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Nachricht vom 01.03.2016
Politik
Was macht die EU sexy?
"Europas-Krisen—Chancen für die europäische Integration" unter diesem Titel diskutierte die Europa-Union im Kreis Altenkirchen am Samstag, den 27. Februar in der Alten Post in Wissen mit Dr. Martin Reuber vom Politischen Bildungsforum Nordrhein-Westfalen der Konrad-Adenauer Stiftung über aktuelle und historische Herausforderungen.
Dr. Martin Reuber Foto: VeranstalterWissen. Vor Beginn der Veranstaltung bestätigte die Mitgliederversammlung den bisherigen Vorstand der Europa-Union einstimmig im Amt. Simon Bäumer aus Betzdorf kommt als weiterer Beisitzer zum Vorstands-Team hinzu. Im Oktober plant die Europa-Union eine mehrtägige Brüssel-Reise mit Kulturprogramm und Gesprächen bei Europäischer Kommission und Rat der EU. Auch Nicht-Mitglieder sind willkommen.

Mit einer scharfen Analyse der aktuellen Lage der Europäischen Union und der Spannung zwischen dem Mehrwert weiter gehender Integration einerseits und gegenläufiger Tendenzen auf Seiten vieler Mitgliedsländer legte Dr. Martin Reuber vom Politischen Bildungsforum Nordrhein-Westfalen der Konrad-Adenauer Stiftung den Grund für eine angeregte Diskussion. Dabei spannte er einen weiten Bogen von der Perspektive wichtiger Gründungsfiguren der europäischen Integration wie Konrad Adenauer und Walter Hallstein, wesentlichen Grundsätzen der europäischen Verträge, über Angela Merkels Konzept der Unionsmethode, nach der der Zusammenarbeit der Regierungen eine ähnlich wichtige Rolle zukommt wie den institutionell verankerten Prozessen überstaatlicher Entscheidungsfindung, bis hin zu den jüngsten Entscheidungen der europäischen Staats- und Regierungschefs zum Verbleib Großbritanniens in der EU und dem bevorstehenden Gipfel zur Flüchtlingsfrage. Dabei gelang es Reuber, analytische Tiefe und Verständlichkeit exzellent miteinander zu verbinden.

Die heutige Kernfrage sei nicht die Alternative zwischen mehr oder weniger Integration. Vielmehr müsse definiert werden, welche Art der Integration und welches Europa man wolle, so Reuber. Der Präsident der Europäischen Kommission habe dies damit umschrieben, dass die EU in den großen Fragen—z.B. Währungsunion, Flüchtlinge, Brexit—stark agieren, sich bei den vielen weniger großen Fragen dafür aber zurückhalten solle. Reuber sparte nicht mit kritischen Fragen hinsichtlich der Signale der Staats- und Regierungschefs beim Thema Brexit—dem denkbaren Ausscheiden Großbritanniens aus der EU. Hier hätten die Verlautbarungen aus Brüssel den Eindruck erweckt, als wolle man wichtige Ziele der Verträge relativieren. Gleichzeitig hob er hervor, dass die Instrumente, mit denen nationale Parlamente—etwa Bundestag und Bundesrat im Verein mit anderen nationalen Parlamenten—europäische Gesetzesvorschläge schon im Frühstadium formell in Frage stellen können, bisher zumindest von deutscher Seite kaum genutzt worden seien. Insofern sei es mit der Grundsatzkritik an „Brüssel", wenn es darauf ankomme, gar nicht so weit her.

