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Nachricht vom 05.12.2012 |
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Michael Nieden berichtete über Ruanda |
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Anlässlich des Jubiläums „30 Jahre Partnerschaft Rheinland-Pfalz – Ruanda“ war es den Mitgliedern der Unesco-AG des Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Betzdorf gelungen, den Geschäftsführer des Partnerschaftsvereins Rheinland-Pfalz – Ruanda, Michael Nieden, für einen Vortrag über das afrikanische Land zu gewinnen. |
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Betzdorf. 1982 besiegelten das Land Rheinland-Pfalz und die Republik Ruanda die erste Partnerschaft zwischen einem Bundesland und einem afrikanischen Land – offensichtlich ein seltenes Erfolgsmodell. „Viele Menschen in Ruanda sind erstaunt zu hören, Rheinland-Pfalz sei ein Teil von Deutschland und nicht umgekehrt“, dieser Satz im Vortrag von Michael Nieden, Geschäftsführer des Partnerschaftsvereins Rheinland-Pfalz – Ruanda, sagt Einiges aus über die tiefen Spuren, die 30 Jahre Partnerschaft Rheinland-Pfalz – Ruanda im afrikanischen Partnerland hinterlassen haben. Das Zeichen des Vereins, in dem die Räder aus dem Mainzer Wappen zusammen mit einem afrikanischen Speer zu sehen sind, ist wohl bis in die entlegensten Bergdörfer Ruandas hinein zu finden.
Der Referent war auf Einladung der Unesco-AG aus Mainz ans Freiherr-vom-Stein-Gymnasium gekommen, um anlässlich des Partnerschaftsjubiläums vor den AG-Mitgliedern und einigen ausgewählten Mittelstufenklassen in einem einprägsamen Powerpoint-Vortrag über den ostafrikanischen Binnenstaat zu berichten. Der recht enge Kontakt des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums zu einer Partnerschule in Ruanda, an den Schulleiter Manfred Weber in seiner Einführung zum Vortrag erinnerte (man war sogar in einer Delegation nach Ruanda gereist), hatte sich nach den Wirren des Bürgerkriegs gelockert.
Nieden verfügt über profunde Kenntnisse: Sieben Jahre lang hat er selbst in Ruanda gelebt, während des größten Teils dieser Zeit leitete er das Partnerschafts-Koordinationsbüro in der Hauptstadt Kigali. Auch heute fliegt er noch mehrmals im Jahr im Auftrag des Vereins ins Partnerland. Ruanda, das für afrikanische Verhältnisse erstaunlich grüne „Land der tausend Hügel“ und „Land des ewigen Frühlings“, ist flächenmäßig nur etwas größer als Rheinland-Pfalz und das Saarland zusammengenommen, auch das ein Grund für das gute Gelingen der Partnerschaft.
In einem kurzen geschichtlichen Überblick kam auch das dunkelste Kapitel in der Geschichte des unabhängigen Ruanda zur Sprache: Während des Bürgerkriegs, der im April 1994 ausbrach, wurden in einem Zeitraum von etwa 100 Tagen gut eine Million Menschen ermordet. Nachbarn töteten Nachbarn, Freunde töteten Freunde, nur weil sie der „falschen“ Ethnie angehörten. Nicht unerwähnt blieb dabei auch die unheilvolle Rolle der europäischen Kolonialmächte, die die indigene Bevölkerung nach relativ willkürlichen Kriterien in niedrig gestellte „Hutu“ (Ackerbauern) und höher gestellte „Tutsi“ (Viehbesitzer) eingeteilt hatten.
