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Pressemitteilung vom 14.06.2023
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Historisches aus Wissen: Bauernrevolten und "Hatzfeldt-Krieg" im Schatten der Deutschen Revolution
Von Frankreich ausgehend erschütterten 1848 revolutionäre Unruhen weite Teile des europäischen Kontinents, die auch Deutschland erreichten. Dem Heimatforscher Bruno Wagner aus Schönstein war es stets wichtig, die Historie im Kontext zur Heimat einzubeziehen. Anlässlich der Deutschen Revolution vor 175 Jahren beleuchtet er die Umstände im Wisserland.
Bruno Wagner beleuchtet in „Vor 175 Jahren - Revolten der Schönsteiner Bauern und Wissen. Noch bevor das Heimatjahrbuch 2024 Ende des Jahres erscheinen wird, stellt der 77-jährige Bruno Wagner aus Schönstein seine neuesten Aufzeichnungen und Sammlungen zur Deutschen Revolution im Jahr 1848 vor. Dabei beleuchtet er die Geschehnisse im Wisserland und insbesondere in Schönstein rund um das zeitliche Geschehen.

Wagner, der sich schon als junger Mann für Geschichte interessierte, wählte den Beruf des Lehrers und unterrichtete seiner Neigung neben weiteren das Fach „Geschichte“. Wie der Heimatforscher erklärt, sei es ihm immer wichtig gewesen, die Geschehnisse in Bezug zu seiner Heimat, darzustellen, aufzuarbeiten und zu beleuchten. Auch privat investierte er stets viel Zeit für seine Heimatforschungen. Seit mehr als 30 Jahren zeichnet den Schönsteiner dieses Hobby aus. So bringt er den Menschen aus nah und fern etwa bei der Führung des Kapellenweges in Schönstein die Schlossgeschichte näher.

Bei den Aufzeichnungen zum aktuellen Thema „Vor 175 Jahren - Revolten der Schönsteiner Bauern und `Hatzfeldt-Krieg` im Schatten der Deutschen Revolution 1848“ wurde Wagner technisch von Horst Rolland unterstützt. Rolland und Wagner sind zudem im Arbeitskreis Heimatgeschichte in Wissen aktiv.

Im Folgenden wird Wagners Text in Gänze vorgestellt. Wagner bezieht sich auf verschiedene literarische Quellen, die nach Erscheinen im Heimatjahrbuch 2024 eingesehen werden können. (KathaBe)

Vor 175 Jahren - Revolten der Schönsteiner Bauern und „Hatzfeldt-Krieg“ im Schatten der Deutschen Revolution 1848

„Es ist alles so, wie es geworden ist.“
Das Leben ist in seiner ganzen Vielfältigkeit Entwicklung. Ohne Vergangenheit ist Gegenwart nicht denkbar, darauf baut Zukunft auf. In diesem Beziehungsgefüge kann die erste frei gewählte deutsche Volksvertretung am 18. Mai 1848 – vor also 175 Jahren – in der Frankfurter Paulskirche als Weichenstellung für unsere heutige freiheitlich demokratische Grundordnung gesehen werden und bereits vorher für die Weimarer Republik, 1919-1933. Der Revolution vorausgegangen waren in vielen deutschen Landen-Demonstrationen, Aufstände und blutige Unruhen, die auf die wirtschaftliche Notlage und die sozialen Ungerechtigkeiten zurückzuführen waren. „Ehre, Freiheit, Vaterland“ lautete der Wahlspruch 1817 auf dem Wartburgfest der Deutschen Burschenschaft. Bereits 1832 fand eine erste große politische Massendemonstration auf dem Hambacher Schloss statt, wo die liberalen Redner Freiheit und ein einiges Vaterland einforderten, einen deutschen Nationalstaat, der den Deutschen Bund aus 35 Fürstentümern und 4 Stadtstaaten ablösen sollte. Die Menschen schwenkten die schwarzrotgoldenen Fahnen und riefen: „Hoch lebe das Volk, das seine Ketten bricht und mit uns den Bund der Freiheit schwört.“ ¹ Hoffmann von Fallersleben dichtete 1841 „das Lied der Deutschen“ und erinnerte darin an die unerfüllten Wünsche der unterdrückten Bevölkerung. Zu Beginn der 3. Strophe wird dies besonders deutlich: Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland! Danach lasst uns alle streben, brüderlich, mit Herz und Hand! ²

In den Städten forderten die Bürger auf Kundgebungen Freiheit der Presse, Versammlungsfreiheit, Recht auf Arbeit, allgemeines Wahlrecht, Gesetzgebung durch das Volk und die Arbeiter zudem höhere Löhne. Die Bauern wollten von ihren drückenden Abgaben befreit werden.

