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Nachricht vom 27.12.2022 |
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Region |
AK-Landrat Enders im Jahresrückblick: Großer Respekt für Dittmanns Amtsverzicht |
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Wechsel auf dem Posten des dritten Kreisbeigeordneten, Verkauf eines Teils der Weba-Stammstrecke oder eine deutlich bessere Finanzausstattung: Für den Altenkirchener Landrat Dr. Peter Enders war das zu Ende gehende Jahr 2022 eines mit durchaus interessanten Entwicklungen und Ereignissen sowie zudem gefühlt ein „extrem schnelles“. |
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Altenkirchen. Wer hätte das gedacht: Das in den letzten Zügen liegende Jahr 2022 hat die Corona-Pandemie angesichts des Kriegs in der Ukraine fast vergessen lassen. Landrat Dr. Peter Enders glaubt, dass die Auswirkungen des Waffengangs noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen sind und sieht die Auswirkungen für die Menschen auch im AK-Land noch längst nicht absehbar, wie er im Jahresabschlussinterview mit dem AK-Kurier betonte. Im Land an Sieg und Wied gingen doch einige interessante Entwicklungen und Ereignisse in die regionale Historie ein. Das Gespräch im Wortlaut:
Ein gefühlt fast normales Jahr neigt sich dem Ende entgegen: Wie fällt ihr Fazit mit Blick auf den Kreis aus? War es ein gutes Jahr? Tat und tut es gut, nicht wöchentlich neue Corona-Verordnungen umsetzen zu müssen?
Das tut gut. 2022 war ja gefühlt ein extrem schnelles Jahr. Ich habe es auch von anderen gehört, dass das Jahr 2022 unheimlich schnell vorbei gegangen ist, warum auch immer?! Bei Corona sind wir in eine Situation gekommen, an die wir vor einem Jahr nicht zu hoffen gewagt hätten: Es ist ein Zustand von Normalität eingetreten, wenn man von medizinischen Einrichtungen absieht, in denen richtigerweise nach wie vor besondere Vorsichtsmaßnahmen greifen müssen. Wenn man sich in der Öffentlichkeit bewegt, sieht man immer weniger Menschen mit einer Maske. Ich habe immer Masken bei mir, denn es gibt Situationen, in denen ich Masken anziehe. Interessant ist, dass die vermutete Herbst-/Winterwelle nicht aufgetreten ist. Dafür haben wir die normalen Erkältungskrankheiten, die wir in den zurückliegenden beiden Jahren nicht hatten, weil wir Masken getragen haben. Unter dem Strich sehen wir den Erfolg der Impfkampagne. Ich gehe von einer weitgehenden Herdenimmunität aus. Anders kann man das nicht erklären. Das war ein weiter Weg. Das Impfgeschehen haben die Hausärzte jetzt offensichtlich im Griff, die Impfzentren, auch die Impfstelle in Hachenburg, stellten den Betrieb ein. Womit wir nicht gerechnet haben: Die weltpolitische Lage hat sich seit Februar deutlich geändert mit Auswirkungen, die man sich in den kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Da sind wir noch nicht am Ende der Fahnenstange, sondern eher am Anfang.
Kommen wir zu einigen Ereignissen und Entwicklungen in den zurückliegenden beinahe 12 Monaten mit der Bitte um jeweils eine kurze Stellungnahme - Der Rücktritt von Gerd Dittmann als Kreisbeigeordneter ...
Ich habe ihm vor wenigen Tagen die höchste Auszeichnung des Kreises, die Ehrenmedaille in Gold, verliehen, die ihm zusteht. Fast 40 Jahre lang hat er in allen Gremien des Kreises sehr engagiert mitgearbeitet. Gerd Dittmann hat mit seiner seriösen Art, ökologische Politik zu vertreten, wesentlich dazu beigetragen, dass die Grünen im Kreis Altenkirchen zu einer nennenswerten politischen Größe geworden sind. Trotz manchmal unterschiedlicher Ansichten habe ich sehr gerne mit ihm zusammengearbeitet. Dass er zurückgetreten ist, ist eine Form von Konsequenz, die auch zu ihm passt: dass er nämlich Verantwortung übernommen hat in seinem Bereich für Dinge, die er nicht direkt verschuldet hat, und persönliche Interessen hinten anstellt, um eine gewisse Unversöhnlichkeit, die bei der Diskussion in den politischen Gremien eingetreten war, wieder zu begradigen. Dafür verdient er großen Respekt.
Die Nachfolge Dittmanns in Person von Fred Jüngerich ...
