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Nachricht vom 15.04.2009
Region
Der kürzeste Weg zur Pilgerurkunde: Jakobsweg für Anfänger
Der "Camino" zur Pilgerurkunde in Santiago de Compostela ist mindestens 100 Kilometer lang - das grüne Nordspanien präsentiert sich dem Wanderer als eine Mischung aus Westerwald und Irland. Auch für den "Schnupper-Pilger", der nicht vier bis sechs Wochen Zeit hat.
Von Peter Messner

Einmal den Jakobsweg durch Nordspanien pilgern - auch einfach mal weg sein. Für viele der Millionen deutscher Fans des Kerkeling-Buches bleibt der Traum von der eigenen Pilgerreise schon mangels Zeit ein frommer Wunsch. Vier bis sechs Wochen frei machen - das erfordert Urlaubsdisziplin und mindestens ein Jahr Vorausplanung - selbst wenn die Familie, der Chef und der Alltag mitspielen. Doch zumindest ein eindrucksvolles Schnupper-Pilgern kann sich jeder ermöglichen und damit dem Wandern auf Kerkelings Spuren näher kommen. Als Pilger in Santiago de Compostela werden diejenigen anerkannt, die zumindest die letzten 100 Kilometer des Camino zu Fuß oder 200 Kilometer mit dem Fahrrad gepilgert sind. Die Urkunde des Pilgerbüros ist der Beleg für die Mühen, die man in rund einer Woche bewältigen kann.
Klassischer Start des kürzesten Weges zur Pilgerurkunde ist im galizischen Sarria, rund 115 Kilometer vor Santiago. Von hier aus ist die Strecke durch uralte Hohlwege und knorrige Eichenwälder in fünf bis sechs Etappen auch für wenig geübte Wanderer zu bewältigen. Es gibt ausreichende Übernachtungs-Möglichkeiten in den Pilgerherbergen oder in kleinen Hotels in den Orten am Rande des Jakobsweges.
Die uralte keltische Provinz Galizien präsentiert sich dem Reisenden ohne große klimatische oder geographische Anforderungen. Der Weg ist hervorragend ausgeschildert, führt durch eine herrlich grüne Mittelgebirgs-Landschaft, die an die Eifel oder den Westerwald mit irischen Einsprengseln erinnert. Glühende Hitze ist der Landschaft, in der es zu jeder Jahreszeit auch regnen kann, unbekannt. Die Feld- und Waldwege führen durch Eichen- und später Eukalyptuswälder, über Felder und Wiesen, durch mittelalterlich anmutende Dörfer und kleine Städte. Zwar ist die Infrastruktur auch auf diesem meistbegangenen Stück des Camino nach Santiago den Compostela erstaunlich schwach ausgebildet, aber eine Rast- und Einkaufsstätte findet sich doch alle paar Kilometer.
Der Pilgerstolz stellt sich auch beim Kurzpilger schnell ein. Die wunderschöne Landschaft mit Feldsteinmauern und verlassenen Gehöften tut neben dem Zauber eines tausend Jahre alten Weges und der religiösen Bedeutung ihr übriges. Die Beweisstempel für den Pilgerausweis, den Credencial, gibt es in jeder Kirche, jeder Herberge oder Gaststätte am Wegesrand. Die geforderten zwei Stempel pro Tag sind problemlos gesammelt. Der erste Wegweiser mit der Jakobsmuschel wartet nach dem Start nur ein paar Meter weiter am Weg und das erste ermutigende "Buen Camino" als Gruß an den Pilger ist bald erklungen. Ein kleines Abenteuer, eine Herausforderung, ja ein Erlebnis wartet auf den Pilger und löscht den Alltag, der scheinbar so wenig Zeit für einen selber lässt, schon nach ein paar Stunden aus. Wäre da nicht der festgelegte Termin der Rückreise und die tägliche Meldung per Handy - es könnte wochenlang so weiter gehen. Man muss nicht zwingend reuiger Sünder noch gläubiger Wallfahrer sein, um an anstrengenden, tage- und wochenlangen Märschen quer durch Nordspanien Freude zu finden. Der möglichst leichte Rucksack mit Kleidung, Waschzeug und Lebensmitteln bietet dabei auch noch Platz für HaPes Buch und das Vergnügen, darin live vor Ort zu schmökern. Auf Schlafsack und Isomatte kann der Pilger verzichten, der in den kleinen Pensionen und Hotels übernachtet. Wer sich für die fast kostenlosen Herbergen entscheidet, braucht diese aber in jedem Fall, da es kaum Decken gibt und nur mäßige hygienische Verhältnisse auf die müden Pilger warten. Zumindest ältere Herbergen versprühen den Charme der Jahrhunderte, sind aber für die Puristen unter den Pilgern trotz aller Komfort-Einschränkungen unverzichtbar.
Zwischen Hardcore-Pilgern, die wochenlang jede Herberge beseelt lächelnd verlassen, und dem gar nicht so seltenen "Pilger light", der, von Kleinbussen begleitet, nur einige Kilometer pro Tag gepäckfrei absolviert, liegen zwar Welten in der körperlichen Belastung, nicht aber im Ziel der Reise. Wer sich mit Bronchialproblemen und Übergewicht oder blutigen Füßen und wundgescheuerten Schultern über den Camino quält, erwirbt sich den tiefsten Respekt der Überholenden - und manche besorgte Frage nach dem Wohlergehen. Wer seit Wochen unterwegs ist, sagt dann nicht selten: "Mal sehen, wie weit ich heute komme." Es gibt für einige nicht einmal mehr Tagesziele, nur noch den Weg.
