen kann. Der in Oberwambach geborene 52-Jährige möchte, wenn er in Rente geht, „ein gesundes Unternehmen“ an den Nachfolger übergeben. (vh)
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