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Nachricht vom 08.11.2013
Region
Tabus brechen und miteinander reden
Ein Informationsabend widmete sich dem Thema "Behinderung und sexualisierte Gewalt". Dazu war überwiegend Fachpublikum nach Wissen gekommen. Menschen mit Behinderungen sind sexuellem Missbrauch ausgesetzt, das belegen Zahlen. Fazit: Bei Grenzüberschreitungen und Missbrauch nicht wegschauen sondern offen reden.
Gastgeber Christof Weller (3. von links) vom Hiba mahnte zu offenen Gesprächen und einem guten Zuhören bei dem Thema. Foto: Thorsten LaddaWissen. Das Tabu brechen und darüber sprechen: Das ist der wichtigste Punkt, um sexuellen Missbrauch zu verhindern, falls schon etwas geschehen ist, zu entdecken und zu beenden – auch bei Menschen mit Behinderung. So lautete die Quintessenz des herbstlichen Informationsabends „Auch wir dürfen Nein sagen! Behinderung und sexualisierte Gewalt“ von Hiba, Evangelischer Landjugendakademie und Evangelischem Kirchenkreis im Kuppelsaal der Verbandsgemeinde in Wissen.

Hier hatten Claudia Wienand und Birte Grewing vom Präventionsbüro Ronja aus Westerburg bei ihrem Vortrag gezeigt, dass Menschen mit Behinderung sehr häufig von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Dieter Lichtenthäler vom Weißen Ring machte deutlich, dass er als Ansprechpartner für alle Opfer zur Verfügung steht.
Knapp 20 Menschen kamen in den Kuppelsaal, um sich mit dem Tabuthema auseinanderzusetzen – sämtlich Fachpublikum.

Besonders interessiert waren die Pädagogen an konkreten Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Betroffenen und jugendlichen Tätern. Doch hier mussten die Fachfrauen passen. „Wir arbeiten ausschließlich mit den Opfern“, so Wienand.
Jede zweite Frau mit Behinderung habe in ihrem Leben schon einmal sexualisierte Gewalt erlebt – diese Zahlen einer Studie des Bundesfamilienministeriums von 2012 zitierte Diplom-Sozialpädagogin Claudia Wienand während ihres Vortrags. Dafür gäbe es verschiedene Gründe.
Oft sei die Grenzüberschreitung für den Täter einfacher, da – je nach Behinderung – Tätigkeiten wie Waschen und Anziehen an der Tagesordnung seien. Das bedeute für den Menschen mit Behinderung, dass eine Grenzverletzung nicht so eindeutig spürbar und einzuschätzen sei, so Wienand. Auch der Täter habe es leichter: Durch die subtile Form der Annäherung könne er sich einfach herausreden.
Zudem würde Menschen mit Behinderung, gerade mit geistiger, häufig wenig geglaubt. Sie müssten wissen, dass sie Nein sagen dürfen. Das Bauchgefühl gäbe hier eine gute Richtung vor: „Wenn sich etwas komisch anfühlt, ist es auch nicht in Ordnung.“

Aktives Zuhören, der oder dem Betroffenen unbedingt glauben, – „Die wenigsten Menschen denken sich so etwas aus“, so Wienand – Ruhe bewahren und sich geschulte Hilfe suchen seien die ersten wichtigen Maßnahmen, wenn sexualisierte Gewalt entdeckt würde.

Wie schwer der richtige Umgang mit sexuellem Missbrauch für alle Beteiligten ist, hatte Christof Weller, Gastgeber und Vorstandsmitglied des Hiba, zuvor geschildert. Als Pflegevater war er selbst bereits persönlich mit dem Thema konfrontiert: Eine Pflegetochter erlebte sexualisierte Gewalt in der Werkstatt, in der sie arbeitete. „Wir haben alle an einen Tisch geholt – den jungen Mann, dessen Eltern, die Mitarbeiter der Werkstatt – und das so geklärt. Doch das war eine hoch emotionale Angelegenheit“, so Weller.

Dinge ansprechen, das Tabu brechen: Das sei der richtige Weg, um sexualisierter Gewalt vorzubeugen. Denn Menschen mit Behinderung durchlebten in der Regel eine völlig normale sexuelle Entwicklung und hätten ein ganz normales sexuelles Bedürfnis wie jeder andere Mensch auch, machte Birte Grewing deutlich. „Gerade Menschen mit geistiger Beeinträchtigung werden oft wie Kinder wahrgenommen und behandelt“, so Grewing. Dadurch würde ihnen ein Recht auf Sexualität häufig abgesprochen. Doch auch für Menschen mit Behinderung gelte Artikel 3 des Grundgesetzes: Alle Menschen sind gleich.

Diesen Grundsatz verfolgt der Weiße Ring seit seiner Gründung 1976. Dieter Lichtenthäler, der Ansprechpartner für den gesamten Raum Altenkirchen, betonte, dass jedes Opfer hier materielle, beratende und juristische Unterstützung bekäme. Dafür steht den ehrenamtlich Engagierten ein starkes Netzwerk aus Anwälten, Therapeuten, und Behörden zur Verfügung.

Zusatz: Das Präventionsbüro Ronja ist Teil des Notrufs Frauen gegen Gewalt e.V. in Westerburg und unter der Telefonnummer 02663/911823 zu erreichen. Dieter Lichtenthäler vom Weißen Ring hat die Telefonnummer 02741/935216.
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