Der Nährboden für politische, soziale und wirtschaftliche Umwälzungen war bereitet, vor allem im Jahre 1847, da nur wenig Brotgetreide gewachsen und die Kartoffelernte schlecht ausgefallen war. In seinem Elternhaus lauschte der Junge Karl Schmidt, was die Alten an Heim- und Bürgerabenden über das Vorjahr der Revolution 1848 und die Folgezeit zu erzählen wussten, auch, wie sich all diese Geschehnisse in Schönstein und im engeren Heimatbezirk ausgewirkt hatten.

Das wenige und teure eingeführte Brotgetreide wurde mit Eicheln und Wurzeln gestreckt, Kartoffeln gab es nur sonntags. Der 1818 in Hamm/Sieg geborene Friedrich Wilhelm Raiffeisen gründete landwirtschaftliche Genossenschaften, um die Not der Bauern auf diese Weise zu lindern. Das Volk war jedoch reif zur Auflehnung, zumal von der Regierung keinerlei Unterstützung erfolgte. Der Amtmann der Standesherrschaft Schönstein floh über Nacht und der einzige Polizeibeamte vertauschte den Uniformrock mit einem blauen Kittel, um der Landwirtschaft nachzugehen. Auf dem Schulhaus wehte die Freiheitsfahne. Die Bauern vor Ort und im Siegtal waren „auf dem Laufenden“. Der Großvater des kleinen Karl Schmidt, damaliger Lehrer in Schönstein, geistiger Berater und Wortführer der allabendlichen Versammlungen im Schulsaal, bezog eine in Koblenz erscheinende Tageszeitung; somit war bekannt, dass von der notleidenden Bevölkerung in weiten Landstrichen eine Flut von Petitionen an den vereinigten Landtag in Berlin gelangt war; folglich hatten 1847 auch die Bauern der Standesherrschaft Wildenburg – Schönstein eine Abordnung mit einer „Bedrückungsbeschwerde“ ³ nach Berlin entsandt, wo der König die Beschwerdeführer (Bauern, Landarbeiter und Pächter) persönlich empfing. Nun war in den Zeitungen zu lesen, wie der Reichsgraf Edmund von Hatzfeldt mit seinen Untertanen umsprang und alle Gesetze missachtete.

Auch in Schönstein und umliegenden Dörfern dürfte das „Hungerlied“ des demokratisch gesinnten Dichters Georg Weerth bekannt gewesen sein:

Verehrter Herr und König,
Weißt du die schlimme Geschicht`?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.

Und am Mittwoch mussten wir darben,
Und am Donnerstag litten wir Not
Und am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!

Drum lass am Samstag backen
Das Brot fein säuberlich-
Sonst werden wir sonntags packen
Und fressen, o König, dich! ⁴

Graf Edmund von Hatzfeldt hatte in Anbetracht möglicher Unruhen und räuberischer Überfälle auf Schloss Schönstein die Schützenbruderschaft in Bereitschaft gesetzt, deren Protektor er war. Sie bestand aus „einer Kompagnie von 60 Mann“, die mit neuen Gewehren und Lanzen ausgerüstet wurde. „Auf dem Green“, der Sieginsel hinter dem Schloss, wurden täglich Schießübungen durchgeführt, Exerzieren und Wachdienst eingeübt. „Auf dem Stein“, im Bereich des Stock`schen Hauses, wurden 6 Feldschanzen aufgestellt- kleine Kanonen, etwa 1 Meter lang, mit 4-5 cm Rohrdurchmesser. Diese Feuerschlünde sollten „Tod und Verderben speien“, wenn die Ruhe des Ortes gestört oder sich jemand am Eigentum vergreifen sollte. Von diesem Standort aus konnten die Hauptzugangswege, aber auch die Schlosstore gut bestrichen werden. Diese militärischen Vorkehrungen hielten fremde Eindringlinge von Überfällen ab. ⁵

