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Nachricht vom 22.03.2015
Region
Dient das Freihandelsabkommen TTIP nur den Multi-Konzernen?
TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und USA, sei zum jetzigen Zeitpunkt intransparent und bevorzuge Konzerne auf Kosten der Bürger. Das war die einhellige Meinung auf einer Veranstaltung der Grünen-Landtagsabgeordneten Anna Neuhof in Betzdorf. Sie hatte Landwirtschaftsministerin Ulrike Höfken und den landwirtschaftspolitischen Sprecher der Landtagsfraktion, Dietmar Johnen, nach Betzdorf eingeladen. Den breiten Konsens störte ein später Gast.
Diskussion zum Freihandelsabkommen, von links: MdL Anna Neuhof, Ministerin Ulrike Höfken und Dietmar Johnen. Foto: Daniel PirkerBetzdorf. Der Begriff klingt technokratisch und wenig greifbar: TTIP. Das Ziel, ein Freihandelsabkommen zwischen USA und EU, scheint weit entfernt für den normalen Bürger. Dabei sei jede Ebene, jedes kommunale Gremium von den Folgen des Handeslabkommen betroffen, stellte die Landswirtschaftsministerin von Rheinland-Pfalz, Ulrike Höfken, im Betzdorfer Evangelischen Gemeindehaus klar.

Es gehe nicht nur um Marktzugänge, Zölle oder abstrakte Regeln. TTIP würde auch Einfluss nehmen auf die Daseinsvorsorge wie Abfallverwertung oder Wasserversorgung, letztlich die Souveränität der Entscheidungsträger vor Ort – und zwar nicht zu deren Gunsten.

Insgesamt ließ das Urteil der Redner, aber auch der Gäste, keinen Zweifel übrig: Nach derzeitigem Stand schade TTIP. Der grüne Kirchener Kommunalpolitiker Kurt Möller kann in dem Abkommen nur „Profitmaximierung auf Kosten der restlichen Welt“ sehen. Und für das örtliche Grünen-Urgestein Horst Vetter wäre TTIP „der komplette Sieg des Kapitalismus über die Interessen der Menschen.“

Oder wie es Dietmar Johnen, der landwirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im rheinland-pfälzischen Landtag, ausdrückte: „ein Konzernabkommen, kein Menschenabkommen.“
Grundsätzlich wollte die Landesministerin Höfken ein Handelsabkommen allerdings nicht ablehnen. Man hätte ja nichts gegen einen ordentlichen Vertrag, aber die bisherige Entwicklung lasse wenig hoffen. Unterschriften einer Gegen-Kampagne und klare Umfrage-Mehrheiten gegen TTIP hätten nicht zu spürbaren Änderungen geführt.

Besonders störte sich Höfken an der Verbreitung von Falsch-Informationen. Beispielsweise hätten der Bundesverband der Deutschen Industrie und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ursprünglich ein jährliches Einnahmeplus dank TTIP von rund 100 Millionen Euro prognostiziert. Später hätten sie dann eingestehen müssen, dass mit diesen Einnahmen nicht jährlich, sondern erst in zehn Jahren zu rechnen sei. Generell seien die wirtschaftlichen Effekte zweifelhaft. Nach einer Untersuchung der US-amerikanischen Tufts University zerstöre TTIP sogar Arbeitsplätze, nämlich rund 600.000 in der EU und 134.000 in Deutschland.

Des Weiteren stieß Höfken die Intransparenz der Verhandlungen auf: „Alles war ja ganz geheim“, sagte sie. Erst im Oktober des vergangenen Jahres sei das sogenannte Mandat veröffentlicht worden. Und das nur weil vorher Inhalte durchgesickert waren. Dietmar Johnen erzählte von einem grünen Kollegen im EU-Parlament, der als Abgeordneter zwar Einsicht in die entsprechenden Dokumente hätte. Lesen dürfe er sie allerdings nur in einem abgeschotteten Raum. Nichts dürfe nach außen dringen. Abgesehen davon, dass die Texte in kaum verständlichen Juristenenglisch verfasst sei, wie Höfken ergänzte. Sie fühle sich nicht in der Lage, die Inhalte zu erfassen.

