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Nachricht vom 24.05.2015
Kultur
„NachtSchicht“ war Geschichtsstunde und Unterhaltung der Superlative
Aktualisiert. Spannend und demütig zugleich bereitete die diesjährige „NachtSchicht“ dunkle Zeiten Wissens auf. Der Spagat zwischen Geschichtsaufbereitung und Unterhaltung gelang mit Bravour. Zeitzeugenberichte oder eine Feuershow waren nur einige Programmpunkte, die in den Bann zogen.
Sie gestalteten das Finale einer \"NachtSchicht\", die noch lange in Erinnerung bleiben wird: Die \"Firedancer\" begeisterten mit ihrer Feuershow. Fotos: Daniel PirkerWissen. An dieser „NachtSchicht“ im Wissener Kulturwerk werden sich ähnliche Veranstaltungen zukünftig messen müssen – sofern es sie in einer solchen Ausrichtung überhaupt gibt. Allein der Anspruch dieser fünften Auflage der Eventreihe war hoch angesetzt, ein Scheitern nicht ausgeschlossen: Die Wissener wagten einen Spagat zwischen umfangreich-demütiger Geschichtsaufbereitung und oft atemberaubenden Unterhaltungsdarbietungen.

Moderator Berno Neuhoff kündigte nicht zu viel in seiner Begrüßung an. „Sie erleben einen spannenden und einfühlsamen Abend“, sagte der Vorsitzende des Fördervereins des Kulturwerks und Leiter des Arbeitskreises „Wissener eigenART“. Und tatsächlich: Keiner der über 600 Gäste wird in den rund viereinhalb Stunden inklusive Pausen ungeduldig auf die Uhr geschaut haben.

Dabei widmete sich ein umfangreicher Teil der Veranstaltung ernsten Themen, nämlich der Zwangsarbeit im Walzwerk während der Nazizeit, der Bombenangriffe auf Wissen und dem Kriegsende.
Dazu kamen etliche Zeitzeugen aus einem Gruppengespräch mit Schülern des Kopernikus-Gymnasiums zu Wort. In Filmausschnitten beschrieben Senioren, die damals noch Kinder oder Jugendliche waren, lebhaft ihre Erfahrungen. Die Aufnahmen hatten vergangenen Monat stattgefunden auf Initiative der „Wissener eigenART“ und des Kulturwerks. Alle Sequenzen sollen einmal in einem Multimediazentrum zu sehen sein, der „Blechbox“.

Die auf der „NachtSchicht“ gezeigten Ausschnitte gaben bereits einen lebhaften Eindruck der Geschehnisse, wie sie die Zeitzeugen erlebt hatten. Viele der emotionalen Aussagen werden von großem Wert für die Nachwelt sein, liefern Fotos und Fakten doch immer nur einen Teil zur Geschichtsaufbereitung. Am besten beschreibt dies das Fazit einer Schülerin, die in einem der Filme zu Wort kommt: „Teilweise hatte ich Gänsehaut.“
Kein Wunder angesichts dessen, was die Senioren zu erzählen hatten. Nur einige Zitate, die tief bewegten: „Ganz Wissen brannte.“ Oder: "Jeder musste sich seine Toten selbst raus suchen.“ Kaum vorstellbar, wie groß die Angst gewesen sein muss, der die damaligen Kinder und Jugendlichen in den Luftschutzkellern während dem Bombenangriff am 11. März 1945 ausgesetzt gewesen sein müssen. Aber auch das wurde nicht von den Zeitzeugen verschwiegen.