Ich war sehr erstaunt, dass die Grünen Fred Jüngerich auserkoren haben, finde die Personalie aber nach wie vor gelungen. Wir arbeiten beide hervorragend zusammen, und das nicht nur aufgrund der räumlichen Nähe.
Die deutlich steigenden Müllgebühren ...
Diese sind aufgrund der Gemengelage leider unvermeidbar und sind für sich genommen auch moderat, treffen aber leider auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit, in der die Menschen den Gürtel insgesamt enger schnallen müssen. Mir machen insgesamt die Energiekosten in Deutschland viel größere Sorgen.
Die deutlich besseren Kreisfinanzen ...
Der neue Landesfinanzausgleich zeigt letztendlich, dass wir in den zurückliegenden Jahren nicht die Ausstattung bekommen haben, die uns eigentlich zugestanden hätte aufgrund des Aufgabenspektrums. Es ist der kommunalen Familie zu verdanken, dass sie per Gerichtsentscheidung die Landesregierung gezwungen hat, den Finanzausgleich neu zu regeln, der sich ganz klar am Bedarf orientiert und nicht nur an der Einwohnerzahl und sonstigen Parametern. Da gibt es in den Landkreisen ganz unterschiedliche Rahmenbedingungen. Wir sind einer der größten Profiteure. Ich bin froh, dass wir nun die Umlage um 4,5 Prozentpunkte senken. Das hätte ich vor zwei Monaten noch nicht geglaubt. Entsprechend entspannt waren auch die Diskussionen in den Gremien. Da erkenne ich einen großen Konsens. Aber: Viele Ortsgemeinden sehen sich jetzt gezwungenermaßen der Problematik der Neuregelung der Nivellierungssätze bei den Grundsteuern gegenüber. Damit wirbt man nicht gerade um neue Ehrenamtler in der Kommunalpolitik. Ich hoffe, dass wir für die nächste Kommunalwahl überhaupt genug Leute finden, die bereit sind, beispielsweise Ortsbürgermeister zu werden.
Die nach wie vor ungewisse Zukunft der weiteren Nutzung des Stegskopf-Geländes ...
Das ist ein extrem dickes Brett. Durch den Klimawandel und die spezielle Sicherheitslage in Europa und in Deutschland ist die Energiefrage noch wichtiger geworden. Deswegen müssen wir eigentlich jede Gelegenheit nutzen, erneuerbare Energien auszubauen und eine Güterabwägung machen. Für mich sind erneuerbare Energien auch eine Form von Umweltschutz. Bei den Kernkraftwerken hat man eine halbherzige Verlängerung beschlossen. Ich kann das nicht nachvollziehen. Alle Länder um uns herum sind etwas großzügiger. Warum man das auf wenige Monate limitiert, ist für mich reine Ideologie, und ich habe kein Verständnis dafür. Umgekehrt habe ich auch kein Verständnis dafür, dass bestimmte Lobbyisten abwägen und sagen, der Naturschutz steht über der Installation von erneuerbaren Energien. Das Klagerecht der Verbände ist in meinen Augen überzogen. Dennoch halte ich mich daran. Der Stegskopf wäre eine ideale Gelegenheit, da etwas zu machen für die gesamte kommunale Familie. Die Gemengelage in der Bundesregierung lässt allerdings von hier aus keinen Fortschritt erkennen. Mein Appell geht an die Abgeordneten der regierungstragenden Fraktionen, aktiv zu werden. Ich sehe sie ganz klar in der Verantwortung. Es geht nicht darum, den Stegskopf zuzuspargeln. Es geht um eine bestimmte Fläche. Die Dinge werden von den Verbänden zum Teil zu sehr instrumentalisiert. Ich fordere den geordneten Ausbau von Windenergie, was für einen CDU-Landrat vor 30 Jahren unvorstellbar gewesen wäre. Deswegen ist es gut, dass die Genehmigungskompetenz an die SGD Nord übergeht. Da sehe ich einen potentiellen Hoffnungsschimmer. Ein zweiter Punkt ist für mich die nicht vorhandene Privilegierung von Photovoltaikanlagen. Darin liegt ein noch größeres Potential. Da muss der Bundesgesetzgeber dringend Abhilfe schaffen.
Der Verkauf eines Teils der Stammstrecke der Weba ...
Der Kreistag hat sich einstimmig für ein Verkaufsverfahren entschlossen. Eine Strecke, die man nicht mehr braucht, kann man verkaufen. Das ist betriebswirtschaftlich sinnvoll. Die Nachnutzung ist natürlich Sache des neuen Eigentümers. Die Hindernisse, die ihm im Wege stehen, muss er ausräumen und nicht der Verkäufer.
Die zahlreichen, nicht den Vorgaben entsprochenen Montagsspaziergänge ...
