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Pressemitteilung vom 13.06.2023
Region
Ortsumgehung Kircheib ist für NI eines der "unnötigsten Straßenbauprojekte"
Anfang Juni folgten 25 Interessierte einer Einladung der Naturschutzinitiative (NI) zu einer Exkursion, die sich mit der Natur, der Landschaft und der Geschichte rund um Kircheib auseinandersetzte. Grund für die Wahl der Wanderstrecke war auch die Planung einer Ortsumgehung, die unter anderem von der NI als "unverhältnismäßig" abgelehnt wird.
Exkursionsgruppe vor der Wiesenlandschaft südlich von Kircheib. (Foto: Claudia Luber/NI)Kircheib. Claudia Luber, Geschäftsstellenleiterin der NI begrüßte die Teilnehmer und den Exkursionsleiter, den Diplom-Biologen Immo Vollmer, der als Naturschutzreferent für den Umweltverband Naturschutzinitiative (NI) tätig ist. Unter den Teilnehmern waren auch Vertreter der Bürgerinitiative gegen Ortsumgehungen der B8 in Rheinland-Pfalz und der Initiative gegen den Ausbau der B414 sowie der Vorsitzende der Bund-Kreisgruppe, Jürgen Lichte.

Dipl.-Biologe Immo Vollmer gab zu Anfang einen Überblick über die Geschichte, woraus ersichtlich wurde, dass Kircheib auf eine schon sehr alte Grenzlage zurückblicken kann, wo die Herrschaftsgebiete des Kurfürstentums Köln, der Grafschaft Berg (später Herzogtum) und der Grafschaft Sayn-Altenkirchen zusammenstoßen. Nicht nur die im 12. Jahrhundert erbaute romanische Wehrkirche Kircheibs zeuge davon. Auch diverse Relikte von Grenzbefestigungen seien vorhanden, die an dieser Stelle auch den Übergang der alten Handelsstraße Köln-Frankfurt-Leipzig schützten (heutige B8).

Eine andere markante Geschichtszäsur ist die Schlacht bei Kircheib von 1796 zwischen den kaiserlichen-(österreichischen) und den französischen Revolutionstruppen. Die Geschichtsschreibung berichtet, dass in dieser Schlacht über 2000 Soldaten starben, die in Massengräbern beerdigt wurden. Gemäß einer zeitgenössischen Lagezeichnung konnte der größte Grabhügel am Rande der Ortslage und am Rande einer möglichen Planungsvariante der Straße von den Exkursionsteilnehmern nachvollzogen werden. Vollmer berichtete darüber, dass die NI bei der zuständigen Generaldirektion Kulturelles Erbe (Koblenz) sowie bei der zuständigen Stelle der Kreisverwaltung im letzten Jahr eine Anfrage dazu gestellt hatte. Man habe mitgeteilt, dass diese Geschichtszeugnisse völlig unbekannt seien.

Auch für weitere besondere Geländemarken im Ostteil des Naturschutzgebietes, die ziemlich sicher mit dieser Grenzlage oder der Schlacht zusammenhängen, hätten die Fachbehörden keine Kenntnisse. Die Teilnehmer der Exkursion gewannen laut NI den Eindruck, dass der Boden um Kircheib noch viele Geheimnisse berge, die bei einem Straßenneubau möglicherweise zerstört würden.

Die Wanderung folgte weiter der möglichen nördlichen B8-Umgehung in Richtung des Höhenzuges der Leuscheid. Die Teilnehmer sahen hier ein reiches Mosaik von Wiesen und Weiden, von blütenreichen Wiesen mit Margeriten bis hin zu Kuhweiden. Eine Grünlandvielfalt, von der auch der Rotmilan abhängig ist. Dass hier mehrere Brutpaare um Kircheib herum brüten, war der Exkursionsgruppe schnell klar, denn der Rotmilan war eigentlich immer am Himmel zu sehen.