Unabhängig von den Zugängen zu den Vorlagen könnten jetzt schon negative Folgen abgesehen werden, auch für die Politik vor Ort. Beispiel Medikamentenrückstände in Kläranlagen: Räte seien aufgrund des in TTIP vorgesehen Investorenschutzes gezwungen, teure Gutachten zu erstellen, um mögliche Defizite für die Hersteller von Medikamenten zu berechnen.

Grundsätzlich prangerte die Ministerin die vorgesehen Schiedsgerichte an. Durch sie entstünde eine Paralleljustiz, die gar verfassungswidrig sei. Große Kanzleien setzten dann Investoreninteressen gegenüber Regierungen durch. Dies verursache enorme Kosten und Druck, weil Staaten auf hohe Strafzahlungen verklagt werden könnten. „Wer Angst haben muss auf solch hohe Summen verklagt zu werden, ist als Gesetzgeber nicht mehr frei in seiner Entscheidung“, warnte Höfken.

Sorge bereitet ihr ebenfalls die Aufweichung von Herkunftsangaben auf Produkten. Dies könne insgesamt die Herstellungsstandards senken. Damit zusammenhängend: die Risiken von Lebensmitteln ausgehen können. In der EU müsse die Unbedenklichkeit vor Marktstart nachgewiesen werden, in den USA haften Hersteller erst, wenn es „etwas schief“ gehe. Und außerdem: „Die haben null Ahnung, was in ihrer Umwelt passiert.“ Die Systeme seien einfach nicht vergleichbar und somit nicht aufeinander übertragbar.

Dietmar Johnen stellte die Absichten von TTIP grundsätzlich infrage: Bereits heute stellten zum Beispiel die Zölle zwischen den USA und der EU kaum eine Hürde dar für funktionierende Handelsbeziehungen. Sie würde immerhin nur drei bis fünf Prozent ausmachen. Daneben scheinen nach seiner Sichtweise die Bedingungen für die Autoindustrie bereits jetzt ausreichen: „Heute werden auch schon Autos in die USA transportiert.“
Und andere Handelsabkommen, die seit längerem mit der USA bestehen, hätten eher Nachteile als Vorteile für die Partnerländer gebracht. NAFTA, ein entsprechender Vertrag, hätte in Mexiko den Niedriglohnsektor gestärkt und in den USA die Arbeitslosigkeit anwachsen lassen.

Auch störte sich Johnen an einer weltweiten Ausschreibungspflicht. Ein kleiner Betrieb hätte dann gegen einen großen Konzern kaum Chancen mehr sich durchzusetzen. Johnen sagte außerdem voraus, dass man die Auswirkungen erst in zehn bis 15 Jahren spüren werde. Und Höfken befürchtete, die Gefahren von TTIP werde von den Bürgern zu spät wahrgenommen.

Dem wollte ein später Gast, der so gar nicht in das links-alternative Zuschauerspektrum der Veranstaltung passte, nicht widersprechen. Georg Groß vom Bauernverband des AK-Kreises, begrüßte es, dass nicht einfach „alles hingenommen“ werde. Aber der streitbare Landwirt setzte dann doch den ein oder anderen Contra-Punkt. Beispiel Standards, deren Abschwächung die Grünen ja fürchten: Teilweise seien schon die derzeitigen Standards von Umweltverbänden aufgedrängt worden.

Er outete sich außerdem als Fan von fairen Wettbewerbsbedingungen und kritisierte, wenn TTIP an „Milliarden hochgerechnet“ werde. Er stellte klar: „Insgesamt brauchen wir das.“ Groß störte sich auch nicht daran, wenn das Handelsabkommen so mancher Branche einheizen würde. Die Weinbauern könnten zum Beispiel auch „ein bisschen abgeben“.

Dietmar Johnen hatte zuvor vor den Gefahren für die Weinbranche gewarnt, die TTIP und eine Übertragung der dortigen Herkunftsangaben-Regeln mit sich bringen könnte. Denn: „In den USA können Weine heißen, wie sie wollen.“ (ddp)
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