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Nachricht vom 18.03.2017 |
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Region |
Alte Protokolle geben Einblick in die Geschichte |
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Dr. Eberhard Blohm, ehemaliger Lehrer am Gymnasium Altenkirchen ist ein engagierter Forscher der lokalen Geschichte und stolpert nicht nur beim Schmökern auch auf kirchliche Literatur und Quellen. Passend zum 200. Geburtstag des Evangelischen Kirchenkreises entdeckte er, dass die Protokolle des Kirchenkreises seit 1850 nahezu vollständig vorliegen und ein Schatz für alle Geschichtsforscher sind. Hervorragend ergänzen diese Protokolle Lücken der regionalen Geschichte. Gemeinsam mit Kreisarchivar Jacek Swiderski sorgte er dafür, dass die Protokolle elektronisch zusammengefasst wurden und nun für Interessierte, Studierende und Heimatforscher „greifbar“ sind. |
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Kreis Altenkirchen. Wo braucht es mehr und neue Lehrer? Wie bekommt man alkoholisierte und schlagende Familienväter wieder in den Griff? Wie mit der allumfassenden Not umgehen? Wie die Moral aufrecht erhalten? Wie dringend notwendige Kirchen(an)bauten finanzieren?
Wer genau hinschaut, kann anhand der Protokolle der Synoden des Evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen viele typischen Fragestellungen ihrer jeweiligen Zeit erkennen. Erahnen, dass die Region im Westerwald und an der Sieg über viele hundert Jahre eine sehr arme Gegend war und die Menschen vielfach gefordert waren und wurden.
Dass ausgerechnet in seinem Jubiläumsjahr der Evangelischen Kirchenkreis Altenkirchen tiefe Einblicke in seine Geschichte nehmen kann, verdankt er Dr. Eberhard Blohm. Der ehemalige Geschichtslehrer am Westerwald-Gymnasium in Altenkirchen und engagierte Forscher der regionalen Geschichte, stieß bei seinen Arbeiten auf eine bisher ungenutzte Quelle zur Orts- und Regionalgeschichte im Kreis Altenkirchen. Beim Stöbern im Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde Almersbach wurde er aufmerksam: Dort lagern Protokolle der Synoden des Kirchenkreises seit 1850.
Blohm erkannte die Systematik, dass alle Synodenprotokolle seither den jeweiligen Kirchengemeinden zugestellt worden waren. Durch diese Praxis der Streuung der Protokolle – die jeweiligen Dokumente gingen natürlich an den Kirchenkreis, an die Kirchengemeinde, aber auch an die Landeskirche und nach Koblenz – erhöhte sich die Chance, ein Gesamtpaket zusammen zu tragen. Alles, was in Almersbach fehlte, konnte der Geschichtsforscher in Archiven anderer Kirchengemeinde finden und zu einer Sammlung zusammenfügen. Seit 1850 sind die Protokollniederschriften der im Kirchenkreis Altenkirchen der Evangelischen Kirche abgehaltenen jährlichen Kreissynoden mit der Unterbrechung 1883 und der Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1934 und 1945 jährlich gedruckt worden.
Mit Hilfe von Kreisarchivar Jacek Swiderski, der die alten Schriften einscannte, wurde so Heimatgeschichte zusammengepuzzelt, datentechnisch erfasst und 100 Jahre „Kirchengeschichte“ (1850 bis 1950) stehen nun Studierenden – etwa der Geschichte und Theologie – aber auch Geschichtsinteressierten und hier insbesondere den Heimatforschern, die mehr Details zu ihren Ortsgeschichten erfahren wollen, zur Verfügung.
"Es gibt sonst keine durchgängigen Quellen für viele Ereignisse der jüngeren und älteren Geschichte. Viele andere Quellen (Zeitungen etc.) sind durch Kriege und Brände verloren gegangen", hat Blohm erkannt. Manche evangelischen Kirchengemeinden haben noch relativ viele Protokolle, andere – meist kriegsbedingt – nur noch Einzelexemplare. Aber insgesamt konnte der Schatz geborgen werden. "Vieles in den Funden gehört zwar in die Rubrik "sterbenslangweilig", aber so manches Detail ist sehr bereichernd", glaubt Blohm.
"Die Verhandlungen der Kreissynode Altenkirchen stellen für die Darstellung der Lebenswelt der protestantischen Bevölkerung des Kreises Altenkirchen eine Ergänzung dar und der immer gleiche Aufbau der Hefte erlaubt über die Jahrzehnte einen Überblick über sonst nur schwer oder gar nicht erreichbare Inhalte, die mangels Qualität auf Ortsebene kaum vorliegen!", führte er aus.