Zur Hochsaison ab Juni verändert sich das Bild des Camino. Hunderte Pilger sind auf den Etappen täglich unterwegs. Das Pilgererlebnis wird leicht zum Wettrennen um den nächsten Schlafplatz. Wer den ganzen "französischen" Weg ab den Pyrenäen beschreitet und zur Jakobus-Woche Ende Juli in Santiago eintreffen möchte, läuft vier bis sechs Wochen vorher in den Pyrenäen los. Manche der Mitpilger machen das zum wiederholten Male. Sie erzählen von Gott und der Welt, so wie der Rheinland-Pfälzer, der schon drei Mal erfolgreich in den Pyrenäen gestartet ist. Alle 500 Meter zählen die Kilometersteine die Strecke bis zur Kathedrale herunter - und könnten sie erzählen, würden sie von einem Panoptikum skurriler Wanderer berichten. Fröhliche Mitwanderer aus aller Welt, schräge Gestalten, belehrende Pilgerprofis oder auch richtig unsympathische Typen sind hier unterwegs. Wie im richtigen Leben. Stille Menschen und Schwätzer kommen zumindest einige Kilometer weit miteinander aus, denn man hat hier das gleiche Ziel, die gleichen Probleme und den gleichen Weg - egal ob man mit dem brasilianischen Arzt, dem Pensionär aus den USA, den Bankern aus Frankfurt oder den leicht esoterischen Damen aus Südtirol spricht. Wer mag, entdeckt am Wegesrand oder tief in sich drin unter körperlichen Strapazen Spirituelles, wer für so etwas weniger empfänglich ist, lässt es bleiben. Als eine körperlich schwer erschöpfte koreanische Studentin am 35. Tag ihrer Pilgerschaft allerdings danach fragt, mit welcher Bedeutung ihr die Leute so oft "Buenos Dias" oder "Buen Camino" zurufen- "guten Tag" und "guten (Pilger)weg" auf spanisch - wird klar, dass die Motive und die Vorbereitung auf das Abenteuer Jakobsweg sehr unterschiedlich ausfallen können.
Schicksale finden sich übrigens auch außerhalb des Geistigen: Ich mutmaße, dass der Jakobsweg nahezu täglich um eine Kuriosität reicher wird. Da erfährt man von der japanischen Pilgerin, die auf Gefällstrecken immer rückwärts geht, vom deutschen Frührentner, der die 700 Kilometer des Jakobswegs seit Jahren immer hin und her wandert und dabei mit seiner Rente "sehr gut" zurechtkommt und vom deutschen Ehepaar, das von Santiago aus mit dem Fahrrad bis nach Augsburg den Camino in entgegengesetzter Richtung fahren will. Er findet dabei besonders knifflig, dass er den Reiseführer quasi von hinten nach vorn lesen muss. Der Weg ist das Ziel.
Als überirdische Erfahrungen kann der Pilger die Erkenntnis buchen, dass auf der gesamten Reise - beginnend vom Info-Schalter des Flughafens über eine ganze Schulklasse 17-Jähriger bis zu jeder beliebigen Hotelrezeption - kein einziger Spanier in der Lage ist, einen vollständigen Satz Englisch zu sprechen. Fremdsprachen-Kenntnisse außer Spanisch oder Galizisch sind also für das Kurzpilgern ebenfalls unnötig. Sie nützen einem eh nichts.
Die letzten Kilometer nach Santiago hinein sind dann ein Weg Schritt für Schritt in die Realität zurück. Der Camino ist kaum noch ausgeschildert und führt durch hässliche Vororte. Wer hier nach seiner Pilgerleistung eine liebevolle Begrüßung durch eine heilige Stadt erwartet, die von Millionen Besuchern seit Jahrhunderten gut lebt, sieht sich belehrt. Spätestens in der Innenstadt hat man beste Chancen, sich in Hilferuf-Weite der Kathedrale und des Heiligen Jakobs noch einmal aber so richtig zu verlaufen.
Mit dem Durchschreiten des Pilgertores in Santiago ist der Camino dann plötzlich beendet. Man ist nun kein Pilger mehr, sondern Tourist. Der Anblick des bildschönen Ensembles der Kathedrale und des Vorplatzes in der mittelalterlichen Innenstadt Santiagos ist indes Lohn für eine Woche Schweiß und schmerzende Füße. Trotzdem: Der Camino macht Spaß, egal ob mit dem unausweichlichen Güllegeruch in den ärmlichen Dörfern in der Nase und an den Wanderschuhen, der einfallslosen galizischen Küche oder der ständigen Verständigung mit Händen und Füßen mit Nordspaniern, die aus Prinzip keinerlei Fremdsprachen beherrschen. Das Erlebnis sportlichen Fernwanderns in fremder Kultur, gepaart mit dem 1000 Jahre alten Camino de Santiago ist ein Erlebnis, das einen ganz schnell aus dem alltäglichen Leben reißt. Und wer will, findet einen Weg zu sich selbst, kann seinem bisherigen Leben ein Stück weit enteilen, entdeckt das einfache Leben und die Ausdauersporterfahrung als Basis der Tiefenentspannung, erkennt vielerlei Gottesbeweise rechts und links des Camino oder macht den äußeren Weg zu seinem inneren. Im Jakobsweg steckt all das drin. Er ist halt in jedem Fall ein Stück Lebensweg. So weit hat HaPe recht.
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Informationen:

