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Nachricht vom 10.01.2015
Region
Nur mit dem Koffer in der Hand und der Kleidung auf dem Leib
Die Zahl der Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten steigt, im Kreis Altenkirchen wird mit weiteren Neuzugängen gerechnet. Die Unterbringung und vor alle die Betreuung stellt große Herausforderungen an Gemeinde und den Kreis. Bündnis 90/Die Grünen im Kreis stellten eine Anfrage an den Landrat, und teilen die Ergebnisse der Öffentlichkeit mit. Festzuhalten ist: die schulfpflichtigen Kinder brauchen oftmals intensive Hilfe ebenso die Menschen, die grausamen Gewaltattacken entkommen sind.
Alberto (7) ist bereits in Deutschland geboren und hilft den Kleinen mit Dolmetsch-Diensten. Rouy (5) und Rita (3) sind erst vor 6 Monaten aus Damaskus gekommen, haben sich inzwischen im Kindergarten gut eingelebt. Foto: prKreis Altenkirchen. Im abgelaufenen Jahr 2014 hat der Landkreis Altenkirchen bis Mitte Dezember 286 Flüchtlinge, Asylbewerberinnen und -bewerber aufgenommen. Insgesamt sind zurzeit 522 Erwachsene und Kinder im Landkreis untergebracht, wie eine Anfrage der Kreis-Grünen an Landrat Michael Lieber ergab. Für 2015 rechnet der Landkreis mit bis zu 470 Neuzugängen.

„Uns Grüne interessiert besonders: Wie werden die Flüchtlinge, Asylbewerberinnen und -bewerber untergebracht, versorgt und betreut, welche Probleme stellen sich, im Besonderen bei der Verteilung auf die Verbandsgemeinden, welchen Zugang gibt es für sie zu Sprachkursen der deutschen Sprache, zu Kitas und Schulen für die Kinder und zu örtlichen Vereinen?“ Dies sind wichtige Fragen, so Dr. Rudolf Beyer, Mitglied des Kreisvorstandes.

Nur mit dem Koffer in der Hand – wenn überhaupt – und ihrer Kleidung auf dem Leib kommen sie, Einzelpersonen und Familien mit Kindern, aus den verschiedenen Krisengebieten der Welt bei uns an. Allem voran aus Afghanistan, aber auch aus Syrien, Serbien, dem Kosovo, aus dem Iran und dem Irak, insgesamt aus 23 Ländern.

Obwohl es den Mitarbeitern der Kreisverwaltung und der Gemeindeverwaltungen mit großem Engagement bis heute gelungen ist, ihre neuen Gäste im Landkreis weitgehend in Einzelunterkünften und Wohnungen unterzubringen, stehen die Neuankömmlinge nun bei uns vor dem Nichts: „Sie gehörten in ihren Heimatländern häufig dem Mittelstand an und hatten ein auskömmliches Leben, vielleicht ohne Luxus, aber auch ohne Einsamkeit. Bei uns im neuen Umfeld verstehen sie die Sprache nicht, häufig kennen sie nicht einmal die Schriftzeichen, die Kultur ist ihnen fremd, die Verwaltungsorganisation, die sie mit allem zum Leben Notwendigen ausstattet, erscheint ihnen undurchsichtig, Freunde und den weiteren Familienkreis haben sie zurücklassen müssen und bangen nun darum, ob diese überleben werden. Wie fühlt man sich in dieser Lage? Das Leben ist gerettet, aber wie geht es nun weiter?“, diese Fragen sind Dr. Beyer aus seiner bisherigen jahrelangen ehrenamtlichen Betreuung von Familien aus Syrien gut bekannt.

Zur Situation in der neuen Wohnumgebung führt der Landkreis lediglich aus: Der Verwaltung sind keine Probleme mit der unmittelbaren Nachbarschaft bekannt. Viele Betreuer von Flüchtlingen wissen da mehr: Die Nachbarn der neuen Wohnumgebung verhalten sich erfreulicherweise überwiegend offen, anteilnehmend und wissbegierig darüber, wie das Schicksal den neuen Nachbarn mitgespielt und sie zu ihnen geführt hat. Hilfsangebote und Geschenke wie zum Beispiel Spielsachen für die Kinder oder gebrauchte Möbel sind nicht selten. Ein Hauswirt erklärt sich spontan bereit: „Wenn Sie ´mal zur Behörde in die Kreisstadt müssen, sagen Sie mir Bescheid, ich fahre Sie!“

Der Grünen-Politiker: „Diese vorbildliche Haltung ist Gott sei Dank kein Einzelfall. In vielen Orten des Landkreises erklären sich Menschen bereit, ehrenamtlich mit anzupacken und zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird.“ Der Landkreis führt dazu nüchtern aus: Zurzeit startet die Caritas in Betzdorf ein neues Projekt. Hierbei handelt es sich um so genannte Willkommenspaten. Ebenfalls wird in einigen Kirchengemeinden über ähnliche Projekte diskutiert.
Die Kapazität des Personals in der Kreisverwaltung und den Verbandsgemeindeverwaltungen für persönliche Betreuungsdienste stößt an ihre Grenzen, wie der Landkreis feststellt. Hier Verbesserungen zu erreichen, scheint sich schwierig zu gestalten.