Die Situation hat sich beruhigt. Zuletzt gab es sie angemeldet nur in Altenkirchen mit einer Teilnehmerzahl im unteren einstelligen Bereich. In der Hochphase vor einem Jahr mit unangemeldeten Veranstaltungen waren da viele beteiligt, die nicht verstanden oder verstehen wollten, dass das Demonstrationsrecht Regeln kennt. Ich erwarte von einem Bürger der Demokratie, dass er keine Einbahnstraße befährt, sondern Rechte und Pflichten gleichermaßen kennt.
Die offenbar im Sand verlaufenden Ermittlungen nach den Tätern des Brandanschlages auf das Gesundheitsamt und auch den möglichen wenige Wochen später auf das Rathaus in Altenkirchen ...
Ob da ein Zusammenhang besteht, kann ich nicht sagen. Da kann man nur spekulieren. Leider haben die Ermittlungen keine Täter zutage gefördert. Ich habe diese Taten damals verurteilt und tue es heute, denn sie richteten sich gegen unsere Demokratie.
Die Notwendigkeit, den Katastrophenschutz nach der Ahrtal-Katastrophe auf Vordermann zu bringen ...
Wir sind dabei, den Katastrophenschutz im Kreis Altenkirchen, auch unabhängig vom Unglück an der Ahr, modern aufzustellen. Die Ahr hat da sicher das Bewusstsein noch einmal geschärft. Ich war selbst im Sommer zwei Tage an der Katastrophenschutzschule in Bad Neuenahr-Ahrweiler bei einem Oberbürgermeister- und Landräteseminar. Von meinem beruflichen Werdegang her ist das ein Thema, das für mich immer eine besondere Rolle gespielt hat. Ich lege großen Wert darauf, in engem Kontakt mit dem Brand- und Katastrophenschutzinspekteur hier in der Verwaltung auch weiterzukommen. Und das interne Vorgehen ist, unabhängig davon, dass jetzt Sirenenprogramme laufen, dass wir unsere Stabsordnung neu schreiben und den Verwaltungsstab schulen. Wir haben innerhalb eines Jahres zwei dreitägige Schulungen gemacht, an denen ich auch weitgehend beteiligt war. Mir ist das Thema sehr wichtig, und ich würde genau diesen Bereich nie delegieren. Deshalb will ich wissen, wie meine Mitarbeiter, die mich im Katastrophenfall beraten, dazu stehen, wie sie ausgebildet sind. Es war ein tolles Erlebnis zu sehen, dass die Leute, die die zweite Schulung absolviert haben, hoch motiviert sind. Für jede Stelle wurden zwei bis drei Mitarbeiter benannt, denn jeder kann einmal krank oder im Urlaub sein. Insgesamt sind das um die 60 freiwillige Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen der Kreisverwaltung. Wir können also zu jeder Zeit diesen Krisenstab einberufen. Für uns steht, das haben wir schon mehrfach in diesem Jahr betont, auch die Sensibilisierung der Bevölkerung an erster Stelle. Die Bürger müssen sich Gedanken machen, was zuhause vorrätig sein sollte: Kerzen, Feuerzeug, Trinkvorräte, haltbare Lebensmittel. Der Bevölkerung muss klar werden: Zum Katastrophenschutz gehören alle.
Der Ukraine-Krieg und seine Folgen schlagen auch auf den Kreis durch wie beispielsweise bei der Flüchtlingsaufnahme. Stichwort Stegskopf: Inwieweit kann der Kreis noch helfen, sollten noch viel mehr Flüchtlinge in den Wintermonaten in Deutschland um Asyl bitten?
Der Stegskopf war eine Aufnahmeeinrichtung. Bei den Menschen, die zu uns kommen, geht es nicht um Erstaufnahme, sondern darum, ihnen Wohnraum für einen bestimmten Zeitraum zu geben. Dafür ist der Stegskopf nicht geeignet. Wir müssten vor Ort wieder eine Infrastruktur aufbauen, die nicht von uns abgebaut wurde. Wir müssten auch Personal haben, um eine Einrichtung zu betreiben. Es geht darum, dass die Erstaufnahmestellen des Landes, deren Zahl aufgestockt wird, die Menschen in die Kommunen verteilen, nicht umschichten, sondern in konkreten Wohnraum verteilen. Das ist unser Problem und auch das anderer Gebietskörperschaften, denn der Wohnungsmarkt ist leergefegt. Da fühlen wir uns als kommunale Familie ein bisschen im Stich gelassen. Da muss der Staat mehr bringen. Wir versuchen aber, uns zu helfen. Es gibt Zwischenlösungen, in dem wir Hotels oder Pensionen anbieten. Im „worst case“ kann eine Sporthalle genutzt werden oder ein Bürgerhaus, aber das bleibt die ultima ratio. Was ist die Alternative? Wir arbeiten in Kooperation mit den Akteuren vor Ort, denen ein großes Lob gebührt, an der Umsetzung einer größeren, zentralen Einrichtung, die wir über einen längeren Zeitraum betreiben können, was uns etwas mehr Planungssicherheit verschafft. Das halte ich für einen sehr vernünftigen Weg. Die Größenordnung ist noch in der Abstimmung. Ich kann mir vorstellen, dass es eine Einrichtung für rund 100 Menschen werden kann. Wir sehen hier das Dilemma, dass die Europäische Union versagt, dass Deutschland die Hauptlast in den vergangenen Jahren getragen hat und noch immer trägt. Irgendwann stößt man an eine Grenze. Wir brauchen meines Erachtens eine völlige Neuausrichtung der europäischen Zuwanderungs- und Asylpolitik.