In den Protokollen fand Dr. Blohm unter anderem Informationen über die wechselnde Stellenbesetzung der Leitung der Kreissynode (Superintendent), aber auch zu den Ortspfarrern mit Angabe ihrer Herkunft oder Versetzungsorten und Angaben zu ihren Geburts- und Sterbedaten. Festgehalten wurden ebenso Daten zu den Zu- und Abgänge bei der Besetzung der Lehrerstellen an den evangelischen Volksschulen, Veränderungen in den Kirchenbauten oder zu der Haltung der Synode zu den anstehenden Fragen der Kirche in ihrer Zeit.
Konflikte mit anderen Glaubensrichtungen, hier mit der Katholischen Kirche und dem Hauskirchenwesen, die Mischehenfrage, Besoldungsfragen der Pfarrer und Lehrer oder zur Fürsorgeerziehung wurden durch die Protokolle deutlich. Ebenso die Sorge um soziale Konflikte wie Sonntagsruhe, Alkoholismus, Ehemoral, der Einfluss der Ortskirche auf die Gläubigen. Hier spiegelt sich für den Geschichtsforscher deutlich die Moral der Zeit wider.
Was Dr. Blohm besonders berührt: Das niedergeschriebene Kirchenleben begann nach dem zweiten Weltkrieg erst wieder im November 1945. Die ersten zwei Synoden des Kirchenkreises sind ungedruckt. Erst die Tagungsprotokolle von Mitte 1946 bis 1952 sind in einem Band zusammengefasst gedruckt. "Selbst wenn man in den ersten Jahren ein Zensur unterstellen muss, die Rücksichten auf die Besatzungsmacht bedeutet, ist die Aussagelosigkeit zu den Fragestellungen nach der moralischen Katastrophe 1933-1945 ins Auge stechend: kein Wort zur Haltung der Kirche im Nationalsozialismus, also zur Spaltung in deutsche Christen und "Bekenntniskirche", keine Auseinandersetzung mit dem Personalproblem, also welche Mittäterschaft oder Mitläuferschaft im Personal der Kirchen vor Ort", kritisiert Blohm. "Keine Aussage zur Judenverfolgung, keine zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern. Die Kirche hat die Auseinandersetzung wie die übrige Gesellschaft ausgeblendet!"
Vorliegend sind nun digital die Protokolle der Kreissynoden von 1850 - 1950 (mit den oben genannten Ausnahmen). Damals gab es zwölf evangelische Kirchengemeinden. Almersbach, Altenkirchen, Birnbach, Daaden, Flammersfeld, Freusburg, Gebhardshain, Hamm, Hilgenroth, Kirchen, Mehren und Schöneberg bildeten den Kirchenkreis. Noch nicht dabei die später entstandenen Kirchengemeinden Betzdorf, Friedewald, Herdorf und Wissen sowie Friedewald, die als jüngste Gemeinde des Kirchenkreises erst 1969 gegründet wurde.
Die auf CD zusammenfassten Protokolle liegen sowohl im Archiv des Kirchenkreises und des Kreises Altenkirchen aus und können hier für Recherche-Zwecke eingesehen werden. (PES)
Hintergrund:
Seinen 200. Geburtstag feiert der Evangelische Kirchenkreis Altenkirchen in diesem Jahr. 1817 wurde auf Druck der Regierung der Zusammenschluss aller damals vorhandenen evangelischen Kirchengemeinden auf dem Gebiet des Kreises Altenkirchen – er war 1816 gegründet worden – zu einem „Kirchenkreis“ verordnet.
Heute besteht der Kirchenkreis aus 16 Kirchengemeinden mit rund 38.000 Mitgliedern. Geleitet wird er von der Kreissynode, die ein bis zweimal jährlich zusammentritt. In Zeiten, wo die Synode nicht tagt, leitet der Kreissynodalvorstand (KSV) die Geschäfte des Kirchenkreises. Alle acht Jahre werden dessen Mitglieder von der Synode neu gewählt. Die Kreissynode besteht aus drei Theologen und vier sogenannten Synodalältesten. Vorsitzende ist seit 2008 Pfarrerin Andrea Aufderheide.
Der Kirchenkreis Altenkirchen ist fast deckungsgleich mit dem kommunalen Kreis Altenkirchen, der 2016 seinen 200. Geburtstag feierte. Geschichtlich bedingt gibt es an den Rändern des Kreises Verschiebungen innerhalb der kirchlichen Strukturen. So gehören Teile der Verbandsgemeinde Flammersfeld bereits zum Nachbarkirchenkreis „Wied“; Kircheib gehört zum „Kirchenkreis An Sieg und Rhein“, Teile der Verbandsgemeinde Kirchen (Mudersbach) gehören sogar zu einer anderen Landeskirche. Sie sind Teil des Kirchenkreises Siegen, der wiederum zur Westfälischen Kirche gehört. Zur Kirchengemeinde Herdorf gehört auch die Gemeinde Struthütten, diese liegt wiederum im Nachbarland Nordrhein-Westfalen. |
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Nachricht vom 18.03.2017 |
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