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Nachricht vom 06.11.2023 |
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Klinikreform/Interview Teil 2: Jung-Schwandt unterstellt Beraterfirma „Ahnungslosigkeit“ |
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Für die geplanten neuen Aufgaben, die nach Vorlage des Sanierungsplans im DRK-Krankenhaus Altenkirchen erfüllt werden sollen, mangele es bei den Grundlagen an vielen Ecken und Enden. Das stellt Dr. Isabella Jung-Schwandt, Oberärztin der Anästhesie und Betriebsrätin in der Klinik am Leuzbacher Weg, im zweiten Teil ihres mit dem AK-Kurier geführten Exklusiv-Interviews fest. |
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Altenkirchen. Dauernde Abordnungen nach Hachenburg, sprachlose, weil geschockte Mitarbeiter nach der Ankündigung zahlreicher Entlassungen womöglich zur Weihnachtszeit und ihrer Meinung nach ein wenig durchdachtes Sanierungskonzept der Beraterfirma WMC: Das stellt Dr. Isabella Jung-Schwandt, Anästhesie-Oberärztin und Mitglied des Betriebsrates im DRK-Klinikum Altenkirchen, im zweiten Teil ihres dreiteiligen Exklusiv-Interviews mit dem AK-Kurier fest. Hintergrund: Mit der Klinikreform sollen neben den ebenfalls insolventen Häusern in Neuwied und Alzey die drei Hospitäler Altenkirchen, Hachenburg und Kirchen wieder profitabel gemacht werden. Die Überlegungen der Beraterfirma WMC stießen jedenfalls auf massive Proteste in der Bevölkerung und der örtlichen Politik. Die DRK-Trägergesellschaft Süd-West (Mainz) hatte die Pläne für ihre untergeordnete zahlungsunfähige DRK Gemeinnützige Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz mbH (Träger der fünf Hospitäler) ausarbeiten lassen. Jung-Schwandt, seit 15 Jahren in Altenkirchen tätig, ist Oberärztin für Anästhesie, Fachärztin für Anästhesiologie, spezielle Intensivmedizin, spezielle Schmerztherapie, Notfallmedizin, Palliativmedizin, Ernährungsmedizin und gibt Ethikberatung im Gesundheitswesen AEM. Zudem ist sie ordentliches Betriebsratsmitglied seit dieser Legislaturperiode. Der zweite Teil des Gespräches im Wortlaut:
Wie oft wird Personal nach Hachenburg abgeordnet?
Die Ausleihe des OP-Personals ist keine Einmaligkeit, sondern da steckt Strategie dahinter. Wie ich bereits gesagt habe, sind dieses Jahr vom OP-Personal schon über 40 Mitarbeitende stunden- und tageweise nach Hachenburg geschickt worden. Des Weiteren hilft das OP-Personal bei der Sterilisation von OP-Instrumenten fast täglich aus, denn dieser Bereich ist im Augenblick völlig ausgeblutet. Anästhesisten sind auch bereits tageweise nach Hachenburg versetzt worden, zudem auch Anästhesie-Pflegepersonal. Das ist also keine einmalige Sache, mal eben auszuhelfen. Dies hat teilweise sogar groteske Formen angenommen, nämlich dass ein komplettes Team: Anästhesist, Anästhesiepflege, OP-Pflege und Instrumentarium nach Hachenburg geordert wurden, obwohl man den Patienten hier hätte operieren können. Von der Geschäftsführung gibt es eine schriftliche Vorgabe, dass die Prothesenchirurgie Vorrang vor dem hiesigen Programm hat. Dies führt sehr häufig dazu, dass Patienten in Altenkirchen verschoben werden mussten und zur Verlagerung des OP-Programms in den Bereitschaftsdienst. Notfälle lassen sich leider sehr schlecht planen.
Wie ist das Sanierungskonzept verkündet worden?
