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Nachricht vom 03.05.2019
Region
Solidarität als Urerfahrung spürbar machen: Franz Meurer sprach beim DGB
Zu einer Mai-Veranstaltung hatte der DGB-Kreisverband Altenkirchen zum Tag der Arbeit (1. Mai) ins Kulturwerk nach Wissen eingeladen. Der Vorsitzende Bernd Becker konnte neben den zahlreichen Gästen auch den scheidenden Landrat Michael Lieber und die Landratskandidaten Dr. Peter Enders (CDU) und Andreas Hundhausen (SPD) begrüßen. Die Mai-Rede hielt Franz Meurer, Pfarrer und Sozialwissenschaftler aus Köln. Eine seiner Botschaften: Nicht den gerechten Lohn für gerechte Arbeit zu erhalten sei maßgeblich Schuld daran, dass viele Leute in der Gemeinschaft der Solidarität nicht mehr mitmachen möchten. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung durch den Geheimen Küchenchor. Mit deftigem Erbseneintopf und einer veganen Suppe sorgte die Neue Arbeit e. V. für das gemeinsame Mittagessen.
Der Gastredner Franz Meurer, Pfarrer und Sozialwissenschaftler aus Köln, referierte über das Thema Solidarität. (Foto: GRI)Wissen. Zum Tag der Arbeit am 1. Mai hatte der DGB-Kreisvorstand Altenkirchen Mitglieder, Vertreter aus Gesellschaft und Politik sowie interessierte Gäste in das Kulturwerk nach Wissen eingeladen. Landrat Michael Lieber (CDU), die Landratskandidaten Dr. Peter Enders (CDU) und Andreas Hundhausen (SPD), die Landtagsabgeordneten Heijo Höfer (SPD) und Michael Wäschenbach (CDU) und weitere Vertreter der Gesellschaft, von Parteien und Kommunen hatten es sich nicht nehmen lassen, an dieser traditionellen Veranstaltung teilzunehmen. Bernd Becker, Vorsitzender des DGB-Kreisvorstandes, überbrachte Grüße von Sabine Bätzing-Lichtenthäler (Staatsministerin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie) und dankte dem Geheimen Küchenchor aus Altenkirchen für die musikalische Umrahmung der Veranstaltung sowie der Neue Arbeit e. V. für die Verpflegung mit Erbsensuppe und Mettwürstchen. Bernd Becker freute sich besonders, den populären Pfarrer und Sozialwissenschaftler Franz Meurer aus Köln als Gastredner begrüßen zu dürfen. Die Liedvorträge des Geheimen Küchenchores unter der Leitung von Klaus Schumacher, der passend zum Tag der Arbeit Lieder der Arbeiterbewegung aus ganz Europa in gekonnter und harmonischer Weise vortrug, wurden von den Gästen mit anhaltendem Applaus honoriert.

Bernd Becker zum Thema Arbeitszeit, Mobilität und Klimawandel
In seiner Begrüßungsrede ging Bernd Becker auf die demografische Entwicklung und die Digitalisierung im Hinblick auf die Industrie 4.0 und den Arbeitsmarkt ein. Gleichzeitig kritisierte er die Forderung einiger Parteien und Vereinigungen nach Erhöhung der Tages- und der Wochenarbeitszeit. In diesem Zusammenhang verwies er auf die EU-Arbeitszeitrichtlinie, die den Forderungen durch die Definition klarer Arbeitszeitgrenzen entgegentrete. Beim Klimawandel, so Becker, brüsten sich die einstigen Verhinderer von Photovoltaikanlagen heute mit den wenigen Quadratmetern, die man ihnen seit 2005 abgetrotzt habe. Ein Antrag auf Installation von Photovoltaikanlagen auf „Kreisdächern“ sei damals abgelehnt worden. Damals, so Becker, habe man versäumt, die hohen Förderungen zu nutzen und installiere nun Anlagen zu wesentlich schlechteren Bedingungen. Wichtig für den Kreis Altenkirchen sei auch die Verbesserung der Mobilität. Der DBG habe in seinen kommunalpolitischen Leitlinien nach der Forderung der „Mobilität für alle“ beschrieben, was der richtige Weg sein könnte. Dem Westerwaldbus müssten weitere Maßnahmen folgen. Dazu gehöre die Senkung der Fahrpreise und auch der Beitritt zu benachbarten Verkehrsverbünden. Ziel müsse es sein, mit nur einem Ticket aus jedem Dorf in das DB-Netz zu kommen. Weiterhin sei die Gründung einer kreiseigenen Energiegesellschaft sinnvoll, um eigene Projekte hinsichtlich Erneuerbare Energien und E-Mobilität zu schaffen. Beim Thema Biodiversität sollen Mittel und Wege für flächendeckende Konzepte in Zusammenarbeit mit den Landwirten der Region gefunden werden. Ziel sei dabei ein kompletter Verzicht auf Glyphosat.