Zur Revolte gegen ihren Standesherren gelangten die Schönsteiner Bauern und Landpächter aus der Umgebung durch Ferdinand Lassalle, der als Generalbevollmächtigter die Gräfin Sophie von Hatzfeldt zukünftig in jahrelangen Scheidungsprozessen gegen ihren brutalen und zügellosen Ehemann Edmund verteidigen sollte. Lassalle hatte die 20 Jahre ältere Sophie 1846 in Berlin kennengelernt, von ihrer zerrütteten Ehe und ihren Scheidungsabsichten erfahren. Er hatte bereits mit jungen Jahren das Studium der Philosophie, Philologie und Geschichte absolviert und war mit scharfem Intellekt und unbändigem Ehrgeiz ausgestattet. „Reichtum und Macht bedeuten mir nichts. Das eine ist errafft und das andere ergaunert“ ⁶, ließ Lassalle gegenüber der Gräfin verlauten – und: „Unrecht vertrage ich nicht. Wo ich darauf stoße, gebe ich nicht eher Ruhe, bis es beseitigt ist.“ ⁷ Diese Grundhaltung war die Triebfeder, sich gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Rechtlosigkeit zur Wehr zu setzen; dies machte ihn auch zum Anwalt der Arbeiter in den Elendsvierteln der Städte und führte später – im Jahre 1863 – zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV). Die Verschwendungssucht des Grafen Edmund von Hatzfeldt, seine Zügellosigkeit, seine Gemeinheiten gegenüber Sophie und ihren Kindern, öffentliche und private Demütigungen, Verweigerung von Unterhaltszahlungen, all das veranlasste Ferdinand Lassalle, gegen den Grafen juristisch zu Felde zu ziehen. An Gräfin Sophie gerichtet sagte er: „Es mag zwar übertrieben klingen, aber es ist die Bestimmung meines Lebens, Ihnen zu Ihrer Freiheit zu verhelfen.“ ⁸ Und: „Meinetwegen kann der Reichsgraf ein ganzes Rudel von Advokaten beschäftigen, aber er unterschätzt mich. Jetzt wird es revoltant.“ ⁹ Lassalle war in seinen Zielsetzungen nicht nur bestrebt, die Gräfin in ihren Scheidungsabsichten zu unterstützen, sondern er inszenierte den Scheidungsprozess gegen ihren Ehemann als öffentliche Anklage der herrschenden Verhältnisse. „Denn wer so geschickt ihr Leid als Leiden aller Unterdrückten zu schildern verstand, der hatte das Zeug, Anwalt aller Bedrängten zu werden… um Wort für Wort, das Private ins Poltische zu drehen und alles in ein feuriges Plädoyer für Gerechtigkeit und gegen Willkür und Gewalt zu verwandeln.“ ¹⁰

Es gehörte auch zu Lassalles Strategie, die Position des Grafen als Standesherr und seine vermeintliche Unangreifbarkeit ins Wanken zu bringen. Dazu breitete er die leidvolle Geschichte der zerrütteten Ehe öffentlich aus, um den schuldigen, despotischen Ehemann moralisch zu vernichten. Sympathisanten suchte und fand er in den unterdrückten und darbenden Bauern, deren Bedrückungsbeschwerde er hieb- und stichfest zu Papier gebracht hatte, als er sich im März dieses Jahres in Wissen aufhielt. Der Graf hatte die Erbpacht der bäuerlichen Anwesen in Zeitpacht umgewandelt. Es war verboten worden, aus den gräflichen Wäldern Brandholz zu holen; Pilze sammeln galt als Waldfrevel und wurde mit Gefängnis bestraft. Fast täglich ließ sich der Graf neue Schikane einfallen.

Lassalle wollte in diese stille Gärung der Bauern Bewegung bringen. Am 24. Juni 1847 machte sich Gräfin Sophie mit Sohn Paul, ihrem Generalbevollmächtigten, dem 22- jährigen Ferdinand Lassalle und ihrem Sekretär Gladbach von Düsseldorf, Schloss Kalkum, auf den Weg zum Schloss Schönstein, um dort ihr Wohnrecht zu erzwingen.

Graf Edmund hatte Jahre zuvor nicht einmal vor dem Versuch zurückgeschreckt, seinen eigenen Sohn Paul aus der Obhut der Mutter nach Schönstein entführen zu lassen. Informanten hatten dem Grafen die bevorstehende Ankunft und das geplante Vorhaben zukommen lassen. Aber auch die Gräfin und Lassalle hatten vorab Verbindung zu den Bauern in den Dörfern und auf den Hatzfeldt`schen Besitzungen aufgenommen – dort wohnten 3400 Menschen- und wollten diese zum Vorgehen gegen ihren unrühmlichen Standesherrn bewegen.

Samstags abends traf Gräfin Sophie mit Sohn, Lassalle und Sekretär in Schönstein ein. Sie bestellte sich zwei Schönsteiner Bauern als Diener ein, da sie die strikte Order ihres Mannes kannte, ihr durch sein Personal keine Dienstleistungen zukommen zu lassen. Für sie und Sohn Paul wurde die Übernachtung im Schloss gebilligt; auf ihr Drängen gewährte der Schlossverwalter Höller gegen strengen Befehl des Grafen, auch für den Sekretär und die beiden Schönsteiner Diener Schlafgelegenheiten herzurichten.