Am Ende der Betriebsratssitzung mittwochs mittags gegen 16 Uhr haben wir die Nachricht bekommen, dass am nächsten Morgen 9 Uhr eine Betriebsversammlung für alle Mitarbeitenden und zunächst um 8 Uhr eine Information des Betriebsrates und der Chefärzte erfolgt, wie das Strategiepapier aussieht. Bis dahin war dem Betriebsrat und den Mitarbeitern nichts darüber mitgeteilt worden. Man hat die Mitarbeiter damit konfrontiert, dass sie höchstwahrscheinlich um die Weihnachtszeit Kündigungen erhalten. Die Mitarbeiter konnten nichts sagen, nicht protestieren, sie waren wie vor den Kopf gestoßen, weil sie sich eigentlich sicher waren, dass ein durchdachtes Konzept besteht, dass mit gesundem Menschenverstand an die Dinge herangegangen worden ist, dass die Dinge sinnvoll geregelt werden können. Man hätte sich vorstellen können, die Kardiologie als Spezialgebiet in Hachenburg belassen zu können, auch das Prothesenzentrum dort zu belassen. Dann hätte man unter Umständen die 24-Stunden-Anästhesiepräsenz gespart. Man hätte durchaus auch darüber nachdenken können, die ambulanten Strukturen, wie sie von WMC geplant sind und von WMC als so ein großartiges Konzept favorisiert werden, auch dort ansiedeln zu können. Viele andere Szenarien hätte man sich denken können. Aber hier wurden zwei vermeintliche Lösungsmöglichkeiten vorgestellt, die völlig irreal sind. Szenario eins alles, Geburtshilfe Geriatrie, Pädiatrie und so weiter, ad hoc nach Altenkirchen zu packen, was natürlich genauso irreal ist wie Szenario 2 in Altenkirchen jetzt alle somatischen Betten, Zentrale Notaufnahme und Intensivstation zuzumachen. Dieses sei jetzt also der Favorit und Heilsbringer für alle anderen vier Häuser. Wir können selbstverständlich nicht in zwei Wochen das vierte Stockwerk in Altenkirchen draufsetzen, wie für Szenario eins nötig. Da ist also eine Pseudo-Lösung geschaffen worden, um zu zeigen, was offenkundig nicht geht. Sinnvolle Strategien und Synergien, die man auch an die Ressourcen der Mitarbeitenden angepasst hätte, absolute Fehlanzeige. Wir haben nach der Schließungsankündigung weiter Teile unserer Klinik keine weiteren Infos erhalten. Der Betriebsrat wurde bis heute nicht einbezogen. Wir wissen nicht, wie viele Mitarbeiter am Standort überhaupt geplant sind. Ich glaube, dass trotz Tendenzschutz es strafrechtlich relevant ist, wenn man den Betriebsrat so umgeht.
Wie ist die Stimmung denn unter den Kollegen?
Unter meinen Kollegen per sé, ich habe nicht mehr so viele in der Anästhesie, ist die Stimmung nicht gut. Wir machen uns Sorgen, meine Kollegen schauen sich natürlich um, wo sind die Alternativen. Headhunter schicken vermehrt Angebote. Wir haben einen absoluten Facharzt- und Pflegekräftemangel. Für unsere Klinik sind inzwischen philippinische Schwestern eingeflogen worden, die hier, der Sprache wenig mächtig, eingearbeitet werden, weil man sich erhofft, so Pflegekräfte zu rekrutieren. Man läuft jetzt Gefahr mit der Strategie, die Leute in der Luft hängen zu lassen, dass sich alle, die irgendwie flexibel sind, eine Stelle woanders suchen. Und diejenigen, die noch nicht so verwurzelt sind, werden natürlich gehen. Ich selbst habe mehrere Angebote bekommen, meinen Arbeitsplatz zu verändern. Wenn ein solcher Pulk an Pflegekräften plötzlich frei wird, muss man natürlich schauen, wo die nächsten Anlaufmöglichkeiten sind. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied zu einer Stadt. Wenn ich in Berlin wohne und ein Krankenhaus schließt, fahre ich fünf Kilometer in die andere Richtung. Die Geschäftsführung und insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende Herr González hat gesagt, dass man Mitarbeiter mit ins Boot holen will. Aber so etwas geht nur durch Transparenz, Zahlen und Verständnis für die Dinge, die man tut.
