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Nachricht vom 18.09.2023 |
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Region |
Altenkirchener „Saalü!“-Komödie: Vom Aufstieg und Fall einer Monarchin |
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Altenkirchen wird Königreich. Zumindest für rund zweieinhalb Stunden. Aber letztlich können die Einwohner der Stadt nichts mit der neuen Regentin anfangen und jagen sie zum Teufel. Das Projekt „Saalü!“ des Kultursommers Rheinland-Pfalz bot eine aberwitzige und knallbunte Komödie – sehr zum Gefallen der rund 300 vorübergehenden „Untertanen“. |
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Altenkirchen. Eigentlich hätte es keines weiteren Beweises bedurft. Mit „Royalen“ wollen und können die Altenkirchener nichts anfangen. Scheitert schon - meistens im Februar eines jeden Jahres - die Machtübernahme eines Prinzen (der der KG Altenkirchen) nach wenigen Tagen, ist am Sonntagnachmittag (17. September) im Kultursalon auf der Altenkirchener Glockenspitze schon nach rund 150 Minuten Schluss. Königin Sassi (Saskia Kästner), die mit Pomp und Gloria, bei geöffneter Bahnschranke (was ja nicht so häufig in der Unterstadt vorkommt), begleitet von zwei leibhaftigen Motorradfahrern auf ihren knatternden Harley Davidsons (Altenkirchener Moto Garage & Diner) und einer Abordnung der Schützengesellschaft den Thron bestiegen hat, muss fix abdanken und wird mit ihrem Gefolge in Ketten gelegt – unter den Argusaugen eben jener Grünröcke, die sich zuvor noch als glühend heiße Verfechter der Monarchie profiliert haben. Gezogene Säbel und geschulterte Gewehre lassen Sassi, Prinz Derrick (Dirk Rawe mit dem einzigen Instrument, einem Akkordeon, ist darüber hinaus ein Tausendsassa, was Funktionen und Ämter angeht), Herzogin Zäsi (Cécile Rose) als Chefin des königlich-dörflichen Geheimdienstes und Graf Nanzi (Henry Nandzik gibt den Zeremonienmeister und Kammerdiener ihrer Majestät) keine andere Wahl. Zwischen Aufstieg und Fall der weiblichen Herrschaft liegt wunderbare, aber gleichfalls aberwitzige Unterhaltung, die zum Schmunzeln, zum lauten Lachen und oder einfach nur zum Staunen gereicht. Die „Saalü!“-Produktion des Kultursommers Rheinland-Pfalz, die inzwischen beinahe drei Jahrzehnte durchs Land tourt, kann sich glücklich schätzen, ein solch kompetentes, gut aufeinander eingespieltes und stimmlich starkes Quartett an Profi-Schauspielerin unter seinen Fittichen zu wissen.
„Königreich ohne Limit“
Die Geburt des „Königreichs ohne Limit“, wie es Sassi formuliert, geht ganz ohne Blutvergießen über die Bühne. Stadtbürgermeister Ralf Lindenpütz übergibt die Amtsgeschäfte in einer Audienz und stellt in Aussicht, dass jeder Bürger alsbald einen Vierbeiner sein Eigen nennen werde, um die Einnahmen aus der Hundesteuer deutlich ansteigen zu lassen. „Ein solches Volk beherrsch’ ich gern, vom Pöbel halte ich mich fern“, freut sich Sassi. Lindenpütz beschreibt noch schnell sein ehemaliges Herrschaftsgebiet per Gedicht, das Prinz Derrick vertonen muss. Zum Regierungswechsel wird der Sassi(Wasser)-Fall am Marktplatz (Trinkbrunnen) eingeweiht, ein passendes Lied (Melodie „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“) flugs vorgetragen. Die große Garde der Karnevalsgesellschaft macht der Krone der Schöpfung die Aufwartung und wird mit reichlich Applaus belohnt. Die von Sassi versprochene neue Altstadt hingehen bleibt auf der Strecke. Eine Satellitenverbindung nach Schweden macht es möglich, dass ein Abba-Gründungsmitglied per Einspieler mitteilt, die neue Stadthymne (Gedicht von Lindenpütz) vertont zu haben. Lauthals schmettern die Royals den neuen Ohrwurm, der die Melodie des Abba-Welthits „Waterloo“ als Basis hat.