Eine Schar aufgebrachter Bauern hatte sich mit Dreschflegeln, Sensen und Eisenstangen eingefunden, um sich der Gräfin und ihrem Gefolge als Leibwache anzuschließen. Nach ihrer Unterredung mit Lassalle ließen sie ihrer Wut auf ihren Standesherrn freien Lauf. Sie schlugen die Polizisten in die Flucht und wollten das Schloss stürmen. Die mit gezücktem Säbel heranstürzenden Knechte des Grafen versuchten, sie aus dem Schosshof zu jagen. Sophie und der herbeigeeilte Bürgermeister baten, die Waffen niederzulegen und friedlich auseinanderzugehen. Am nächsten Morgen erschien der Wissener Bürgermeister Meyer mit einem Polizeisoldaten, ebenso fuhr F. Lassalle von seinem Quartier in den Wissener Marktstuben in den Schlossbereich ein – in einer schwarz verhangenen Kutsche, um seine Identität zu verbergen. Der Bürgermeister erklärte der Gräfin, ihren Sekretär und die beiden Diener aus dem Schloss zu entfernen. Die Gräfin ignorierte den Befehl von höherer Instanz und führte ihren Sohn und Lassalle die Schlosstreppe hinauf. „Greift sie an und schmeißt sie herunter!“ befahl der Bürgermeister dem Polizeisoldaten und den durch die Schützenbruderschaft verstärkten Schlosswachen. Diese attackierten die Gräfin, ihren Sohn Paul, den Sekretär Gladbach und Lassalle, der von dem hünenhaften Schönsteiner Peter Stricker, wohnhaft „In der Sötte“, so stark an seinem Frackzipfel gezogen wurde, dass dieser abriss und in der Hand des pflichtbewussten Wachmannes zurückblieb. Seit dieser Aktion trug dieser zeitlebens den Beinamen „Packan“. Triumphierend schwang er den Säbel auch über die malträtierte Gräfin. ¹¹

Am Tag darauf fuhren Gräfin Sophie und ihre Begleiter mit ihrer Kutsche zum Wasserschloss Crottorf im Wildenburger Land, um dort Einlass zu erhalten. Von etwa 20 ihr zugetanen Bauern erfuhr sie, dass im Schlossinnern alle Förster mit geladenen Gewehren zusammengezogen waren und Feuer geben würden, wenn sie sich nicht entferne. Gemeindevorsteher Sollbach, der zu den „Schönsteiner Bauern“ zählte und im Hatzfeldt-Prozess einer der Informanten Lassalles gewesen sein soll, forderte vergeblich wie auch der Friesenhagener Bürgermeister Müller, das Schlosstor zu öffnen. Die Gräfin und ihr Anhang wurden vom Schloss aus mit Steinen beworfen. Nach einem Tag Aufenthalt in Schönstein kehrte sie mit dem Wildenburgischen Friedensrichter Schlechter, Gerichtsschreiber Holstein, Sohn Paul, Diener Heinrichs und Ferdinand Lassalle nach Crottorf zurück. Gendarmen gingen gewalttätig gegen die Bauern vor. Es gab ein gewaltiges Hauen und Stechen, wobei die Bauern Peter Weber und Räuber Säbelhiebe erhielten und misshandelt wurden. Nach vergeblichen Bemühungen des Friedensrichters, den Rentmeister Wisselingk zum Öffnen des Tores zu bewegen und obwohl die Gendarmen schließlich gegen ihren Vorgesetzten, den obersten Polizeibeamten der Standesherrschaft revoltierten, musste die Gräfin mit ihrem Tross erfolglos das Feld räumen.

Nach einem 8-tägigen Aufenthalt in Köln wegen Prozessangelegenheiten kehrte die Gräfin am 4. Juli 1847 nach Schönstein zurück, an ihrer Seite auch Landrat von Hilgers, der von der Regierung mit der Polizeigewalt ausgestattet war. Graf Edmund hatte Vorsorge getroffen: Hinter den Schlossmauern lagen alle Wildenburg` - Schönstein`schen Förster mit geladenen Gewehren auf der Lauer; das Schlosstor und das Außentor, das zum Gerichtssaal des oberen Schlosshofs führt, waren verbarrikadiert, zudem standen für Geld gedungene bewaffnete Knechte in Bereitschaft.