Kreistagsabgeordneter und Fraktionssprecher der Grünen, Gerd Dittmann: „Die Verwaltungen sollten erkennen, dass eine beträchtliche Anzahl an einsatzwilligen und -fähigen Menschen an vielen Orten des Landkreises bereit ist, in die Bresche zu springen. Mancherorts haben sich Initiativen gebildet, so zum Beispiel die von Wolfgang Conzendorf ins Leben gerufene Flüchtlingshilfe Flammersfeld (fluechtlingshilfe-flammersfeld.de) mit zurzeit bereits 12 Paten.“
„Hier sollte ein kreisweit koordiniertes Netzwerk von ehrenamtlichen Paten geknüpft und gefördert werden. Ein entsprechendes Konzept habe ich dem Landkreis bereits im Dezember vorgelegt.“, so Dr. Beyer weiter.

„Die Kinder der Flüchtlinge bedürfen einer besonderen Betreuung.“ so Dittmann und Beyer. Für noch nicht schulpflichtige Kinder stehen nach Aussage von Landrat Lieber ausreichend viele Kita-Plätze zur Verfügung. Wie viele das Angebot auch tatsächlich nutzen, ist dem Landkreis nicht bekannt. Die Kleinen tun sich mit dem Erlernen einer neuen Sprache in betreuten Kindergruppen erfahrungsgemäß relativ leicht und überraschen ihre Eltern häufig mit ihren erstaunlichen Lernfortschritten.

Schwieriger stellt sich das Sprachproblem für schulpflichtige Kinder dar. Sie müssen dem Fachunterricht (Mathematik, Erdkunde, Biologie usw.) aus dem Stand folgen und können doch die Sprache nicht. Wie soll das gehen? „Die betroffenen Schulen tun ihr Bestes, richten zusätzliche Deutschstunden für die betroffenen Kinder ein und gehen dabei bis an ihre Belastungsgrenzen. Es ist allerdings wünschenswert, zusätzlich qualifizierte Lehrkräfte für den Sprachunterricht "Deutsch als Zweitsprache" einzustellen“, sagt Landtagsabgeordnete Anna Neuhof. Zu dieser Problematik schweigt sich der Landkreis leider aus.
Für die prekäre Situation an mehreren Schulen im Landkreis könnte sich jedoch kurzfristig eine Lösung abzeichnen: Freundliche Sponsoren aus dem Kreisgebiet konnten für namhafte Spenden gewonnen werden. Sie stellen die Finanzierung von zusätzlichen, auch außerschulischen Lehrkräften sicher, die aus dem Umfeld der Sprach- und Integrationsschulen für Ausländer gewonnen werden und mit kompakten Intensivsprachkursen die Schulen unterstützen und entlasten können. Doris John, Leiterin der Realschule plus in Altenkirchen: „Auf diese Weise haben die geförderten Kinder eine reelle Chance, schulisch erfolgreich Fuß zu fassen.“

Auf die Frage, ob Kinder von Flüchtlingen Zugang zu den örtlichen Vereinen, insbesondere Sportvereinen haben und ob Vereinsbeiträge übernommen werden können, verweist der Landkreis auf § 6 Asylbewerberleistungsgesetz. „Dieser Hinweis lässt den Eindruck entstehen, dass die Welt in diesem Punkt in Ordnung ist. Das ist sie aber ganz und gar nicht: Denn der Paragraf enthält lediglich eine Kann-Regelung, die auch noch mehrfach eingeschränkt ist, und schließt Leistungen für Jugendliche ab 14 Jahren gänzlich aus. Aber gerade für sie wäre es im problematischen Pubertätsalter wichtig, in gleichaltrigen Gruppen integriert zu sein“, so Kreistagsabgeordnete Elisabeth Emmert.

Sprachkurse für Erwachsene werden nach Aussagen des Landkreises momentan bereits angeboten, so etwa in Hemmelzen, Betzdorf, Flammersfeld und Niederfischbach. „Weitere sind für Altenkirchen, Daaden, Hamm und Wissen geplant und werden in nächster Zeit beginnen. Sie stehen allen Flüchtlingen und Asylbewerbern offen“, so Landrat Lieber.

Der Grünen-Kreisvorstand und die -Kreistagsfraktion fordern, dass im Zuge der steigenden Zahl von Flüchtlingen besonders aus Gebieten mit kriegerischen Auseinandersetzungen, die auch im Kreis Altenkirchen untergebracht sind und werden, in Zukunft zu den grundlegenden Aufgaben der Unterbringung, Versorgung, Betreuung und der Möglichkeit, die deutsche Sprache zu erlernen, Lösungsansätze entwickelt werden müssen um den betroffenen Menschen auch möglichst schnell helfen zu können. Um sich willkommen zu fühlen, bedarf es nicht nur ehrenamtlich engagierter Menschen, sondern auch festzulegende integrationsfördernde Standards der Verwaltungen.

Besonders die steigende Zahl schutzbedürftiger Personen unter den Flüchtlingen, Asylbewerberinnen und -bewerbern, die meist Opfer von Gewalttaten waren, werden in der Zukunft wegen einer erforderlichen psychologischen Betreuung auf Grund traumatischer Erfahrungen noch weitere zu lösende Anforderungen an die Verwaltungen und die Kommunalpolitiker stellen.
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