Die Zeiten ändern sich
Langsam aber nimmt das Verhängnis seinen Lauf, nachdem Stadtführerin Claudia Zey die umbenannten Plätze vorgestellt, der Tratschchor die ortsüblichen „Verfehlungen“ eingehend analysiert hat, viele Aufgaben bei Hofe mit oder ohne Zustimmung des Elferrates der Karnevalsgesellschaft vergeben worden sind, die Formation der Tanzschule Let’s Dance mit „No Jazz“ geglänzt, sich die Intriganten-Combo mit Verleumdungen und wie „du jeden Posten kriegen kannst“ beschäftigt hat. Sassi lässt die Geschichte „Wie Altenkirchen entstand“ umschreiben. Denn es war eine Fee, die in einem Wald am Quengelbach ein Haus hatte, das ein Ritter (Markus aus dem Publikum) in (imaginärer) Rüstung zufällig fand. Zwischen ihnen entwickeln sich mehr oder minder größere, auf Gegenseitigkeit beruhende (?) Gefühle, die eine Beziehung möglich machen könnten, so dass die Fee am nächsten Tag aus dem Fenster schaut und auf Altenkirchen blickt. Das Trinklied ist schließlich der Wendepunkt in der noch jungen Monarchie. Denn abgesehen von Vetternwirtschaft, Ämterhäufung und absurden Plänen zum Bau eines Schlosses (solch ein Teil hatte Altenkirchen bereits) mit integriertem Staatstheater, für das der Bismarckturm abgerissen werden soll, bleibt die Regierende alles schuldig. Der erste Widerstand regt sich. Dieser wird noch angeheizt, als Thomas Wunder (Bürger Altenkirchens) per Einspieler ein Fahndungsaufruf nach einer gewissen Saskia K. veröffentlicht, die aus der JVA Siegburg abgängig ist und zuletzt am 14. September am Förderturm der Grube Georg in Willroth gesehen worden sei. Sie werde steckbrieflich gesucht, betont Wunder. In einer Brandrede umreißt Sassi („Ich herrsche einfach gern“) ihre wahre Vision: vollständiger Abriss der Stadt und Umgestaltung für das ACCI (Altenkirchener City Center International).
Quartett in Ketten gelegt
Der Widerstand erreicht seinen Höhepunkt. Wunder berichtet vom Aufstand gegen die Dynastie. Der Satz „Leute, das ist eine Revolution“ macht die Runde. „Diese Pläne woll’n wird nicht tragen. Sassi ciao, Sassi ciao, Sassi ciao,ciao,ciao, darum müssen wir dich verjagen, auf Nimmerwiederseh’n und Tschüss“, lautet die gesungene Formel nach dem Lied „Bella Ciao“, das in der Version der italienischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg bekannt geworden ist. Die Leibgarde (Schützengesellschaft) läuft zu den Aufständischen über, Lindenpütz verhaftet das royale Quartett und lässt es in Ketten legen. Die alte Ordnung ist wiederhergestellt, ein weiterer Versuch, Altenkirchen eine neue Regierungsform überstülpen zu wollen, kläglich gescheitert. Zum Ausklang nach dem „Nudellied“, das sich an italienischen Gaumen-Freuden orientiert, kommen noch einmal Scherfs Eleven zur Geltung. Sie tanzen um das Publikum herum und feiern per Walzer die wieder gewonnene Demokratie ...
Seit 1994 von Dorf zu Dorf
Das Heimatprojekt des Kultursommers Rheinland-Pfalz wandert, so die eigene Homepage, seit 1994 mit großem Erfolg von Dorf zu Dorf, von Saal zu Saal und ist inzwischen eine Institution – nicht zuletzt zur Wiederbelebung der Dorfsaalkultur und Stärkung der Dorfgemeinschaft. „Maximal elf Dörfer können jährlich in den Genuss der Förderung kommen. Seit 1994 waren das etwa 350 Kommunen. Vertragspartner ist der Kultursommer Rheinland-Pfalz. Das Konzept stellt Dorf und Saal und deren Geschichte(n), Zusammenhalt und Zukunftsfähigkeit der dörflichen Gemeinschaft in den Fokus. Geschichten, die in Interviews erzählt werden, gereichen auch zum Heimat-Drehort: Mit Bürgerbeteiligung wird ein Film zum Dorf gedreht. Mit umfangreichen Vor-Ort-Recherchen wird so jede Veranstaltung ein maßgeschneiderter Heimatabend. Es geht im Dorf um das Dorf, mit Geschichten aus Dorf und Saal. Diese Geschichten brauchen ein bühnenfähiges Rahmenprogramm. Das ist als Varieté inszeniert. Diese Form des Nummernprogramms hat gegenüber einem Theaterstück den Vorteil, dass flexibel und dramaturgisch sinnvoll kombiniert werden kann. Und das mit einem Minimum an Probenaufwand: da, wo sich das Dorf trifft, zum Tanzen, bei der Kirmes, zum Theaterspielen, Musizieren, Singen, bei Hochzeiten und Beerdigungen. Die vier Wände der „guten Stube“, aber auch die Plätze, Straßen und Gassen werden zum Reden gebracht. Denn der Star des Saalü!-Abends ist das Dorf. Für jedes erfindet sich Saalü! neu. Denn da die Dörfer so verschieden sind wie ihre Menschen, ist jeder Abend Überraschung, Unikat und andernorts so nicht wiederholbar“, heißt es weiter. Projektleiterin ist seit Anbeginn Martina Helfenstein. (vh) |
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Nachricht vom 18.09.2023 |
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