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Nachricht vom 09.10.2013
Kultur
Grandioses Konzert: "Tschüss Deutschland"
Stehende Ovationen und jede Menge feuchte Augen: Mit einem grandiosen letzten Auftritt haben sich die Folk-Rock-Sänger Barry McGuire und John York in Altenkirchen von Deutschland verabschiedet. Noch zwei Gigs in Holland, und dann verlässt das Duo Europa für immer.
Das letzte Deutschlandkonzert in der Altenkirchener Stadthalle: Barry McGuire und John York. Es war ein grandioser Auftritt. Fotos: Jean-Daniel von LerberAltenkirchen. Das Kulturbüro Haus Felsenkeller hatte es möglich gemacht, das Abschiedskonzert von Barry McGuire und John York in die Stadthalle zu bekommen - ein grandioser Erfolg.
Barry, der einst bärtig-langhaarige Barde, der 1965 mit „Eve of Destruction“ einen Welthit landete, ist ein wahres Wunder: Kein „One-Hit-Wonder“, wie der Volksmund musikalische Eintagsfliegen zu nennen pflegt. Nein, nach über 50-jähriger Bühnenpräsenz ist Barry auch heute noch ein Wunder an Stimme, Ausstrahlung, Ausdauer und Charisma, ein echtes Energiebündel.

Nächste Woche wird er 78, aber das merkt ihm keiner an. Und auch nicht, dass er sich während dieser Tournee, Altenkirchen war schon der 24. Auftritt, am Knie verletzt hat: Zum anschließenden Gespräch mit dem AK-Kurier kam er mit einer Krücke angehumpelt.

Nach 2008 und 2009 begann das Duo auch diesen dritten Auftritt im Westerwald mit dem Lied „Green Green“, ein Titel aus Barrys Zeit als Kopf und Sänger der New Christy Minstrels. Von seinem Partner John York, der einst bei den legendären Byrds den Bass zupfte, kongenial begleitet, machte schon diese Ouvertüre klar, wohin die Reise gehen würde: Ein Trip durch die wilden 60er.

„Trippin‘ the 60s“, so heißt denn auch ihre Tour, und basiert auf dem einfachen Konzept, die Musik von damals mit Geschichten von damals zu verknüpfen. Barry war schließlich mittendrin in dieser Szene, die wie Bob Dylans Karriere im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village ihren Anfang hatte und später dem Drang nach Westen folgte, um in Kalifornien ihre neue Heimat zu finden.

So passte dann auch zu den mit großer Ehrfurcht vor dem „kleinen Mann mit der sonoren Stimme“ gespielten Dylan-Titel „The Times, they are a-changin‘“ und „Blowing in the Wind“ besonders gut folgende Anekdote: Als einziger, der damals schon als Musiker Geld verdiente, musste Barry immer das Marihuana für die ganze Clique im „Village“ besorgen. Nach einer besonders berauschten Nacht sprang er aus dem Fenster, um seinen Bühnen-Pflichten nachzukommen, und als er die nächste Nacht wieder draußen vor der Tür stand, rieb man sich verwundert die Augen, weil kein einziger gemerkt hatte, dass er vor vielen Stunden verschwunden und einen ganzen Tag lang weg war.
Überhaupt die Drogen: Noch heute wundert sich Barry, dass er das alles überlebt hat. „Neben dem Gras haben wir noch jede Menge hochgiftige Chemikalien in uns hineingepumpt. Wir waren total verrückt, aber das waren die Zeiten. In zehn Jahren habe ich 16 Freunde den Drogentod sterben sehen, und ich bin heilfroh, dass ich nicht dabei war“, sagt der heute bekennende Christ und Drogen-Abstinenzler.

Später, an der West-Coast, ging’s dann munter weiter, und im „West-Wood“ Altenkirchen folgten die Titel jener Ära: von den Byrds der poetischste aller Dylan-Titel, der legendäre „Mr. Tambourine Man“. Ein Lied, das Barry gerne selbst aufgenommen hätte, aber sein Freund, Byrds-Frontmann Roger McGuinn, hatte es ihm vor der Nase weggeschnappt. Die Byrds wurden damit 1965 auf einen Schlag weltberühmt, und McGuinns in der Szene weltweit bestaunte 12-saitige Rickenbacker-Gitarre begründete den neuen Sound des West-Coast-Folk-Rock. Noch heute spielen Barry und John auf ihren Tourneen ausschließlich auf dieser legendären 12-String.