Landrat: Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und Ärzteversorgung
Auch mit Beginn des Ruhestandes, so Landrat Michael Lieber, werde er die Arbeit des DGB und des Kreisverbandes mit großem Interesse weiter verfolgen. Er dankte den Verantwortlichen der Kreisgewerkschaft für die konstruktive Zusammenarbeit. Besonders ein Thema liege ihm am Herzen, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Dies sei mit einem Verfassungsauftrag an die haupt- und ehrenamtlichen Kommunalpolitiker verbunden, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Menschen auch im ländlichen Raum wohlfühlen, gerne hier arbeiten und auch gerne hier leben. Eine Abwanderung müsse unbedingt verhindert werden. Dafür sei in erster Linie eine gute Infrastruktur notwendig. Ein Beispiel dafür sei der Westerwaldbus. 50 Busse wurden für die Realisierung des ÖPNV-Konzeptes angeschafft und dadurch 60 neue Arbeitsstellen besetzt. Da sich der Westerwaldbus noch in der Anfangsphase befinde, seien noch viele Probleme zu lösen. Die Dienstleistung werde auch noch nicht in erforderlichem Umfang von der Bevölkerung angenommen, jedoch müsse der ÖPNV zur Pflichtaufgabe der Kommunalpolitiker im Kreis Altenkirchen werden. Die Breitbandversorgung sei ein weiterer wichtiger Schritt der Infrastruktur. Hinsichtlich des flächendeckenden Ausbaus der Breitbandversorgung steht der Kreis Altenkirchen in Rheinland-Pfalz mittlerweile auf Platz eins. 38 Schulen werden in den nächsten drei Jahren auf Kreisebene mit der erforderlichen Hardware ausgerüstet und an das Netz angeschlossen. Straßenbau, so Lieber, müsse für Anlieger bezahlbar sein, unabhängig von der derzeitigen Beitragsdiskussion. Bei Bundesstraßen und Autobahnen müsse man aufpassen und nötigenfalls die Stimme erheben, dass der Kreis nicht abgehängt werde. Das wichtigste Thema aber, so Landrat Lieber, sei die ärztliche Versorgung. Hier müsse die Gleichwertigkeit in vollem Umfang gelten. Falls dies nicht geschafft werde, wandern die Bürgerinnen und Bürger in die Ballungszentren ab, wo die Gesundheitsversorgung gesichert ist. Hier seien zwingende sofortige Handlungsmaßnahmen in Zusammenarbeit mit Bund, Land, Kommunen, Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung erforderlich. Die Kommunen hätten dabei einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Egal, ob dies Stipendien oder die Einrichtung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) bedeute, die medizinische Versorgung der Menschen vor Ort ist oberstes Ziel und müsse gewährleistet sein.

IG Metall verhindert Schließung des Faurecia-Standortes in Scheuerfeld
Uwe Wallbrecher, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Betzdorf, gab einen umfassenden Überblich über die Aktivitäten der IG Metall Betzdorf in den Kreisen Altenkirchen und Westerwald. So sei es gelungen, mit vielen Betrieben Tarifvereinbarungen abzuschließen, die neben sozialen Gesichtspunkten ein angemessenes Arbeitszeitvolumen und tarifliche Löhne beinhalten. Anhand von Fallbeispielen machte Wallbrecher deutlich, dass der Gewerkschaftsgedanke „Einer für Alle“ von der DGB-Zentrale aus auch für den Westerwald gilt. So konnten einige Tarifverträge erst durch Androhung von Streikmaßnahmen abgeschlossen werden. Bei Schaeffler Friction Products in Hamm beispielsweise sei durch konstruktive Verhandlungen mit der Geschäftsführung der Erhalt von etwa 115 bis 125 Arbeitsplätzen gesichert worden. Besonders erfreulich, so Wallbrecher, sind die Gespräche mit Vertretern des französischen Unternehmens Faurecia verlaufen. Der von der Schließung bedrohte Standort in Scheuerfeld bleibt bis mindestens 2028 erhalten. Durch den Einsatz der IG Metall Betzdorf behalten 300 Faurecia-Mitarbeiter in Scheuerfeld ihre Arbeit. Einige schwarze Schafe in der Branche, so Wallbrecher, werden demnächst von der IG Metall Besuch erhalten. Darunter sei auch ein metallverarbeitender Betrieb mit mehr als 200 Mitarbeitern, der die Beschäftigten weit unter Tarif bezahle.