Offen gingen die Senioren ebenfalls mit ihren Erfahrungen mit den Zwangsarbeiterin um. Lager wurden auf der Bornscheidt und am Alserberg unterhalten. Kontakte zu den 1500 Zwangsarbeiterin aus halb Europa, die ab 1940 im Hütten- und Walzwerk arbeiten mussten, gab es einige. Auch weil viele von ihnen zusätzlich ihre Dienste in Familien und Betrieben verrichteten. Und anscheinend stellte diese Arbeit eine attraktive Alternative zum Schuften im Werk dar laut den Zeitzeugen. Immerhin hätten die oft ausgehungerten Arbeiter aus zum Beispiel Russland bei den Familien zu essen bekommen. Trotz angedrohten Repressalien der Nazis und dem dauernden Risiko von einem „braunen“ Nachbarn denunziert zu werden, entstanden enge Beziehungen, teils Freundschaften oder sogar Beziehungen, die später in eine deutsch-französische Heirat münden sollten.

Der Heimat-Militärhistoriker Ralf-Anton Schäfer unterfütterte die Zeitzeugenaussagen mit spannenden Fakten und Bildern rund um die Zwangsarbeit und die Kämpfe entlang der Sieg, die noch während dem Kriegsende ausgefochten worden waren. Anschaulich berichtete Schäfer von harten Kämpfen zwischen der amerikanischen und deutschen Armee, die viele Opfer auf beiden Seiten gefordert hatten. "Diese Soldaten waren bis auf die letzten Patronen Hitler verpflichtet“, erklärte der Heimatforscher das letzte Aufbäumen von Hitlers Militär. Bezeichnend eine groteske Inszenierung der Nazis für Generalfeldmarschall Model. Für den Kriegsverbrecher, der Ende März 1945 in Birken-Honigsessen und Wissen weilte, wurde extra das Wissener Postamt gesprengt.

Ein weiteres Beispiel des braunen Wahnsinns erläuterte Schäfer anhand des Kommandanten des Zwangsarbeiterlagers, Kugel. Nach der Evakuierung des Lagers behielt er rund 50 Kriegsgefangene ein, um mit ihnen die Front um Wissen auszubauen.
Mit Landrat Michael Lieber und Bürgermeister Michael Wagener wurden geschickt zwei regionale Volksvertreter in das Programm integriert.

Lieber las Gedichte vor, die sich mit Tod, Krieg oder Hoffnung auseinandersetzten. Seine Darbietung war in einem bewegenden Auftritt des Projektchors „Der Geheime Küchenchor“ eingebettet. Die Musiker führten "ΑΣΜΑ ΑΣΜΑΤΩΝ – das „Lied der Lieder" aus dem Balladenzyklus „Mauthausen“ auf. Die Vertonung stammt vom griechischen Komponisten Mikis Theodorakis, der selbst Opfer von rechter Verfolgung im Zweiten Weltkrieg war.

Wageners Leitsatz aus seiner Ansprache kann auch als Motto für den gesamten Abend im Kulturwerk verstanden werden: „Die Vergangenheit können wir nicht ändern, aber wir können unsere Lehren für die Zukunft ziehen.“ Im Anschluss an seine Rede warfen die Gäste 600 Steine in einen Drahtkorb ein. Die Gabione soll auf dem Gelände des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers auf der Bornscheidt aufgestellt werden – als Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und Mahnung für die Zukunft.

Einen Kontrapunkt zur Geschichtsaufbereitung setzten verschiedene Tänze und musikalische Darbietungen während der „NachtSchicht“. So begeisterten die Tänzerinnen des Tanzstudios „Tanz(t)raum Balé" aus Wissen-Köttingen auf ganzer Linie.
Ein faszinierenden Spiel mit LED-Lichtern auf ihren schwarzen Anzügen boten außerdem die Tänzerinnen der Gruppe „Revolution“.

Ein Finale der Superlative lieferte schließlich die Formation „Firedancer“. In einer modernen Feuershow verschmolzen Industriekultur, Feuer, und Rock-Musik zu einem funkensprühenden Gesamterlebnis. Es brannten Fackel, Stäbe oder Hula-Hoops. Sie beendeten einen kurzweiligen und oft nachdenklichen Abend, der auf vielfältige Weise Licht ins Dunkle brachte.(ddp)



       
       
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