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Nachricht vom 12.08.2024
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Kreis Altenkirchen: Hausverbot für dementen Senior in Supermarkt sorgt für Empörung
Wie will die Gesellschaft mit alten, schwachen und erkrankten Menschen in ihrer Mitte umgehen? Diese Frage stellt sich aktuell, nachdem ein dementer Senior in einem Supermarkt im Kreis Altenkirchen Hausverbot bekommen hat. Besonders traurig: Der 88-Jährige versteht den Vorgang aufgrund seiner Erkrankung nicht einmal.
Das Bild zeigt den dementen Senior, wie er ratlos vor dem Markt sitzt, in den er nicht hinein gelassen wird. (Fotos: privat)Kreis Altenkirchen. Mit einem Leserbrief hatte sich die Familie des Mannes an den AK-Kurier gewandt, um auf den Fall aufmerksam zu machen. Im persönlichen Gespräch führte seine Tochter dann aus, was geschehen war: Der 88-Jährige an schwerer Demenz erkrankte Senior ging seit rund einem Jahr regelmäßig, teils mehrmals täglich, in den Supermarkt in direkter Nachbarschaft seines Pflegeheims, um dort Kleinigkeiten wie Sahne-Bonbons zu kaufen. Dies gehörte zu seiner - für demente Menschen enorm wichtigen - festen Tagesstruktur. Auch andere Pflegeheimbewohner kaufen dort selbstständig ein. Anfang August jedoch wurde der Pfad, den sie für ihren Besuch im Supermarkt nutzten, abgesperrt.

Aufgrund seiner Erkrankung verstand der Senior nicht, warum sein täglicher Weg nun versperrt war, das Kurzzeitgedächtnis von dementen Personen nimmt keine neuen Informationen auf. Seiner Tagesroutine entsprechend verschaffte er sich dennoch widerrechtlich über den Pfad Zugang zum Gelände. Im Supermarkt angekommen, wurde er von der Marktleitung darauf angesprochen und der Sachbeschädigung beschuldigt. Das Gespräch eskalierte zum Streit und gipfelte schließlich in einem Haus- und Hofverbot für den alten Mann. Da dieser aber völlig dement ist, erscheint er nach wie vor mehrmals täglich im Einkaufsmarkt und wird jedes Mal aus diesem verwiesen. Krankheitsbedingt kann er jedoch nicht verstehen, warum und kann sich dies vor allem auch nicht merken. Der Marktleiter drohte daraufhin mit der Polizei und machte dies auch gegenüber der Leitung des Pflegeheims deutlich.

Supermarkt-Mitarbeiter zeigen Verständnis für Senior
"Wir wurden von der Pflegeheimleitung darüber informiert, was passiert war. Der Marktleiter hatte sich dort beschwert", berichtet seine Tochter dem AK-Kurier. "Wir wollten vermitteln. Wenn mein Vater dort auf dem Gelände etwas beschädigt hat, würden wir natürlich auch dafür aufkommen. Leider war die Marktleitung zunächst zu keinem Gespräch mit uns bereit."

Lediglich die stellvertretende Marktleitung sprach mit der Familie und wies darauf hin, dass der Senior eine Mitarbeiterin bedroht habe, als diese ihn des Marktes verweisen wollte. Seine Tochter entschuldigte sich daraufhin dafür, versuchte jedoch auch darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Verhalten typisch sei für einen dementen Menschen, der sich bedrängt fühlt. "Als die betroffene Mitarbeiterin erfuhr, dass mein Vater dement ist, zeigte sie gleich Verständnis", betont die Tochter dem AK-Kurier gegenüber. "Sie war wirklich empathisch. Auch viele der anderen Mitarbeiter in dem Supermarkt sind sehr verständnisvoll und haben richtig Mitleid mit meinem Vater in dieser Situation. Aber es bleibt ihnen wegen des ausgesprochenen Hausverbots nichts anderes übrig, als ihn jedes Mal wieder zum Gehen aufzufordern, wenn er dort einkaufen will."

Als es schließlich doch noch zu einem kurzen Gespräch und einem Erklärungsversuch zwischen der Familie des Seniors und der Marktleitung kam, verwies diese jedoch wiederum darauf, sie müsse die Mitarbeiter schützen und habe "keine Zeit für so etwas", berichtet die Tochter. "Da war keine Empathie, kein Interesse und kein Versuch für eine Lösung! Wir sind extrem fassungslos."