"Die beste Wiese fand sich schon weit auf die Leuscheid zu, wo im bunten Pflanzenbestand auch seltene und geschützte Arten wuchsen. Auch hier zeigte der Blick auf die Planungsvariante, dass der mögliche Straßenneubau dieses Kleinod vernichten würde. Von einer möglichen Nordumgehung nahmen die Teilnehmer die Erkenntnis mit, dass hier das Wiesengefüge und der damit verbundene Landschaftseindruck vollkommen vernichtet würden. Die Rückwanderung auf der möglichen Südumgehung zeigte eine sehr weitflächige Wiesenlandschaft mit Blick in den Rhein-Westerwald und das Siebengebirge. Vollmer berichtete darüber, dass hier eine hohe Bedeutung für Wiesen- und Feldvögel gegeben sei und es auch ein wichtiger Vogelrastplatz sei. Zu der spätnachmittäglichen Zeit konnten die Teilnehmer allein vier Feldlerchenreviere auf der angedachten Südumgehung registrieren, von denen zwei sogar auf extensiv bewirtschafteten Weideflächen lagen. Vollmer erläuterte dazu, dass die Nutzung kurzrasiger Weiden, Äcker und deren Randbereiche den Feldlerchen viel bessere Brutbedingungen geben als in der Durchschnittslandschaft, wo große monotone Schläge dominierten.

Am Ende der Exkursion streifte die Gruppe noch das westlich von Kircheib gelegene Naturschutzgebiet. Der Blick in die Vorentwürfe zu möglichen Ortsumgehungen wies aus, dass hier die Straße ein Flachmoor zerstören würde, was eines der wichtigsten Schutzgüter des hier abgegrenzten Naturschutzgebietes ist. Da dieses gleichzeitig ein europäisches Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiet ist (FFH-Gebiet), würde eine Inanspruchnahme für einen Straßenbau nur mit Ausnahmegenehmigung der EU infrage kommen. Vollmer erläuterte hierzu, dass für eine solche Ausnahme aber Bedingungen vorliegen müssten, die hier nicht gegeben seien.

Marein von der Osten-Sacken informierte als Ansprechpartnerin der BI gegen Ortsumgehungen der B8 noch über das Vorhaben im Bundesverkehrswegeplan. Sie verwies nach Angaben der NI auch darauf, wie gravierend in das gewachsene Dorfleben eingegriffen würde: Die stillen Gärten hinter den Häusern wären durch eine Umgehung den Emissionen und dem Lärm der schnellen Trassen ausgesetzt und vom Umland abgeschnitten, das Feriengebiet nördlich von Kircheib würde seine Ruhe und Abgeschiedenheit verlieren, während rund 30 Betriebe, die von der B8 leben, in ihrer Existenz gefährdet wären. Dazu kämen in jeder Variante erhebliche Eingriffe in nach Europarecht gesicherte Schutzgebiete.

Die Vorstellung, dass diese Landschaft ohne jede erkennbare Notwendigkeit zerschnitten und versiegelt werden könnte, habe die Teilnehmer der Exkursion entsetzt, zumal niemand aus der Gruppe in Kircheib jemals einen Stau erlebt habe. Viele Millionen Euro Steuergelder würden hier für nicht mehr als eine Minute Zeitgewinn verschwendet werden. Auch das Bieten von Überholmöglichkeiten wäre hier kein Argument, da diese direkt danach am Anstieg zur Leuscheid vorhanden seien.

Die Vertreter der Naturschutzinitiative Immo Vollmer und Claudia Luber sowie Marein von der Osten-Sacken und die weiteren Mitglieder der Bürgerinitiative waren sich in der Beurteilung einig, dass dieses vielleicht das "unnötigste Straßenbauprojekt in Deutschland ist", für das eigentlich aus keiner Sichtweise heraus eine Begründung bestehe. Diese Planung reihe sich aber ein in eine Kette von verschiedenen Ortsumgehungen entlang der B8 und der B414, wo die Beeinträchtigungen und Kosten den erwarteten Nutzen nicht rechtfertigten. (PM)

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