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Nachricht vom 01.05.2017 |
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Region |
Mairedner Dr. Rainer Volkmann sprach die Fehler in der Wirtschaftspolitik an |
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Bei der alljährlichen Maiveranstaltung des DGB Kreisverbandes Altenkirchen im Kulturwerk Wissen sprach Dr. Rainer Volkmann darüber, was „die Politik“ tun muss, um die Volkswirtschaft wieder mehr an den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auszurichten. Die Gäste stimmten Dr. Volkmann während seiner Rede voll und ganz zu. |
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Wissen. Am Montag, 1. Mai, fand die alljährliche Maiveranstaltung des DGB-Kreisverbandes im Kulturwerk Wissen statt. Nach den Professoren Sell, Segbers, Zabel, Flassbeck und Bosbach ist Dr. Rainer Volkmann der fünfte Hochschuldozent in Folge, der als Mairedner in den Kreis Altenkirchen kam.
Bernd Becker, Vorsitzender des DGB Kreisverbandes Altenkirchen begrüßte die zahlreich erschienen Gäste und erinnerte an die „Haymarket Affair“ vom 1. Mai 1886 in Chicago. Damals organisierten die Gewerkschaften einen Streik, um die Reduzierung der täglichen Arbeitszeit von 12 auf acht Stunden durchzusetzen. Im Laufe der Tage eskalierte der Streik und es kam zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei, so dass einige Streikende sowie Polizisten starben. Bis heute gilt der 1. Mai daher als internationaler Tag der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften.
Zudem forderte er die Gäste auf sich die Ausstellung „Vielfalt im Westerwald“, die in den internationalen Wochen im März entstand, anzuschauen.
Landrat Michael Lieber erklärte in seiner Ansprache, dass er vor zehn Jahren eine Anhörung zum Thema Armut durchgeführt hat. Anlass war, dass ihm immer mehr Menschen aufgefallen waren, die aus Mülleimern Pfandflaschen und –dosen sammeln. Dies deutet er als Zeichen, dass die Gesellschaft nicht in die richtige Richtung gehe und der Kreis, das Land und der Bund etwas tun müssen. Bei der Anhörung entstanden viele Ideen zu vielen Projekten, die teilweise auch umgesetzt wurden. So hat die Caritas Betzdorf und die Neue Arbeit ein Projekt mit dem Titel „gemeinsame Integration von Langzeitarbeitslosen und Flüchtlingen in die Arbeitswelt“ ins Leben gerufen. Dort sind bereits 820.000 Euro vom Kreis hineingeflossen.
Nicole Platzdasch, politische Sekretärin der IG Metall Geschäftsstelle Betzdorf, berichtete über die erfolgreich geführten Tarifverhandlungen in den Firmen Menk aus Bad Marienberg, Elco Europe in Betzdorf und Faurecia in Scheuerfeld. Veränderung sei keine Frage des Alters, sondern die der Einstellung, betonte Platzdasch. „Wir wollen Tarifverträge für alle, so dass die Zukunft gesichert ist“. Sie hält es für falsch, wenn Arbeitgeber behaupten, dass sich Arbeitnehmer durch das Kämpfen um Tarifverträge von der Sozialpartnerschaft lösen. Genau das Gegenteil sei der Fall. Die Arbeitgeber haben bei Zeitverträgen doch das Vertrauen in die Arbeiter verloren.
Dies müsse sich ändern. Ein Garant dafür ist die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft und eine gute Organisation der Beschäftigten im Betrieb, so Platzdasch. Derzeit wird mit den Firmen Baumgarten in Daaden, Alho Systembau aus Friesenhagen, S & P Federnwerk in Nisterau und Schiefelbusch in Stahlhofen verhandelt. Platzdasch hofft die Tarifverträge noch im Laufe dieses Jahres ausgehandelt zu haben. Damit wären rund 700 Menschen bedient. Doch dies ist erst der Anfang. Im Westerwald gibt es noch viel zu tun, schloss Platzdasch.
Anschließend beleuchtete der diesjährige Mairedner Dr. Rainer Volkmann von der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg Fehler und Chancen der deutschen Wirtschaftspolitik unter dem Titel „Falsche Diagnosen-falsche Konzepte: Zur Kritik und Alternativen einer sozial schädlichen Wirtschaftspolitik“. In seinem Vortrag beschrieb er was „die Politik“ tun muss, um die Volkswirtschaft wieder mehr an den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auszurichten.
In der Weltwirtschaft kann Deutschland gut mithalten und ist sehr konkurrenzfähig. Dies liegt jedoch nicht nur an den hochwertigen Produkten, sondern auch an der moderaten Lohnentwicklung und der Senkung der Unternehmenssteuern, erklärte Dr. Volkmann. Damals in den Zeiten der Deutschen Mark hatte Deutschland ein Problem, das heute ähnlich dem der Schweiz ist. Die Deutsche Mark wurde immer weiter aufgewertet und der Außenhandel immer unattraktiver. Der Euro ermöglichte einen Neustart und somit wieder einen Kostenvorteil. Doch dieser Mechanismus funktioniert innerhalb der Währungsunion nicht, wo alle Länder den Euro haben. Somit muss auf unterschiedliche Lohnstückkosten zurückgegriffen werden, um den Wettbewerb zu erhalten. In Deutschland bildeten die Lohnstückkosten von 2001 bis 2014 mit Irland zusammen das Rücklicht in der EU.