Als besonders kritisch sieht die Tochter das Vorgehen der Marktleitung, weil es die Erkrankung ihres Vaters verschlechtert hat. "Die Beständigkeit der Tagesstruktur ist immens wichtig für demente Menschen", erklärt sie. "Dass ihm sein täglicher Einkauf und damit seine Routine genommen wurde, hat bereits einen Demenzschub verursacht."

Umgang mit Demenz - Stadt Kirchen bietet Schulungen an
Auch Michaela Sandberg, bei der Stadt Kirchen unter anderem Leiterin des Projektes "Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz" und Projektleitung des "Netzwerk Demenz" in der Stadt Kirchen, bestätigt, dass die Tagesroutine an Demenz erkrankten Menschen eine wichtige Sicherheit gibt und deren Wegbrechen sich negativ auf die Erkrankung auswirken kann. Sie hält das Vorgehen der Marktleitung in diesem Fall für "schwer nachvollziehbar. Der Senior hat sicherlich nicht aus Boshaftigkeit gehandelt. Er hat einfach an seinem Tagesablauf festgehalten und sich deswegen Zugang zum Gelände verschafft. Demente Menschen handeln aufgrund ihrer Erkrankung nicht rational."

Sandberg wünscht sich mehr Sensibilität im Umgang mit Demenz - sowohl in der Gesellschaft als auch im konkreten Fall von der Marktleitung des Supermarktes. "Das war vermutlich nicht das letzte Mal, dass sowas vorkommt. Der Supermarkt liegt direkt neben einem Pflegeheim. Die Gesellschaft wird immer älter und Demenzerkrankungen nehmen zu", erklärt sie. "Genau deswegen bieten wir ja entsprechende Schulungen an - auch für den Einzelhandel. Gerade in diesem Supermarkt, wegen seiner Nähe zum Pflegeheim, würde es Sinn machen, die Mitarbeiter darin zu schulen, wie man mit dementen Bewohnern und anderen dementen Kunden umgeht."

Bewohner können nicht eingesperrt werden
Die Marien Gesellschaft Siegen, zu der das Wohn- und Pflegeeinrichtung gehört, in dem der Senior untergebracht ist, möchte ebenfalls "für eine demenzsensiblen Gesellschaft werben", wie sie auf Anfrage in einem Statement verlauten lässt. Gleichzeitig betont sie, dass die Maßnahmen der Marktleitung "aus der Perspektive einer 'gesunden Welt' absolut nachvollziehbar" seien. Man möchte daher auch keinesfalls "die Reaktion des Supermarkts kritisieren", unterstellt "keinen bösen Willen" und vermutet "ein Missverständnis".

Trotzdem wirbt die Marien Gesellschaft für Verständnis für den dementen Senior und alle anderen Bewohner. Ein selbst bestimmtes Leben erhöhe die Lebensqualität: "Für unseren Bewohner liegt kein Unterbringungsbeschluss vor. Freiheitsentziehende Maßnahmen verbieten sich daher." Aufgrund seiner Erkrankung habe er aber ein Hausverbot "bald genauso vergessen wie die Personen, die sich ihm in den Weg gestellt haben. Er wird wieder und wieder auftauchen. Er will schließlich nur einkaufen."

Marktleitung äußert sich nicht
Dem AK-Kurier gegenüber wollte sich die Marktleitung nicht zu dem Vorfall äußern. Über einen Mitarbeiter ließ sie am Telefon ausrichten, es bestehe "kein Interesse an einem Gespräch". Auch von Unternehmensseite blieb eine entsprechende Anfrage unbeantwortet.

Dass der Senior den Vorgang aufgrund seiner Erkrankung gar nicht begreifen kann, zeigt sich nun daran, dass er weiterhin täglich versucht, den Supermarkt zu betreten. "Er wird weggeschickt, irrt dann draußen umher und setzt sich schließlich auf eine Bank auf dem Parkplatz", berichtet die Tochter. "Wir haben ihn dabei beobachtet, weil wir wissen wollen, wie er sich den Mitarbeitern gegenüber verhält. Es zerreißt einem das Herz." (rm)
 
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