Der Ukraine-Krieg hat die Corona-Pandemie in den Schlagzeilen abgelöst. Wie sehen Sie die Corona-Entwicklung in den kommenden Wochen und Monaten?
Die Winterwelle wäre längst da, wenn sie denn käme. Ich weiß nicht, wie es in der Karnevalszeit sein wird. Wir haben trotz weniger Masken, trotz Zunahme der sonstigen altbekannten Erkältungskrankheiten stagnierende Infektionszahlen. Corona ist für viele Menschen Geschichte. Ich gehe sehr zuversichtlich in die nächste Zeit.
Sie sprachen von einem normalen Jahr: Beinhaltet dieses auch wieder den Besuch zahlreicher Veranstaltungen wie auf auf Vor-Corona-Niveau?
Ich bin gerne unterwegs. Die Weihnachtsmärkte verzeichnen einen Riesenzulauf. Ich habe in der zurückliegenden Zeit sehr viele Einladungen erhalten, die ich gerne angenommen habe. Es war ein Nachholbedarf da. Und ich glaube, dass den Leuten das auch gutgetan hat. Bei mir haben sich die Besuche bei Veranstaltungen auf dem Vor-Corona-Niveau eingependelt, wobei ich das Vor-Corona-Niveau gar nicht so lange gekannt habe. Meine Amtszeit begann im September 2019, im Februar 2020 war Corona. Die Vergleichsmöglichkeiten sind schwierig.
Zum Abschluss: Ende August erreichen Sie die Halbzeit Ihrer Amtszeit. Was sind Ihre Wünsche für 2023 und auch für die folgenden „zweiten 45 Minuten“?
Ich habe mir dieser Tage einmal Gedanken gemacht, dass ich nächstes Jahr die Hälfte der Amtszeit schon hinter mir haben werde. Das ist wie im Fluge vergangen. Und wenn etwas wie im Fluge vergeht, war es in der Regel eine arbeitsreiche Zeit. Es war eine schwierige Zeit. Ich bin froh, dass ich das alles nicht gewusst habe. Ich hatte ja ganz andere Pläne. Im Nachhinein muss ich sagen: Die Landratskandidatur war die beste Entscheidung meines Lebens. Ich genieße es, selbst gestalten zu können in einem überschaubaren Rahmen. Für 2023 wünsche ich mir Frieden für die Ukraine und ein Ende des Putin-Systems. Dann wird sich vieles andere lösen. Ich kann die Menschen nur bitten, im nächsten Jahr Geduld zu haben. Die Energieherausforderungen bleiben bestehen, denn viele Menschen werden erst noch merken, was die Mehrpreise bedeuten. Der vermeintliche Wohlstand wird sich für viele Leute reduzieren. Das sollte man nicht verschweigen und auch davor Respekt haben und darum bitten, gemeinsam diese Zeit zu durchleben. Für den Kreis wünsche ich mir, dass wir die Umlage dauerhaft senken und attraktiv sind für Menschen, die hierher kommen und hier leben wollen. Wir sind eine Region, in der man noch günstig wohnen kann, anders als in den Städten. Von daher ist der Kreis Altenkirchen gut aufgestellt. Natürlich gibt es immer mehr etwas zu verbessern, aber auf einmal ist das leider nicht zu haben. Ich muss auch Verständnis haben, wenn Menschen etwas anders sehen. Das ist ein Spannungsfeld, das man als Verwaltungschef aushalten muss. Ich darf umgekehrt aber auch erwarten, dass man einem abnimmt, im Rahmen dessen, was man gestalten kann, das Bestmögliche rausholen zu wollen.
Das Gespräch führte Volker Held |
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Nachricht vom 27.12.2022 |
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