Altenkirchen soll großer Standort fürs ambulante Operieren werden ...
Ja, so hat es sich WMC ausgedacht. Im ambulanten Bereich ist es wichtig, wie die Strukturen sind. Die Idee von WMC, dass man alles Ambulante von diesen fünf Kliniken in Altenkirchen bündelt, ist natürlich völliger Quatsch. Leute, die in Kirchen eine ambulante OP brauchen, fahren nach Siegen, Leute, die in Neuwied eine ambulante OP brauchen, fahren nach Bonn oder in das andere Neuwieder Krankenhaus oder nach Koblenz. Ich habe deswegen auch Bedenken wegen Ahnungslosigkeit von WMC. Ebenfalls werfe ich dieser Firma vor, sehr arrogant und überheblich mit Mitarbeitenden umzugehen, soweit sie überhaupt mit Mitarbeitern sprechen. Da kommt sofort die Frage auf, warum sich das Rote Kreuz direkt von der zunächst beauftragten Beratungsfirma WPC getrennt hat. Was kostet das? Musste das DRK auch Zahlungen an die erste Firma leisten? Ein Beispiel: Wie verhält es sich mit dem Kündigungsrecht in der Insolvenz in Eigenverwaltung? Ich hatte mehrfach in den Veranstaltungen zur Verkündung der Insolvenz in Eigenverwaltung die Frage gestellt, was sich im Kündigungsrecht ändere. Daraufhin wurde mir geantwortet, dass sich das Kündigungsrecht nicht ändere und dass es personen- oder sachbezogen bleibe. Das ist korrekt, aber der wichtige Teil wurde weggelassen, dass nämlich der Kündigungsschutz auf die gesetzlich vorgeschriebenen drei Monate zurückfällt. Es gibt Kündigungsfristen für beide Seiten für langjährige Mitarbeitende, die gar nicht unerheblich sind und je nach Betriebszugehörigkeit errechnet werden. Wir haben Mitarbeiter, die viele Jahre, ja Jahrzehnte, im Krankenhaus arbeiten. Möglichkeiten der Abfindungszahlungen nach beispielsweise einem Vergleich nach einer Kündigungsschutzklage sind in der Insolvenz massiv eingeschränkt. Der Tendenzbetrieb sieht zwar einen Sozialplan vor, aber keinen Interessensausgleich. Das sind ganz massive Einschränkungen. Eine faire juristische Antwort wäre anders ausgefallen. Solche Antworten sind zudem für mich schon wieder Hinweise, dass möglicherweise Entlassungen schon geplant waren, dass das Konzept möglicherweise schon in der Schublade lag. Möglicherweise sollte WMC so rechnen, dass es passt. Die Zahlen sind nicht nachvollziehbar. WMC hatte keine Kenntnisse über Verfahren und Besonderheiten in der Region. WMC hausiert mit Plänen, wo sie schon überall Ambulantisierung durchgesetzt haben. Wir haben das geprüft und ein Krankenhaus gefunden, in dem das so läuft. Das Haus liegt 20 Kilometer von einer Uni-Klinik entfernt – also auch mit anderen Arztstrukturen und einer höheren Krankenhausdichte. Aber auch dort läuft es leider nicht. Wenn hier alles korrekt gelaufen ist, wieso kommen nicht alle Daten auf den Tisch, in den Betriebsrat, zur Politik?
Sind in Altenkirchen überhaupt die Grundlagen fürs ambulante Operieren in großem Stil gegeben?