Anreise zum Beispiel mit dem Billigflieger ab verschiedenen deutschen Flughäfen nach Santiago de Compostela. Weiter geht’s mit dem Bus über Lugo nach Sarria.

Frühjahr und Herbst sind die besten Jahreszeiten für die Pilgertour. Wer die Jakobusfeiern erleben will, muss Ende Juli in Santiago eintreffen.

Den Pilgerausweis geben verschiedene Jakobus-Gesellschaften aus, die man per Internet kontaktieren kann. Hier gibt es auch zahlreiche Tipps zu den Etappen, der Ausrüstung und viele Erfahrungsberichte.
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Buchtipp

Das großformatige Buch "Jakobsweg" von Cordula Rabe und Stefan Rosenboom bietet eine wirklich gelungene Möglichkeit, sich auf den Camino einzustellen. Fantastische Fotos, informativer und einfühlsamer Text sowie ein wirklich sachrechter Informationsteil bieten Schmökerspaß vor und nach dem Pilgermarsch. Der Weg auf der Jahrtausendroute durch Nordspanien wird in dem Bildband aus dem "Bergverlag Rother" lebendig nachgezeichnet. Mit seinen Fotos aus teils ungewöhnlichen Perspektiven schafft der Bildband ein lebendiges, ein neugierig machendes Portrait dieses einzigartigen Weges. Praktische Tipps, eine große Übersichtskarte und ein Streckenprofil runden den Inhalt ab. Ein Buch, das gleichermaßen zum Träumen, zum Nachmachen und zum Nacherleben einlädt. (mes)
"Jakobsweg"
228 Seiten mit 240 Farb- und 8 Schwarz-Weiß-Abbildungen
ein Altarfalzbogen mit zwei Panoramen, einer Übersichtskarte und einem Streckenprofil
Format 30 x 26 cm
gebunden mit Schutzumschlag.
EAN 9783763370535/ISBN 978-3-7633-7053-5
49,90 Euro.
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Ein Wegweiser, der Spaß macht: Alle 500 Meter und an Abzweigungen ist der Jakobsweg mit Muschelsymbolen markiert. Fotos: Peter Messner
       
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