Domänendirektor Wachter zeigte dem Landrat und der Gräfin eine vom Grafen Hatzfeldt ausgestellte Generalvollmacht, die ihr den Eintritt gegebenenfalls mit Waffengewalt verwehrte. Auf Ersuchen des Landrats von Hilgers sah Gräfin S„Lieber Stangier! Bald wird das ganze Land unter Waffen stehen. Rüstet Eure Leute, sorgt für Munition. In Düsseldorf geht der Kampf sehr bald los. Ich setze darauf, dass sofort auf die Nachricht Du mit einigen hundert Mann hierher marschierst. Antworte mir darüber. Wir siegen diesmal jedenfalls und dann ist Eure Noth für immer geendet. Hierbei Placate, verteile sie und lass sie abdrucken. Ich erwarte umgehend von Dir Brief darüber, wie es bei Euch aussieht und ob wir uns darauf verlassen können, dass ihr mit einigen hundert Mann nach hier marschiert, wenn wir anfangen- in Eile, Düsseldorf, 21. November (1848), gez. F. Lasselle“. Auf einem beigelegten Zettel stand: „Nachschrift. Lieber Stangier. Das Beste ist, wenn Du augenblicklich zu mir herkommst, wo wir vieles am schnellsten besprechen können. gez. F. Lassalle“.ophie davon ab, mit Gewalt ins Schloss einzudringen und musste somit auf ihr Aufenthaltsrecht verzichten. Wenn auch der Schlossherr in dieser Auseinandersetzung die Oberhand behalten hatte, so war es der Gräfin und ihrem Advokaten Lassalle gelungen, die Autorität Graf Edmunds zu untergraben. Nach all diesen Streitereien standen bald Berichte über die Revolten auf den Hatzfeldt`schen Besitzungen in allen Zeitungen, sorgten für Aufsehen und waren landesweit Tagesgespräch. ¹²

Ferdinand Lassalle, in dem das Aufsässige und Renitente in der Natur lag , brannte vor Ungeduld, dass endlich die Revolution in allen deutschen Bundesländern in Gang kam. Die Zeichen des Umbruchs standen auf Sturm, da die Unzufriedenheit der Bevölkerung täglich stieg. Von Düsseldorf aus versuchte er im Jahre 1848, die Schönsteiner Bauern zu mobilisieren, da er ja wusste, dass sie den Hundegehorsam satt hatten und bereit zur Rebellion waren. Zu ihnen gehörten u.a. der Gemeindevorsteher von Crottorf, Anton Sollbach, Johann Stangier aus Völzen, Bauer Schmidt aus Oberhövels und Bauer Stentenbach. In einem persönlichen Brief an Johann Stangier zu Völzen oberhalb von Elkhausen hieß es:

„Lieber Stangier! Bald wird das ganze Land unter Waffen stehen. Rüstet Eure Leute, sorgt für Munition. In Düsseldorf geht der Kampf sehr bald los. Ich setze darauf, dass sofort auf die Nachricht Du mit einigen hundert Mann hierher marschierst. Antworte mir darüber. Wir siegen diesmal jedenfalls und dann ist Eure Noth für immer geendet. Hierbei Placate, verteile sie und lass sie abdrucken. Ich erwarte umgehend von Dir Brief darüber, wie es bei Euch aussieht und ob wir uns darauf verlassen können, dass ihr mit einigen hundert Mann nach hier marschiert, wenn wir anfangen- in Eile, Düsseldorf, 21. November (1848), gez. F. Lasselle“. Auf einem beigelegten Zettel stand: „Nachschrift. Lieber Stangier. Das Beste ist, wenn Du augenblicklich zu mir herkommst, wo wir vieles am schnellsten besprechen können. gez. F. Lassalle“.

„Wegen Aufwiegelung und Bewaffnung gegen die königliche Gewalt und zum Bürgerkrieg“ wurde Lassalle aufgrund dieses Briefes ins Gefängnis gebracht. Johann Stangier sagte im Prozess gegen Lassalle, dass er diesem Aufruf an ihn nicht gefolgt sei und wegen Grundbesitzproblemen mit Gräfin Sophie in Kontakt gewesen sei. ¹⁴

Das obige Briefdatum zeigt an, dass die Zeit der monarchistischen Gegenrevolution angebrochen war. Noch im März 1848 hatte König Friedrich Wilhelm IV. erklärt, nachdem die Revolutionäre in allen deutschen Ländern gesiegt hatten: „Ich habe heute (21. März) die alten deutschen Farben (schwarz, rot, gold) angenommen und mich und mein Volk unter das ehrwürdige Banner des Deutschen Reiches gestellt. Preußen geht fortan in Deutschland auf.“ ¹⁵ Die Volksvertreter der Frankfurter Nationalversammlung arbeiteten an einer Verfassung mit den Grundrechten, die als Grundlage für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (23. Mai 1949) gelten. Sie hatten sich auf einen Gesamtstaat Deutschland geeinigt.