Gleichwohl komme derzeit vermehrt zum Ausdruck, dass der von Walter Hallstein beschriebene Übergang von einem klassischen europäischen System des Gleichgewichts der Kräfte unter den europäischen Staaten hin zu einem rechtlich verankerten europäischen politischen System mit einer Staatlichkeit eigener Art in den Institutionen der Europäischen Union vielfach in Frage gestellt werde. Dafür sei das Referendum in Großbritannien, das wahrscheinlich am 23. Juni stattfinden werde nur ein Anzeichen unter vielen. Schon die berühmte Rede von Angela Merkel am Europa-Kolleg in Brügge im November 2010, in der sie ihr Konzept einer Unionsmethode der auf den supranationalen europäischen Institutionen beruhenden Gemeinschaftsmethode gegenüberstellte zielte in diese Richtung. Aber selbst die Unionsmethode und deren grundlegendes Prinzip, nach dem die nationalen Regierungen untereinander solidarisch und gleichgerichtet auf gemeinsam definierte Ziele hin agieren sollen, werde derzeit in Frage gestellt, so Reuber. Beispiele dafür seien die Wiener Flüchtlingskonferenz der vergangenen Woche, die ohne bzw. gegen Griechenland organisiert worden sei. Auch die sogenannten Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) agierten derzeit nicht im Einklang mit der Unionsmethode. Diese Methode habe gleichwohl ein wichtiges positives Potenzial, wenn man etwa an die Konzepte der Energie-Union oder einer Digital-Union denke, oder an die Bewältigung des Flüchtlingsproblems. Änliches gelte auch für die Wirtschafts- und Währungsunion.

„Was macht die EU sexy?", sei darum in Anlehnung an den ehemaligen Berliner Bürgermeister Wowereit eine wichtige Frage. Natürlich gebe es Erfolge und beispielsweise auch beim Thema Digitalunion große Vorteile für den einzelnen EU-Bürger. Aber nicht zuletzt die Komplexität der Fragen—"der Teufel steckt im Detail"—behindere eine positivere Wahrnehmung der Europäischen Union. Die klassische Begründung der Notwendigkeit der europäischen Integration mit ihrer friedensstiftenden Wirkung trete heute wieder stärker ins Bewusstsein. So habe der kroatische Außenminister erst kürzlich festgestellt: „Ohne die Europäische Union wäre heute längst wieder Krieg auf dem Balkan" , zitierte Reuber.

In der Diskussion wurde deutlich, dass nahezu alle bedeutenden aktuellen Herausforderungen—Instabilität in der EU-Nachbarschaft, Flüchtlinge, digitale Souveränität, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung—rein nationale Lösungen ohne zumindest eine enge europäische Kooperation in eine Sackgasse führen würden. Auch scheiterten Fortschritte in der Bewältigung der Flüchtlingssituation nicht etwa an Brüssel, sondern an den Regierungen von Mitgliedsländern. Die in den kommenden Wochen anstehenden Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel würden dazu Entscheidungen von historischer Trageweite treffen müssen. Dass Deutschland hier und in anderen Feldern effektiv eine Führungsaufgabe zufalle, sei eine Tatsache, meinte Reuber. Die Ausübung dieser Führung sei allerdings sehr schwierig. Eventuelle Rückschritte in der Integration seien gerade für junge Menschen ein Schreckensszenario, unterstrich eine junge Teilnehmerin. Für junge Menschen sei Europa ein offener Raum für persönliche und berufliche Entfaltung. Wenn die Schlagbäume auch nur für einen Moment lang zurückkommen würden, werde dies zu heftigen Reaktionen gerade der jungen Generation führen. Vielleicht könne diese Entwicklung daher auch einen heilsamen Schock bedeuten.

2016 führt die Europa-Union erneut den Europa-Wettbewerb für Schüler im Kreis Altenkirchen durch. Im Oktober plant die Europa-Union eine mehrtägige Brüssel-Reise mit Kulturprogramm und Gesprächen bei Europäischer Kommission und Rat der EU. Auch Nicht-Mitglieder sind willkommen. Details dazu werden in den kommenden Wochen bekanntgegeben. Daneben soll es 2016 gemeinsam mit dem Marienthaler Forum eine Veranstaltung zur Flüchtlingssituation in Europa geben.

Bei der Mitgliederversammlung vor der Diskussionsveranstaltung am 27. Februar wurde der bisherige Vorstand der Europa-Union einstimmig bestätigt, Simon Bäumer aus Betzdorf kommt als zusätzlicher Beisitzer hinzu.

Vorsitzender Markus Schulte, Alsdorf,
2. Vorsitzender Jens Wöllner, Wissen
Geschäftsführer Arnim Hammann, Wissen
Schatzmeister Dirk Klein, Daaden
Beisitzer Meike Kilian, Alsdorf
Simon Bäumer, Betzdorf
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