Ambulantes Operieren hat ganz klare Anforderungen an Überwachungsmöglichkeiten für den Fall, dass etwas passiert. Wenn alles komplett dicht gemacht wird und Hachenburg nur die jetzigen Intensivbetten behält und wir unsere Überwachungsbetten komplett geschlossen haben und ich einen Zwischenfall in der ambulanten OP habe, wo soll ich diesen Patienten denn unterbringen? Schon jetzt, wenn wir einen Intensivpatienten haben, den wir nicht mehr versorgen können, führen wir bis zu 100 Telefonate, um ihn zu verlegen. Manchmal dauert es Tage, bis wir ein Intensivbett bekommen in einem Haus der Maximalversorgung. Natürlich brauchen wir stationäre Möglichkeiten in einem ambulanten Zentrum, zum Beispiel, weil jemand die Narkose nicht gut verträgt oder die Wunde nachblutet.
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie soll in Altenkirchen bleiben und ausgebaut werden. Ist diese Disziplin gut aufgestellt?
Wir haben nicht mehr den Luxus, genug Assistenten, Weiterbildungsassistenten und Fachärzte zu haben. Das ist ebenso eklatant in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP), die jetzt ausgebaut werden soll. Im Juni vergangenen Jahres ist ein sehr teures Gutachten für den Krankenhaus-Haftpflichtversicherer gemacht worden. Haftpflichtversicherungen für Krankenhäuser sind ein ganz besonderes Problem, da es nur noch zwei Versicherer gibt. Eine Krankenhausversicherung ist extrem teuer und an konkrete Sicherheitsbestimmungen gebunden. Auch die KJP wurde geprüft, weil zu wenig Psychiater hier beschäftigt sind und anstelle derer Psychologen Bereitschaftsdienste übernehmen müssen. Dieser Versicherer hat hierzu gefordert, dass mit dieser Lösung, wie sie jetzt besteht, eine 24-Stunden-Reanimationsbereitschaft zu bestehen hat. Des Weiteren fordert die Versicherung auch 24-Stunden-Anästhesie-Facharztpräsenz und explizit eine zentrale Notaufnahme und nicht einen ärztlichen Bereitschaftsdienst. Das ist ganz wichtig, denn sonst kann die KJP nur tagesstationäre Patienten aufnehmen und eine Institutsambulanz haben. Dem stationären Versorgungsauftrag kann unter den Vorschlägen des WMC und den jetzigen Gegebenheiten nicht mehr nachgekommen werden. Möglicherweise hieße das auch ein komplettes Aus für den hiesigen Standort. WMC hat diesen Arzt- und Pflegekraftmangel gar nicht berücksichtigt. WMC hat gar nicht gefragt, wer diese Pläne verwirklichen soll. Niemand von uns ist gehört worden. Wie das eine Firma ist, die auf Krankenhaussanierung spezialisiert ist, ist mir alles komplett unverständlich. Willkommen im Personalmangel dieses Jahrtausends. WMC hat überhaupt keine Vorstellung von den hiesigen Gegebenheiten. Wir haben zurzeit viele offene Stellen, wir haben ein riesiges Kontingent als Leiharbeitsfirmen, die Bereitschaftsdienste machen. Wir haben in der Abteilung der Inneren Medizin keine Assistenten mit Approbation, diese alle haben nur Berufserlaubnis. Sie dürften eigentlich allein gar keine 24-Stunden-Dienste machen. Über solche Dinge ist überhaupt nicht gesprochen und nachgedacht worden. Und dann kann ich lange tolle Vorschläge über ein ambulantes Zentrum machen. Wer betreibt denn dieses ambulante Zentrum? Für mich wäre der erste Schritt gewesen, die Mitarbeiter zu befragen, was sie leisten können. Wir haben in der Anästhesie drei fachweitergebildete Intensivmediziner. Wir könnten die Intensivstation problemlos ausbauen. Schon lange existieren Vorschläge zu sinnvollen Veränderungen. (vh)
Im dritten und letzten Teil des Exklusiv-Interviews sieht Jung-Schwandt das Verbundkrankenhaus Altenkirchen-Hachenburg als Spielball der Politik, sagt ihre Meinung zum geplanten Neubau in Müschenbach und kann auch hin und wieder einen Silberstreif am Horizont erkennen.
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Nachricht vom 06.11.2023 |
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