An die konstituierende Nationalversammlung zu Frankfurt richteten die Bewohner des Standesgebietes Wildenburg – Schönstein in Rheinpreußen ihre Wünsche und Beschwerden in 16 Punkten zur zeitgemäßen Erledigung als „Bauernpetition vom 25. Mai 1848“. Darin heißt es (teilweise sinngemäß verkürzt):

1. Aufhebung der standesherrlichen Regierungsrechte und Patrimonialgerichtsbarkeit und Bereinigung derselben mit landesherrlichen Behörden.

2. Freie Wahl der Gemeindebeamten durch die Gemeinden.

3. Öffentliche Gerichtspflege und Schwurgerichte in Kriminalsachen.

4. Aufhebung des standesherrlichen Patronats über Kirchen, Kapellen, geistliche Stiftungen und Schulen.

5. Herausgabe der Erb- und Zinsgüter resp. der bestehenden Hofgüter mit Wohnhäusern, Scheuern, Ställen und Backhäusern sowie Feldern, Wiesen, Haubergen und Waldungen nebst Hutgerechtsamen von der Standesherrschaft an die alten Besitzer resp. deren Erben gegen Entrichtung der seit altersher darauf ruhenden Abgaben, soweit diese auf unrechtmäßige oder listige Weise in die Hand der Standesherrschaft gekommen sind.

6. Zur Erledigung des Punktes 5.: Offenlegung der in den Händen der Standesherrschaft befindlichen alten Urkunden, Lagerbücher und Renteiregister.

7. Im Falle der Ablehnung des vorgenannten Punktes seitens der Standesherrschaft: Anwendung von Zwangsmitteln durch die Beschwerdeführer gegen die Standesherrschaft, sollte diese durch Vorenthaltung der erwähnten Dokumente das ganze Gebiet im Zustand des Aufruhrs und der Erbitterung belassen und den Bewohnern materiellen Wohlstand vorenthalten sowie diesen nicht die Möglichkeit einräumen, als zukünftige Bürger und selbständige Glieder der freien und einigen deutschen Nation tätig sein zu können.

8. Herausgabe der im Besitz der Standesherrschaft befindlichen Güterstücke der Kirchen und Kapellen.

9. Freie Jagd und Fischerei.

10. Aufhebung aller Feudallasten.

11. a) Freie Wahl der Forst- und Flurschützen.
b) Freie Verwaltung der Gemeindekassen durch die Gemeinde und Steuerabgaben nach
dem Einkommen und Vermögen.
c) Minderung von Beamten und ihrer Gehälter auch von Ärzten pp.
d) Verminderung von Taxen, Gebühren pp.

12. Verminderung der Grundsteuer, Aufhebung der Klassen- und Gewerbesteuer pp.

13. Zur Senkung der Staatsausgaben: Reduzierung des stehendes Heeres in Friedenszeiten,
Einführung einer Bürgerwehr pp.

14. Unbeschränktes Versammlungs- und Assoziationsrecht.

15. Unabhängigkeit der Geistlichen in kirchlichen Angelegenheiten.

16. Aufhebung des durch Richterspruch verhängten Verlustes der Ehren- und Burgerrechte
und Substituierung von Geld- und Arbeitsstrafen für Gefängnis oder Zuchthaus in
Holzdiebstahlsfällen – begründet in Streitigkeiten über Holzgerechtsame.

Die Namen der Beschwerdeführer waren folgende: Arndt, Baldus, Becker H., Becker, Brenner, Brenner, P. Brühl, Lorenz Broel, Burbach, Deutz, Dörner, Joh. Pet. Euteneuer, J. Hahmann, Harter, H. Holschbach, Hombach, Jost Wilhelm Hüsch, Hüsch, Hüsch, Hussing, Klein, Langenbach, Ludwig, Mergelbach, Pfeiffer, Seibert, Simonis, Schmidt, Schneider, Schneider, Schneider, Stangier, Stinner, Weber, Weiß, Weseler, Weller, Weller, Wisser. ¹⁶

Im November des Revolutionsjahres zog der preußische König 40 000 Soldaten in Berlin zusammen, jagte die preußische Nationalversammlung auseinander und festigte seine Stellung als Monarch. Die ihm von den Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone für ein neues Deutsches Reich lehnte er empört mit den Worten ab, ein solcher Reif sei mit dem „Ludergeruch“ der Revolution behaftet. ¹⁷ Damit war die Arbeit der Frankfurter Nationalversammlung für ein geeintes Deutschland gescheitert.