In Köln wird er auch „Erzbischof der Herzen“ genannt
Gastredner Franz Meurer, studierter Sozialwissenschaftler und Theologie, ist seit 1992 Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth in den Kölner Stadtteilen Vingst und Höhenberg, die wegen der hohen Anzahl Sozialhilfebedürftiger als Problemviertel gelten. Unter seiner Regie wurden mehrere Hilfsprogramme für sozial schwache Familien und Sozialhilfeempfänger, wie beispielsweise eine Kleiderkammer, eine Essensausgabe für Bedürftige, Ferienfreizeiten für bedürftige Kinder bis hin zu Beschäftigungsprogrammen für Arbeitslose ins Leben gerufen. In Köln wird Franz Meurer deshalb auch „Erzbischof der Herzen“ genannt. Mit teils unkonventionellen Aktionen wie beispielsweise der Bepflanzung von 1.000 Blumenbeeten sorgt er immer wieder für Aufmerksamkeit. Doch Franz Meurer ist auch als streitbarer Pfarrer bekannt. So entfernte er beispielsweise Wahlplakate einer rechtsextremen Bürgerbewegung und musste sich dafür sogar vor Gericht verantworten. Franz Meurers Motto lautet: „Nichts ist so schlecht, dass es nicht für irgendwas gut ist.“ Für sein soziales Engagement wurde Franz Meurer 2002 „alternativer Ehrenbürger“ der Stadt Köln. 2004 wurde ihm die Kardinal-Frings-Medaille des Katholisch-Sozialen Instituts verliehen. 2010 erhielt er den Human Award der Familie Kluge Stiftung und 2015 den Deutschen Fundraising-Preis für „besondere Leistungen bei der Mittelbeschaffung für gemeinnützige Zwecke“. 2017 wurde ihm von der IG Bauen-Agrar-Umwelt der Georg-Leber-Preis für Zivilcourage verliehen. 2019 erhielt er für sein soziales Engagement den Ehrenring des Rheinlandes vom Landschaftsverband Rheinland (LVR).

Solidarität braucht keine moralischen Gründe
In seinen beiden Kölner Stadtteilen, so Franz Meurer, sind 26 Prozent aller Haushalte verschuldet. Die Kinderarmut beträgt stattliche 46 Prozent. Auch in den Stadtteilen Pfingst und Höhenberg ist Ärztemangel ein Problem. Dies sei hauptsächlich auf die soziale Situation der Stadtteile zurückzuführen. Menschen könne man nur gewinnen, wenn es auch schön ist bei ihnen zu leben und mit ihnen zusammen zu leben. Das schönste am Leben, so Meurer, sei Solidarität, aber man wisse den Gewinn der Solidarität nur zu schätzen, wenn man Einsamkeit kenne. Das Sprichwort: „Einer schreit Hilfe, doch niemand hört in einer Wohnung, wo es niemanden stört“ spreche Bände. „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ seien die Ideale, auf die die Menschen hinstreben. Zusammenhalt und Miteinander seien heute Teil der Streitkultur. Wenn es keinen demokratischen Mimimalkonsens gebe, so Meurer, wenn keine Erfahrung von Gemeinschaftlichkeit da ist, müssen die Gewerkschaften ihren Teil dazu leisten, um diese Prozesse umzukehren. Zur Solidarität gehöre auch, einsamen Menschen die Türe zu öffnen. Dazu sei auch die Mitbestimmung durch sozial schwache und einsame Menschen erforderlich. Gewerkschaften seien auch dazu da, die Richtung der Entwicklung vorzugeben. Denn Gewerkschaften sind Solidargemeinschaften. Es sei wunderschön, so Franz Meurer, solidarisch zu sein. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Kinder im Alter von zwei Jahren bereits in der Lage sind, sich in den anderen hineinzuversetzen. Die Kinder sind kommunikativ und wollen teilhaben. Genau wie der Erwachsene. Aus der Perspektive des anderen auf die Welt zu schauen sei deshalb ein Zeichen von Solidarität. Solidarität brauche keine moralischen Gründe. „Wir alle“, so Franz Meurer, „müssen Solidarität als Urerfahrung spürbar machen. Es geht nicht gegen, sondern für, es geht nicht ohne, sondern nur mit.“ Friedensarbeit der Gewerkschaften sei für diesen Prozess unverzichtbar. Dabei spielen Solidarität und Barmherzigkeit die entscheidende Rolle. Barmherzigkeit sei die Kraft des Einzelnen, nicht die Macht des Individuums. Kaum jemand wisse noch, wie viel Barmherzigkeit es bedeutet, sich einem vereinsamten Menschen zuzuwenden. Hinzu komme, dass die Kluft zwischen arm und reich immer größer werde. Die Lebensweisheit, dass jemand der fleißig ist, auch ein Haus bauen kann, sei lange vorbei. Nicht den gerechten Lohn für gerechte Arbeit zu erhalten sei maßgeblich Schuld daran, dass viele Leute in der Gemeinschaft der Solidarität nicht mehr mitmachen möchten. (GRI)
       
     
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