Barrys eigener Weltruhm sollte nicht lange auf sich warten lassen. Noch im selben Jahr veröffentlichte er „Eve of Destruction“. In einer halben Stunde im Tonstudio aufgenommen, ging der Song in einer Woche um die Welt und in den USA auf Platz eins der Charts. Er passte haargenau in die damalige Zeit der Protestsongs, und das mit Barrys grimmiger, trotziger Reibeisenstimme vorgetragene Weltuntergangs- Menetekel wurde zur Hymne der Anti-Generation: Anti-Vietnamkrieg, Anti-Gewalt, Anti -Rassismus, Anti-Korruption und Bigotterie. Der Chronologie des Konzerts folgend, setzte dieser Song natürlich den ersten Meilenstein ihres Auftritts.
Es folgte Barrys Zeit bei den Mamas + Papas. Bei dieser frühen Hippie-Truppe lebte er eine Weile, natürlich wieder mit allem, was dazu gehörte: Sex‘n Drugs‘n Rock’n Roll. Eines Nachts wurde gewettet, dass John Phillips, genialer Songschreiber und Mastermind der Mamas + Papas, im total zugedröhnten Zustand niemals einen Hit schreiben könne. Phillips nahm an, und in einer Stunde schrieb er „San Francisco“. Gesungen von ihrem gemeinsamen Freund Scott McKenzie, hatte nun auch die Flower-Power-Hippie-Bewegung ihre Hymne. Prompt folgte der Song im Programm.

Musikalischer Höhepunkt wurde ausgerechnet der einzige Song, der nicht aus den 60ern stammte: „Frozen“ von Madonna. Barry hatte ihn leise vernommen, als sein Sohn ihn einst so laut auf den Ohrstöpseln hörte, „dass seine Sonnenbrille auf der Nase mittanzte“. Sound und Text gefielen Barry so gut, dass er ihn selber spielen wollte. Und damit liefen die beiden nun zu musikalischer Höchstform auf. Der begnadete Leadgittarist John York legte ein Solo hin, das die gut 100 Zuhörer in der Stadthalle aus den Sitzen riss. Und Barry drosch so auf die Rhythmusgitarre ein, dass eine Saite riss.
„11 sind noch genug“, rief einer aus dem Publikum. Und Barry hinterher: „In 50 Jahren wird man dieses Lied als Folksong und Madonna als Folksängerin bezeichnen.“

Über zwei Stunden lang folgte Anekdote auf Song und Song auf Anekdote. Die von Witz und Virtuosität der Beiden restlos begeisterte Zuhörerschaft lachte, klatschte und pfiff im Wechsel. Nur mit dem Mitsingen klappte es leider nicht so, wie die Beiden es sich gewünscht hätten. Ob’s an dem Alter lag, das im Schnitt doch deutlich über den 50 lag?

Nach zwei Zugaben folgte der traurige Abschied. Vom Veranstalter, dem Kultur-/Jugendkulturbüro Haus Felsenkeller, gab’s Blumen für Barry, John und deren beiden Frauen, die auf der Tournee als Roadmanager und Begleitpersonal fungieren sowie als Mädchen für alles wohl auch die Rolle der Groupies übernehmen müssen. Und auch Tourmanager Jean-Daniel von Lerber durfte ausnahmsweise mal ins Rampenlicht, weil er nun schon zum x-ten Mal die Tournee so perfekt gemanagt hatte.

Auf die Frage, warum er nicht mehr nach Europa kommen wolle, antwortete Barry: „In zwei Jahren werde ich 80, John ist dann 70. Wir lieben das, was wir tun, außerordentlich und werden wohl bis an unser Ende weiter Musik machen. Aber wenn ich dann eines Tages auf der Bühne tot umfalle, möchte ich gerne, dass das in der Nähe von meinem zu Hause ist.“ Man mag den beiden wünschen, dass es noch lange bis dahin dauern möge und ihnen und uns auch kein „Eve of Destruction“ dazwischen kommt. Roland Flier
       
 
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