Aufstandsbewegungen im Frühjahr 1849, u.a. in Sachsen, Süddeutschland und im Rheinland, wurden blutig niedergeschlagen. „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“ ¹⁸, erklärte der preußische König. Aber alle deutschen Staaten hatten eine Verfassung mit der Erklärung der Grundrechte- Recht auf Freiheit der Person, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Unverletzlichkeit des Eigentums, Gleichheit vor dem Gesetz…

Während der Deutschen Revolution im März 1848 diente bei der Garde des Königs in Berlin auch ein Schönsteiner; er hieß Wilhelm Sauer. Ihn hörte der kleine Karl Schmidt bei den abendlichen Zusammenkünften der Alten erzählen, wie er seine Reise nach Berlin zu Fuß gemacht und dabei ein Paar nagelneue Schuhe verbraucht hatte. Nach seiner Schilderung war die Revolution in Berlin als Regierungssitz am heftigsten. Das Militär hatte zwar die Weisung, keine Menschenleben zu vernichten; als jedoch die aufgewiegelte Bevölkerung bei den Barrikadenkämpfen die Oberhand behielt, vor allem dank der Frauen, die ganze Ziegeldächer von oben warfen und siedendes Öl und kochendes Wasser auf das Militär schütteten, da wurde den königlichen Soldaten der Schießbefehl erteilt. Die toten Opfer des Aufstandes wurden in den Lustgarten des königlichen Palais gebracht. Beim Anblick dieser Toten habe der König von seinem Balkon in die Volksmenge gerufen: „Mein Volk, was willst du?“ Daraufhin hätten Bevollmächtige der Aufständischen dem König Einigungsverhandlungen vorgeschlagen.

Besagter Wilhelm Sauer aus Schönstein wurde auch noch bei der Niederschlagung der Revolten in Sachsen eingesetzt, danach in Schleswig-Holstein in den Städten Flensburg und Rendsburg. Nach beendigter Dienstzeit in Berlin konnte der Gardist Sauer seine Heimreise antreten- mit der Eisenbahn auf der neu gebauten Strecke von Berlin bis Hamm in Westfalen; von dort war es „nur“ noch ein Fünf-Tages-Marsch bis nach Schönstein. ¹⁹

Auch hier kehrten nach und nach geordnete Verhältnisse ein. Die Geschehnisse dieser „tollen Zeit“, wie Karl Schmidt sie nannte, hatte er alle gut behalten, auch, dass der Amtmann der Standesherrschaft Schönstein aus seinem Asyl zurückkehrte und der Polizeibeamte seinen Säbel wieder umschnallte.

Mit unerschütterlichem Willen führte Ferdinand Lassalle die Prozesse gegen Graf Edmund von Hatzfeldt fort. Dieser hatte Jahre zuvor nicht einmal vor dem Versuch zurückgeschreckt, seinen eigenen Sohn Paul aus der Obhut der Mutter nach Schönstein entführen zu lassen. Selbst während seiner Inhaftierungszeit in Düsseldorf konnte Lassalle die Gräfin Sophie vor den Gerichten verteidigen, da er die gesetzwidrige Erlaubnis erhielt, das Gefängnis zeitlich befristet zu verlassen. In der Folgezeit scheiterte er des Öfteren vor den Tribunalen, da die vormalige Abneigung der Richter gegen den Adelsstand sich in reaktionäre und antirevolutionäre Gesinnung verkehrt hatte.

Lassalle erzielte auf seinem Gerichtsfeldzug, der insgesamt 8 Jahre vor über 30 verschiedenen rheinischen Gerichten dauerte, zunächst 1851 mit der rechtskräftigen Scheidung und der Rückgabe des Erbgutes der Gräfin einen Teilerfolg. Sophie verlor zwar ihre bis dahin zustehende Alimentation von jährlich 8 000 Talern. In einem Vergleichsverfahren wurde ihr aber 1854 eine Abfindung von 300 000 Talern zugesprochen, aus der für Lassalle eine jährliche Rente von 4 000 Talern abfiel; einen Teil übergab sie ihrem Sohn Paul. Ferdinand Lassalles persönlicher Triumph in diesem Prozesskrieg und die Befreiung der Gräfin aus den Fesseln ihres brutalen und unmenschlichen Gatten waren darüber hinaus ein Sieg in einem juristischen Machtstreit, den er als politisches Betätigungsfeld in seinem Kampf gegen soziale Unterdrückung sah. 1864 starb Ferdinand Lassalle an den Folgen eines Eifersuchtsduells in der Schweiz.