Ein typisch afrikanisches Unterfangen war es, einen Teil der unvorstellbaren Verbrechen mittels so genannter „Gacaca“-Gerichte im Kreis der Dorfgemeinschaft aufzuarbeiten. Gegenüber der zum Teil schleppenden Aufarbeitung von Naziverbrechen hierzulande scheint dieses Verfahren zumindest den Vorteil gehabt zu haben, zu einer raschen Urteilsfindung und der Genugtuung für die Geschädigten zu gelangen. „Niemand konnte sich ja davon machen, Täter und Opfer mussten wieder nebeneinander und miteinander leben können“, so Nieden. 2012 kam das Ende der Gacaca-Gerichte. Über zwei Millionen Fälle konnten auf diese Weise abgeschlossen werden, eine nach europäischem Rechtverständnis schier unüberwindliche Zahl.
Heute sei Ruanda „a country on the move“, Entwicklung finde nicht nur in der Hauptstadt Kigali, sondern auch auf dem Land statt. Anhand etlicher Indikatoren belegte Nieden eindrücklich den Aufwärtstrend, der sich in Ruandas Entwicklung in den letzten Jahren vollzogen hat.
Ruanda ist – nicht nur, was die Staatgründung anbelangt – ein junges Land: 50 Prozent der Bevölkerung sind unter 20 Jahren, eine für deutsche Verhältnisse traumhaft hohe Zahl. „Wenn man von Ruanda nach Deutschland kommt, fällt einem zuallererst auf, wie viele alte Menschen es hier gibt und wie wenig junge“, so Nieden.
Um diese insgesamt positive Entwicklung in Gang zu setzen, bedurfte es freilich nicht nur (rheinland-pfälzischer) Hilfe von außen, sondern auch einer Art nationaler Erneuerung, eines nationalen Aufbruchs nach der schrecklichen Zeit des Bürgerkriegs.
Am Beispiel „Frauen“ zeigt sich das wohl besonders: Während Frauen vor 1994 in Ruanda kaum Rechte besaßen, hat das Land heute weltweit den prozentual höchsten Frauenanteil im Parlament.
Obwohl Ruanda so fast als afrikanisches „Musterländle“ erscheint, gibt es natürlich gemessen an europäischen Maßstäben noch zahlreiche Baustellen: Auch in Ruanda geht die Schere arm/reich immer stärker auseinander, je weiter sich das Land modernisiert. Nach wie vor sind 50 Prozent des Haushalts geberfinanziert. Während ein Großteil der Kinder und Jugendlichen eine Primarschule besucht, ist die Möglichkeit, eine höhere Schule oder gar die Universität zu besuchen, stark einkommensabhängig. Berufliche Ausbildung findet weiterhin auf relativ niedrigem Niveau statt.
Entscheidend sei aber trotzdem, so Nieden, weniger die Frage „Wie können wir den Menschen in Ruanda helfen?“. Man dürfe die afrikanischen Verhältnisse nicht nur mit europäischem Maßstab messen. Viele Ruander seien – obwohl nach unseren Maßstäben eher arm – glücklich und hätten eine ausgesprochen positive Einstellung zum Leben.
Primäre Ziele der Partnerschaft seien vor allem, Vorurteile abzubauen, Verständnis für die jeweils andere Kultur zu entwickeln und partnerschaftliche Kontakte auf Augenhöhe zu ermöglichen. 230 Schulpartnerschaften legen hiervon ein beredtes Zeugnis ab.
In den zahlreichen anschließenden Fragen der Zuhörerschaft kam natürlich auch die gegenwärtig gespannte Lage im Grenzgebiet zum Kongo zur Sprache, wegen der das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Budgethilfe für Ruanda zunächst auf Eis gelegt hat. Die Frage, ob dieses Verhalten der Bundesrepublik letztlich sinnvoll oder kontraproduktiv für die weitere Entwicklung Ruandas ist, musste offen bleiben.
Insgesamt war der sehr informative Vortrag einerseits eine Anregung für die Unesco-AG, das Thema „Ruanda“ weiterhin auf die Agenda zu setzen, und andererseits für die gesamte Schulgemeinschaft, in der nächsten Zeit darüber nachzudenken, die Kontakte nach Ruanda – in welcher Form auch immer – noch einmal zu aktivieren. (Mia Geimer-Stangier) |
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Nachricht vom 05.12.2012 |
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