Doch niedrige Löhne führen wiederum zu niedrigen Gewinnen in den Unternehmen. Denn wer ein niedriges Einkommen hat, kann nicht viel konsumieren. So setzt Deutschland auf die Auslandsnachfrage. Die vielen Exporte seien eigentlich auch kein Problem, so Dr. Volkmann. Das Problem seien die Handelsbilanzüberschüsse. Diese entstehen, da Deutschland viel weniger Importe hat als Exporte. Dies führt dazu, dass andere Länder sich verschulden, um deutsche Exporte zu kaufen, da sie selbst zu wenig exportieren. Somit profitiert zwar Deutschland, aber außenwirtschaftlich herrscht ein Ungleichgewicht.
Dennoch gibt es viel Arbeitslosigkeit in Deutschland. „Exportweltmeister und Massen Arbeitslosigkeit sind kein Wiederspruch“, sagte Dr. Volkmann. Dies liege daran, dass das Arbeitsvolumen von 1991 bis 2014 gesunken, die Anzahl der Arbeitnehmer jedoch ungefähr gleich geblieben ist. Das ist so als wäre der Kuchen kleiner geworden, aber es gibt gleich viele Esser, beschreibt der Mairedner. In den letzten zwei Jahren ist das Arbeitsvolumen wieder ein wenig angestiegen. Wirtschaftswachstum erhöht das Arbeitsvolumen innerhalb der Arbeitsproduktivität, die ebenfalls leicht stagniert. Das Wirtschaftswachstum hängt jedoch wiederum von der Stärke des privaten Konsums ab. Ein Kreislauf, der durchbrochen werden müsse. Diese Situation hatte bereits der Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes im letzten Jahrhundert erkannt und vorhergesagt.
Eine größere Problematik sieht Dr. Volkmann auch in der Schuldenbremse. Ersatzinvestitionen (z.B. eine alte Brücke zu sanieren) und Nettoinvestitionen (z.B. eine neue Brücke zu bauen) sollen nicht länger durch Kredite sondern von Steuereinahmen finanziert werden. Diese sind momentan sogar negativ. Das heißt rund 130 bis 150 Milliarden Euro werden nicht für den Erhalt ausgegeben. Daraus könnte geschlossen werden, dass lediglich die staatlichen Investitionen erhöht werden müssten, doch es ist kein Geld da, sagte Dr. Volkmann. Dank des einstigen Finanzministers Peer Steinbrück gab es 29 Milliarden Euro Ausfälle an Steuereinnahmen. Hier würden Kredite helfen wichtige Investitionen zu tätigen, doch aufgrund der Schuldenbremse ist dies nicht mehr möglich.
Die berühmte schwarze Null des Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble hat übrigens nichts mit der Schuldenbremse oder dem Fiskalpakt zu tun. Sie ist ausschließlich eine private Idee, um Schäubles Populariät zu steigern, so Dr. Volkmann.
Er hält auch nicht viel vom Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU. In den Wirtschaftswissenschaften ist Sparen sehr negativ besetzt. Es gibt kein Modell, das Sparen positiv darstellen würde. Sparen führt zum Rückgang der Nachfrage und schließlich zur Arbeitslosigkeit. Aber dies müsste man mal Bundeskanzlerin Angela Merkel erklären, sagte der Mairedner mit einem Augenzwinkern.
Eine alternative Wirtschaftspolitik ist jedoch möglich. Dafür braucht man ein Investitions- und Konjunkturprogramm mit rund 130 Milliarden Euro, die sich jedoch auch teilweise selbst finanzieren würden. Zwingend benötigt man eine Arbeitszeitverkürzung. Diese sollte jedoch planvoll gestaltet werden. Momentan ist sie unkoordiniert verteilt. Zudem müsste man den Sektor der sozialen Dienstleistungen ausbauen aufgrund der demographischen Entwicklung. Dabei könnte man sich an Skandinavien orientieren. Eine hohe Entlastung könnte es für die Gesellschaft bedeuten. Jedoch müsste man darauf achten, dass sich nicht das billigste Pflegeheim, sondern das mit der höchsten Qualität durchsetzt.
Weiter wird eine expansive Lohnpolitik benötigt, die eine Alternative zu den Exportüberschüssen bietet und den privaten Konsum ankurbelt. Die Kaufkraft der Bevölkerung müsste gestärkt werden. Schließlich auch um sich die sozialen Dienstleistungen leisten zu können. Eine gleichere Einkommensverteilung könnte dazu beitragen. Darüber hinaus müsste Deutschland „ja“ zu Steuererhöhungen sagen. So sollte unter anderem die Vermögensteuer wiederbelebt und die Köpfsteuer von 15 Prozent auf 30 Prozent erhöht werden. Zu guter Letzt müsste die Kreditaufnahme wieder möglich gemacht werden. Es kann nicht sein, dass diese Generation mit ihren Steuern für alles aufkommt und die Nächste gar nichts mehr zahlen muss. Kredite ermöglichen es, das jede Generation einen Teil bezahlt nach dem Motto „pay as you use“.
Mit diesen Mitteln sollte es bis 2050 keine Probleme mehr geben. Danach „verschwindet“ eh der geburtenstarke Jahrgang und dann wird es gar keine Probleme mehr geben, so Dr. Volkmann. Die Gäste stimmten dem Vortrag des Hochschuldozenten voll und ganz zu -zuletzt mit mittels eines kräftigen Applaus. (jkh)
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Nachricht vom 01.05.2017 |
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