Seine geliebte Gräfin Sophie charakterisierte ihn in seinem Streben und Ringen um die Schaffung gerechter Lebensverhältnisse und die Befreiung aus dem Untertanentum so: „Das ganze fossile Regierungspack zum Teufel jagen, die Verhältnisse radikal umstürzen und eine sociale Demokratie schaffen. Dafür brannte er, … dass Demokratie keine Floskel und nicht irgendwas Beliebiges war, nein, Demokratie war der göttliche Arm des menschlichen Fortschritts.“ ²⁰ In ihren begegnungs- und erlebnisreichen Jahren mit F. Lassalle hatte sie seine menschliche Grundhaltung erfahren: „Nicht die Herkunft, sondern der Geist bestimmt den Rang des Menschen, weshalb ein Mann von Geist ein Mann von Rang war.“ ²¹

Es war nicht nur die gemeinsame Seele, die sie verband, sondern auch ihre Geistesverwandtschaft. Das Bild von einer neuen Gesellschaft mit freier Entwicklung für alle und ohne soziale Unterdrückung, das er für Sophies Sohn Paul entworfen hatte, entsprach auch ihrer Geisteshaltung. Lassalle über sie: „… wie ein weiblicher Faust hat die Gräfin die Leiden der Menschheit in sich aufgenommen und den Kampf für ihre Selbstbestimmtheit gewagt, stellvertretend für alle, die sich in ihren Ehen gedemütigt und erniedrigt fühlen.“ ²² „… für ihn inkarnierte sich in der Sache der Gräfin die Sache der Menschheit, die Passionsgeschichte der menschlichen Freiheit.“ ²³

Auch nach Lassalles Tod betrachtete sich Gräfin Sophie als Hüterin seiner politischen Ziele und versuchte, als „Aristokratenproletarierin“ auf das politische Handeln des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Einfluss zu nehmen, jedoch nicht in der Weise, wie ihr politischer Freund und Gesinnungsgenosse Karl Marx forderte: die radikale Umwälzung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Die Gräfin wollte den Arbeitern Selbstbewusstsein geben, für sie Möglichkeiten schaffen, sich zu bilden und zu organisieren, mitzubestimmen nach dem Grundsatz: Männer aus dem Volk, Männer für das Volk. Dem ADAV spendete sie zudem eine beträchtliche Summe ihres Vermögens.

Gräfin Sophie von Hatzfeldt gehört zu den ersten Frauen in Deutschland, die ihr Recht auf Selbstbestimmtheit, Würde und Mitbestimmung im öffentlichen Leben erkämpft haben und erste demokratische Frauenbewegungen und – vereine organisierten und begründeten.

Auflehnung gegen Unterdrückung war auch in unserer Heimat ein zündender Funke für einen gewaltigen politischen Flächenbrand. Heimatgeschichte verwob sich mit deutscher Geschichte - der Deutschen Revolution 1848.

Wenn auch die zarte Pflanze Freiheit in der Folgezeit ausgetrocknet wurde, wieder aufblühte, danach absterben musste, ihr Saatgut fand jedoch neuen fruchtbaren Nährboden, auf dem ein freiheitlich bestimmtes Leben gedeihen konnte; um dessen Erhalt müssen wir uns sorgsam kümmern – gegenwärtig wie auch zukünftig.

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¹ Zu Literaturangabe Nr. 1
² Ebenda, Seite 137
³ Zu Literaturangabe Nr. 3
⁴ Zu Literaturangabe Nr. 1, Seite 141
⁵ Zu Literaturangabe Nr. 2
⁶ Zu Literaturangabe Nr. 4, Seite 23
⁷ Ebenda, Seite 21
⁸ Ebenda, Seite 69
⁹ Ebenda, Seite 68
¹⁰ Ebenda, Seite 156
¹¹ Zu Literaturangabe Nr. 2 u. 3
¹² Zu Literaturangabe Nr. 3
¹³ Zu Literaturangabe Nr. 4
¹⁴ Zu Literaturangabe Nr. 3, Seite 22-23
¹⁵ Zu Literaturangabe Nr. 1
¹⁶ Literaturangabe Nr.3, S. 48
¹⁷ Zu Literaturangabe Nr. 1
¹⁸ Ebenda, Seite 150
¹⁹ Zu Literaturangabe Nr. 2, Seite 280-281
²⁰ Zu Literaturangabe Nr. 4, Seite 146
²¹ Ebenda, Seite 150
²² Ebenda, Seite 155
²³ Ebenda, Seite 155
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